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FDP-Chef Christian Lindner will gerne Bundesfinanzminister werden.

© REUTERS/Annegret Hilse

FDP-Umfragewerte in einem Jahr verdoppelt: Und jetzt gilt Lindner plötzlich als Influencer

FDP-Chef Christian Lindner begeistert seine Anhänger. Die Umfragewerte der Liberalen haben sich in einem Jahr verdoppelt. Was ist da passiert?

Christian Lindner wirkt überrascht. Es ist Mitte September, der FDP-Chef steht im kalten Herbstwind neben einer Bühne in der Dresdner Innenstadt. Gerade hat er vor ein paar Hundert Bürgerinnen und Bürgern eine feurige Rede gehalten, jetzt scharen sich rund 40 Fans um ihn zur Autogrammstunde.

Frauen sind so gut wie keine dabei, es sind fast nur Männer, die meisten Mitte 20, einige tragen Anzüge. Manche erinnern mit ihren kindlichen Gesichtern an Lindner in seinen jungen Jahren.

Einer von ihnen hält dem FDP-Chef die Rückseite eines teuren Tablet-Computers unter die Nase. „Ich soll ein I-Pad unterschreiben?“, fragt Lindner verwundert. Es ist nicht das einzige Statussymbol, das der 42-Jährige signieren soll. Ein anderer Fan holt ein silbernes MacBook hervor, Lindner setzt mit einem schwarzen Filzstift seine Unterschrift drauf. „Ab heute 14 Uhr kann man das neue I-Phone bestellen“, sagt der FDP-Chef laut. „Welche Farbe darf es sein?“, ruft einer. „Grafit“, sagt Lindner ohne zu überlegen. Die Jungs um ihn herum johlen vor Freude.

In Dresden trifft der FDP-Vorsitzende auf etwas, das selten ist in diesem Bundestagswahlkampf: echte Begeisterung. Während große Teile von Union, SPD und Grünen mit ihren jeweiligen Kanzlerkandidaten hadern, wird Lindner von seinen Anhängern geradezu verehrt. Wie einen Spitzensportler bedrängen sie ihn nach seinen Auftritten. Statt teurer Elektrogeräte könnte er genauso gut Turnschuhe signieren. Der FDP-Chef als Influencer.

Krise überwunden

Seinen jungen Fans hat hat Lindner viel zu verdanken. Bei den unter 30-Jährigen stehen die Liberalen in den Umfragen auf Platz zwei hinter den Grünen. Bundesweit kommen sie auf elf bis 13 Prozent. Bald könnten sie mitregieren. Woher kommt das plötzliche Umfragehoch?

FDP-Chef Christian Lindner und Anhänger in Dresden.
FDP-Chef Christian Lindner und Anhänger in Dresden.

© Paul Starzmann

Noch vor einem Jahr sah es düster aus für die Freidemokraten. Im September 2020 klebten sie an der Fünf-Prozenthürde, kämpften gegen die Bedeutungslosigkeit. Davor waren sie lange im „Krisenmodus“ – vier Jahre außerhalb des Bundestags, dann das Jamaika-Aus 2017, die zähe Oppositionsarbeit danach. Doch Verdruss war in all der Zeit kaum zu spüren. Vielmehr machten sich die Liberalen immer wieder selbst Mut, hielten durch. Nach der Pandemie werde die Stunde ihrer „Marktwirtschaftspartei“ schon noch kommen, lautete die Parole.

Die Freidemokraten begannen, sich auf die „konstruktive Oppositionsarbeit“ zu konzentrieren, zum Beispiel mit einem Stufenplan zum Ausstieg aus dem Lockdown. Nicht so scharf wie die AfD, aber auch nicht so zahm wie Grünen – so kann man die Position der FDP in der Coronakrise beschreiben.

Auch Lindner fand eine neue Rolle: vom „ewigen Generalsekretär“, wie manche spotteten, hin zum staatsmännischen Parteichef. Statt den Gegner heftig zu attackieren, gibt er sich heute zurückhaltend, liest seine Reden häufiger vom Blatt. Er übt bereits für seinen Traumjob des Finanzministers. Das kommt an.

Live ist Lindner am besten

Im Wahlkampf in Sachsen weicht er davon allerdings ab. In Dresden spricht Lindner frei, spöttelt über die Konkurrenz, selbstbewusst bewegt er sich im blauen Anzug über die Bühne. Seine Pointen unterstreicht er mit geballter Faust. Der Applaus ist kräftig.

Live ist Lindner am besten. Er spricht das Publikum direkt an, mit Sätzen wie: „Lassen Sie sich das nicht erzählen“ oder „Das wissen Sie selbst“. Verbindlich zeigt er sich – und bleibt zugleich distanziert. „Ich habe in Dresden nicht nur Freunde, ich habe hier Familie.“ Viel mehr Privates gibt er nicht preis.

Lindner will sich nicht in die Karten schauen lassen, weder persönlich noch politisch. Er schlängelt sich zwischen den anderen Parteien durch. Seitdem die SPD seinen Wunschpartner CDU in den Umfragen überholt hat, sendet er Signale in alle Richtungen. „Die Schwäche der Union hat uns überrascht“, gibt er zu. Er watscht die CDU ab, schont aber den Kandidaten Armin Laschet. Er kritisiert die SPD, lobt jedoch deren „handwerklich perfekten Wahlkampf“. Er witzelt über die Grünen, erkennt allerdings in deren Programm „durchaus Sinnvolles“

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Mit wem Lindner an die Macht will, lässt er offen. Dass er nicht nur regieren will, sondern muss, liegt auf der Hand. „Lieber nicht regieren als falsch“ – das wird er sich ein zweites Mal kaum leisten können. Viele Bedingungen stellt er daher nicht. Nur: keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse. Wer will, kann das als „rote Linien“ gegen SPD und Grüne verstehen. Lindner selbst spricht von „Leitplanken“. Die sind bekanntermaßen dazu da, um einen gemeinsamen Weg abzustecken.

Zu viele Festlegungen, das weiß man in der FDP, könnten den Erfolg gefährden. Die Wahlplakate sind bewusst vage. Interessant ist auch, was Lindner nicht sagt bei Auftritten wie in Dresden. Dort steht er mit beiden Händen am Mikro und lästert über die Grünen. Die wollten Deutschland zum „Bullerbü“ machen. Doch anstatt der Grünen-Forderung nach Tempo 130 auf der Autobahn eine klare Absage zu erteilen, führt Lindner minutenlang aus, warum er darüber nicht reden wolle.

Glück gehabt

Um zweistellig zu bleiben, muss sich Lindner alle Machtoptionen offen halten; und er muss die eigene, vielfältige Klientel zufrieden stellen – von seinen jungen konsumorientierten Fans in Dresden bis zum sparsamen Unternehmer in Stuttgart; vom Sportwagenfahrer aus der Provinz bis zur umweltbewussten Städterin. Ein taktischer Fehler könnte seine Glückssträhne schnell beenden.

Dass der Höhenflug der FDP nicht nur an der eigenen „Grandezza“ liegt, wie ein altgedienter Liberaler sagt, dürfte den meisten in der Partei klar sein. Der lange Machtkampf um den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur der Union, der strauchelnde Laschet – davon profitieren die Liberalen.

Auch innerparteilich hat sich zuletzt einiges für Lindner glücklich gefügt. So verschafft es ihm etwas Luft, dass die Thüringer Landtagswahl doch nicht am 26. September stattfindet. Damit ist das öffentliche Interesse am dortigen FDP-Landeschef und Ex-Kurzzeit-Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden, Thomas Kemmerich, vorerst abgeflaut. Wahlkampftermine in Thüringen hat Lindner „bis dato“ nicht wahrgenommen, sagt er.

In Dresden redet er dem Publikum ins Gewissen. „Wählen Sie auf keinen Fall die AfD.“ Beide Stimmen an die FDP, lautet seine Botschaft „Wählen Sie nicht taktisch“, ruft Lindner zum Abschluss seiner Rede – und klingt dabei wie einer, der nicht so gerne überrascht wird.

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