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Familienministerin Manuela Schwesig will nur drei Monate Auszeit für ihr zweites Kind nehmen. Ihr Mann wird in Elternzeit gehen.

© Hendrik Schmidt/dpa

Familie und Politik: Die unmittelbare Verantwortung

Heute ist gern von Familienfreundlichkeit die Rede. Aber was ist mit der Politik? Betrachtung eines Berufs, in dem Sitzfleisch zu lange der wichtigste Muskel war.

Müssen wir Angela Merkel eigentlich dankbar sein, dass sie keine Kinder hat? Und wie groß sollte unsere Erleichterung sein, wenn alle Kinder eines Bundesministers schon aus dem Haus sind?

Sie können sich jedenfalls ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren. Wenn verhandelt wird, bleiben sie guten Gewissens bis zum Ende sitzen. Der Amtskollege aus Frankreich zieht bei der Sitzung in Brüssel nach Mitternacht einen neuen Vorschlag aus der Tasche – kein Problem für sie, da noch einen draufzusetzen. Die Talkshow lädt wieder einmal ein, um die eigenen Thesen öffentlichkeitswirksam unter die Leute zu bringen – aber gerne. Es wartet allenfalls eine Partnerin oder ein Partner zu Hause, die oder der das späte Ende schon gewohnt ist, aber eben niemand, der unbedingt noch etwas vorgelesen haben will. In der Kabinettssitzung wird nie der Anruf einer Kita stören, dass das eigene Kind schnell abgeholt werden müsse, ein Magen-Darm-Virus habe gerade zugeschlagen.

Es kann für eine Gesellschaft nur von Vorteil sein, wenn ihre Repräsentanten aus ihrer Mitte kommen

Keine Kinder, für die man auch mal alleine Verantwortung übernehmen muss – das ist in der Politik ein klarer Wettbewerbsvorteil.

Dabei ist im Berufsleben gerade von immer mehr Familienfreundlichkeit die Rede. Alle möglichen neuen Modelle werden ausprobiert. In Firmen teilen sich Führungskräfte einen Arbeitsplatz, aus manchem Unternehmen ragt auch mal eine Doppelspitze heraus. Eltern-Kind-Zimmer werden eingerichtet, eine Universität stellt ihren Mitarbeitern ausgebildete Krankenschwestern als Betreuung zur Verfügung, wenn ein Kind krank ist. Aber was ist mit der Politik? Also dem Teil der Gesellschaft, der so sichtbar ist, der für sich in Anspruch nimmt, repräsentativ zu sein, die Gesellschaft abzubilden, zu vertreten, zu gestalten?

Wer glaubt, dass sich daran sowieso nichts ändern lasse oder gar dürfe, muss nicht weiterlesen. Es gibt auch Gründe, in der Politik die einzige Ausnahme dafür zu sehen, Beruf und Familie ideal miteinander verbinden zu können. Denn Menschen zu vertreten, bedeutet auch, viel zu reisen, zu ihnen zu kommen, lange zuzuhören, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Und es ist schwierig, von Politikern persönliche Verantwortung zu fordern, wenn sie sich gleichzeitig regelmäßig vertreten lassen, um eben auch noch ihre Verantwortung als Vater oder Mutter zu übernehmen. Keine Verantwortung ist nun einmal so unmittelbar wie die für eigene Kinder.

Aber es kann für eine Gesellschaft nur von Vorteil sein, wenn ihre Repräsentanten aus ihrer Mitte kommen. Wenn sie sich nicht nur gut auskennen, sondern auch gut einfühlen können in das Leben von Familien. Die selbst erleben, wie schwierig der Kampf um einen Kitaplatz ist, welche Formulare alle ausgefüllt werden müssen, nicht nur, wenn es um Kinder geht, sondern etwa auch um die Pflege eines demenzkranken Elternteils. Weil sich Zeiten und Anforderungen ändern, sollten es auch frische Erfahrungen sein.

Und wie weit ist die Politik dabei gekommen? Traurige Familiengeschichten wie die der Kohls, von Helmut Kohls Sohn Walter im Buch „Leben oder gelebt werden“ aufgeschrieben, erscheinen gerade eher als Schatten der Vergangenheit. Es ist schließlich nicht so, als wenn sich nichts bewegt hätte. Viel Aufmerksamkeit erregte Ursula von der Leyen als Mutter von sieben Kindern. Als sie als Familienministerin ins Bundeskabinett kam, 2005, ging ihr jüngstes Kind gerade in die Schule, ihr ältestes wurde volljährig. Ihre Arbeit hat sie so organisiert, dass sie regelmäßig von zu Hause in Hannover aus arbeitete, nicht immer von Berlin aus, das war schon mal ein Fortschritt.

Die Parteipolitik ist ein weiterer Fresser jenes Guts, das für Familien am wichtigsten ist: Zeit

Leyens Nachfolgerin Kristina Schröder bekam als erste Ministerin ein Kind in ihrer Amtszeit. In dieser Woche nun hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig eine Tochter zur Welt gebracht, am Weltfrauentag. Es ist ihr zweites Kind. Die Elternzeit nehme diesmal ihr Mann, das gehöre zu einer modernen Ehe dazu, sagt Schwesig. Alles modernisiert sich – auch das Familienbild innerhalb der Politik?

Wer die Politik zum Beruf gemacht hat, muss da sein, verfügbar, höchst präsent. Auch wenn es einen Preis fordert. Die Politik hat ihre eigenen Anforderungen. Sie muss alles abdecken, auf alles reagieren, und das am besten noch sofort. Um überhaupt erst aufgestellt zu werden auf der Kandidatenliste, muss man sich der Prüfung der Partei unterziehen. Und oft berücksichtigt dieser Test eben auch die Ausdauerleistung. Da wird Sitzfleisch zum wichtigsten Muskel.

Die Parteipolitik ist dann neben dem Mandat oder dem Staatsamt ein weiterer Fresser jenes Guts, das für Familien am wichtigsten ist: Zeit.

Noch selektiert die Politik ziemlich effektiv nach familiären Gesichtspunkten. Wer kleine Kinder hat, eine Partnerin oder einen Partner im Beruf, keine Großeltern, die regelmäßig einspringen oder eine Nanny, kommt eher selten nach oben, das Familienministerium ist da die gewünschte Ausnahme. Viele Berufspolitiker sind daher schon im Alter von Großeltern. Sie können ihre Lebenserfahrung einbringen, auch das ist eine große Qualität. Aber muss es so bleiben, dass Frauen und Männer in der Rushhour des Lebens so schwer in der Politik zum Zug kommen? Und wenn es so bleibt, liegt das eigentlich nur an den Politikern oder auch an denen, die sie wählen?

Die Gesellschaft scheint Härte manchmal regelrecht zu belohnen. Es hat noch keinem Politiker und keiner Politikerin im Ansehen geschadet, die ganze Nacht durchzuverhandeln und am nächsten Tag das Grußwort beim Jahrestag des Bundesvereins für Ackerpflege zu sprechen, mehrere Interviews zu geben und abends dann bei irgendeinem Empfang zu netzwerken. Das ist wie im Sport. Wer mit gerissenen Bändern noch zu Ende spielt, wird als Held gefeiert. Auch wenn es eigentlich töricht ist, weil die Reha dann noch länger dauert.

Da ist der Politiker nach wie vor wie der Hochleistungssportler. Und als hätte sie einen Weltrekord aufstellen wollen, kehrte die ehemalige französische Justizministerin Rachida Dati nur fünf Tage nach der Geburt ins Amt zurück. Von Feministinnen wurde sie dafür angefeindet, das erhöhe den Druck auf andere Frauen. So bringt jede privat-politische Entscheidung ihre eigene Debatte mit sich.

Kristina Schröder hat inzwischen zwei Kinder und ist jetzt noch Abgeordnete im Bundestag. Den Verzicht auf die Fortsetzung ihres Amts als Ministerin begründete sie auch damit, mehr Zeit für die Familie haben zu wollen. Ihr Mann ist parlamentarischer Staatssekretär. Als Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ein Kind zur Welt brachte, als Generalsekretärin der SPD, schlug ihr Misstrauen entgegen. Wie will sie das denn schaffen? Eine Frage, die immer nur Frauen zu hören bekommen, nie die Männer. Als das Ende ihrer Ehe bekannt wurde, konnte sich Nahles der Häme gewiss sein. Mann, Kind, Ministerin, Pendelei. Konnte ja nicht gut gehen.

Dabei ist doch gerade das eine höchst aktuelle Frage: Wie kann alles auf einmal gehen? Immer mehr Väter wünschen sich, mehr Zeit für ihre Familie zu haben, sich den Beruf deshalb anders einzuteilen. Beide Elternteile möchten arbeiten, beruflich etwas bewirken, aber auch viel für ihre Kinder da sein. Das ist ein sehr junges Phänomen. Hier haben sich traditionelle Rollenbilder aufgelöst, das führt zu Orientierungslosigkeit. Und zur Suche nach Vorbildern. In der Politik sind die nicht zu finden. Da ploppt mal die Nachricht auf, dass sich Vizekanzler Sigmar Gabriel bis Mitte der Woche freinehme, um sich um seine Tochter zu kümmern, die mit Scharlach im Bett liegt. Und er hatte sich auch vorgenommen, sie einmal in der Woche von der Kita abzuholen. Für die Politik ist das schon viel und ganz bestimmt mehr wert als ein Harmonie heuchelnder Fototermin mit der ganzen Familie. Aber für die Gesellschaft ist es zu wenig, um modellhaft zu sein. „Alles eine Frage der Organisation“ bleibt eben oft eine Frage und keine Antwort.

Eltern bekommen heute im Schnitt später ihre Kinder, das hat auch für die Politik Folgen. Früher waren die Kinder schon lange in der Schule, vielleicht sogar schon mit der Schule fertig, wenn die politische Karriere der Eltern gerade Fahrt aufnahm. Heute fallen Geburt und beruflicher Aufstieg oft in einen Lebensabschnitt. Auch weil politische Karrieren heute manchmal früher beginnen. Da erfordert die Familienplanung auch Pioniergeist. In der Politik herrschen dabei auch noch andere Regeln. Für Abgeordnete im Bundestag und in Landtagen ist zum Beispiel keine Elternzeit vorgesehen.

Baden-Württemberg macht hier die Ausnahme. Dort können sich Abgeordnete bis zu einem halben Jahr nach der Geburt ihres Kindes beurlauben lassen. Das ist auch als Pairing-Grund anerkannt. Das heißt, die Mehrheitsverhältnisse im Landtag verändern sich auch durch die Auszeit nicht. Die Regelung, beschlossen 2014, soll das Mandat vor allem auch für Frauen attraktiver machen. Der Frauenanteil ist im Landtag von Baden-Württemberg besonders niedrig, er liegt bei 20 Prozent.

„Ist das wirklich ein Ausweis von Qualität, bei Sitzungen rumzusitzen und bei Empfängen rumzustehen?“

Aus anderen Bundesländern ist zum Beispiel dies bekannt: Weil seine Lebensgefährtin im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt und keine Elternzeit bekam, nahm sich Oliver Igel drei Monate für seinen Sohn – als Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick. Die Arbeit erledigte in dieser Zeit seine Stellvertreterin. Es war ein Fall von: Geht doch.

Susann Rüthrich hat zwei Kinder und sitzt für die SPD im Bundestag. „Von der Politik darf nicht das Signal ausgehen, dass man auf Familie verzichten muss“, sagt die 38-Jährige. Als besonders schwierig erlebt sie, wenn namentliche Abstimmungen im Bundestag auf 21 Uhr gelegt werden. Und sie stelle sich immer wieder die Frage, warum die Anwesenheitskultur noch so gepflegt werde, obwohl es doch inzwischen ausreichend technische Hilfsmittel gebe wie Videokonferenzen und nicht jede Sitzung einer Effizienzprüfung standhalte. Gute Arbeit werde noch zu oft mit viel Arbeit gleichgesetzt. „Ist das wirklich ein Ausweis von Qualität, bei Sitzungen rumzusitzen und bei Empfängen rumzustehen?“

Sie kann jedoch auch von Veränderungen erzählen. Etwa davon, dass Sprecherposten in ihrer Fraktion im Mutterschutz oder bei anderen Auszeiten nicht abgegeben werden müssten, es springe dann eine Vertretung ein. Bei Parteitagen gibt es inzwischen auch mal Kinderbetreuung. Ab und an erzählt man sich auch Beispiele aus dem Ausland. Bundestagsabgeordnete waren beispielsweise überrascht, als sie bei Parlamentarierreisen nach Skandinavien das Programm sahen. Ihre Gastgeber hatten es nur bis 16 Uhr geplant. Damit sie dann zu ihren Familien fahren konnten.

Wer im politischen Betrieb arbeitet, ist belastet und privilegiert zugleich – auch das ist hinderlich daran, Modell zu werden. Mit den Diäten lässt sich auf jeden Fall eine Kinderbetreuung gut finanzieren. Andererseits ist angesichts der Belastung auch nicht alles möglich. Als Außenminister regelmäßig seine Kinder ins Bett zu bringen, dürfte ausgeschlossen sein. Und auch ein Ideal, das von der Soziologin Jutta Allmendinger befürwortet wird, lässt sich nur schwer umsetzen. Es ist das der 32-Stunden-Woche. Wenn beide Elternteile berufstätig sind, seien 80 Prozent für jeden eine praktikable Lösung. Doch wer ist bereit, einen 80-Prozent-Politiker zu wählen?

Es gibt allerdings auch Chancen. Der Wunsch nach Zeit mit der Familie ist für die Politik wie für andere Bereiche der Gesellschaft eine großartige Gelegenheit, die eigenen Abläufe infrage zu stellen. Zumal Kinder zu haben einem noch einmal neu beibringt, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden. Wenn Politik also schneller wird und trotzdem mehr Ergebnisse für Familie produziert, wenn eine zähe Sitzung auf einmal ihr abruptes Ende findet, könnte es sein, dass dahinter junge Eltern stecken.

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