zum Hauptinhalt
Björn Höcke, Kopf des rechtsextremen Flügels der AfD, der jetzt vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird.

© Thomas Haldenwang/AFP

Falsche Vergleiche: Vom schiefen Gebrauch der Geschichte

Viele Gegner beschimpfen Rechtspopulisten und -extremisten als "Faschisten". Doch dieser Begriff verschleiert eher die Gefahr, die von solchen Gruppen ausgeht. Ein Essay.

Ein Essay von Hans Monath

Hans Monath ist Redakteur in der Hauptstadtredaktion des Tagesspiegel

Konfuzius kannte weder Nationalsozialisten noch Faschisten. Er konnte auch die AfD noch nicht kennen, die im deutschen Parteiengefüge in wenigen Jahren einen unheimlichen Aufstieg hingelegt hat und sich heute alle Mühe gibt, das demokratische System zu destabilisieren, in dem sie groß geworden ist.

Dafür wusste der chinesische Weise mehrere Jahrhunderte vor Christi Geburt ganz genau, wie wichtig es ist, die richtigen Begriffe zu benutzen. Von ihm stammt die Mahnung: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“

Wenn Begriffe Unterschiede verwischen

Auch im Umgang mit der AfD stimmen die Worte oft nicht mehr. Es ist ermutigend, dass die Zivilgesellschaft und die meisten Politiker bis hin zum Bundespräsidenten versuchen, klare Grenzen zur AfD zu ziehen – erst recht nach den Morden von Halle und Hanau. Sicher gehören Gefühle in der Politik dazu, auch Empörung und kämpferische Töne. Aber sind die Begriffe richtig, mit denen die AfD beschrieben wird? Oder signalisieren sie zwar eine eindeutige Haltung, gehören historisch aber zum argumentativen Repertoire von Antidemokraten und verwischen Unterschiede eher, als dass sie sie erklären?

Das gilt für die Bezeichnung der AfD als „Faschisten“ oder „Nazis“ sowie für die Behauptung, die heutige Lage ähnele der am Ende der Weimarer Republik. Alle drei Urteile sind inzwischen so inflationär geworden, dass man ihnen kaum mehr entgehen kann.

Gibt es noch irgendeinen Historiker, der die SPD-Führung berät? Einen Geschichtskundigen jedenfalls kann sie nicht gefragt haben, bevor sie am Willy-Brandt-Haus ein Plakat aufhängen ließ, auf dem stand: „Seit 156 Jahren keinen Fußbreit dem Faschismus.“ Es gab zwischen dem Gründungsdatum der SPD-Vorgängerorganisation 1863 und dem Gründungsjahr von Benito Mussolinis faschistischer Partei 1919 aber keinen Faschismus. Jenseits der Peinlichkeit mit dem angeblichen Kampf gegen einen damals noch nicht existenten Feind sprechen auch andere Gründe dagegen, dass die Sozialdemokraten nun die AfD als Faschisten anprangern.

Der Faschismus kam mit Mussolini in die Welt

Die Bezeichnung Faschismus kam Ende des Ersten Weltkriegs mit Benito Mussolini in die Welt. Das Signet seiner Bewegung war das römische Rutenbündel (lateinisch Fasces) als Symbol für den Zusammenhalt. Populär gemacht haben die Bezeichnung linksradikale Feinde der Demokratie in der Zwischenkriegszeit. Die KPD und die Kommunistische Internationale (KI) spielten dabei eine zentrale Rolle.

Der Faschismus ist nach dieser Lesart eine weitere Form bürgerlicher Herrschaft, wie auch der Liberalismus. Er sei die „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“, befand KI-Generalsekretär Georgi Dimitroff. Auf Weisung aus Moskau steigerten die KPD und ihr Führer Ernst Thälmann diese Erklärung in den 20er Jahren zur These vom „Sozialfaschismus“– demnach war nicht die NSDAP, sondern die Sozialdemokratie der Hauptfeind der Arbeiterklasse.

Die Sozialfaschismus-These gaben die kommunistischen Parteien bald wieder auf, die Deutung des Faschismus als Form bürgerlicher Herrschaft aber verkündeten sie weiter bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. In der Geschichtsschreibung und Propaganda der DDR galt der Nationalsozialismus als „Faschismus“ oder „Hitlerfaschismus“. Der DDR-Führung war es wichtig, dass auf diese Weise das im Parteinamen verborgene Wort Sozialismus nicht genannt wurde.

Dabei verwischt der Faschismusbegriff entscheidende Unterschiede zwischen faschistischen Regimen und Bewegungen auf der einen und der Herrschaft des Nationalsozialismus auf der anderen Seite. Der programmatische, eliminatorische Antisemitismus der NSDAP und die industriell organisierte Vernichtung von Millionen von Juden, Angehörigen anderer Minderheiten oder politischen Gegnern sind eine deutsche, keine italienische Realität gewesen.

Wesentliche Merkmale der Definition fehlen bei der AfD

Gerade wer die Erinnerung an deutsche Verbrechen gegen die Geschichtsrelativierer von der AfD verteidigt, sollte nicht Begriffe verwenden, die dem einzigartigen Charakter des Nationalsozialismus nicht gerecht werden, sondern ihn eher verharmlosen. Das gilt, obwohl auch nichtmarxistische Wissenschaftler versucht haben, den Faschismus-Begriff fruchtbar zu machen.

Auch jenseits der unseligen historischen Tradition des Begriffs gibt es Gründe, seine Tauglichkeit zur Beschreibung der AfD zu bezweifeln. Als wesentliche Merkmale des Faschismus gelten das Führerprinzip, der Totalitätsanspruch, eine am Militär orientierte Parteiorganisation und eine kulturstiftende, auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale weltliche Ersatzreligion.

Allerdings hat die AfD entweder kein Führerprinzip – oder es funktioniert nicht besonders gut. Weder Tino Chrupalla noch Alice Weidel gelten als charismatische Politiker – und Fraktionschef Alexander Gauland schon gar nicht. Die Führung der Partei auf Landes- und Bundesebene wird in demokratischen Wahlen entschieden, deren Ausgang nicht feststeht. Auch deshalb haben die Vorsitzenden der Partei immer wieder gewechselt. Die Parteiorganisation der AfD ist nicht an einem militärischen Vorbild orientiert.

Elemente eines Führerkults lassen sich allerdings bei Björn Höcke beobachten, dessen Flügel in der Partei an Einfluss gewinnt und den das Bundesamt für Verfassungsschutz gerade als „erwiesen extremistische Bestrebung“ zum „Beobachtungsfall“ hochgestuft hat. Auch einzelne andere Faschismus-Kriterien treffen auf die AfD zu: Sie ist extrem nationalistisch, anti-liberal und anti-individualistisch. Sie macht für viele Missstände in der Gesellschaft Flüchtlinge verantwortlich, verbreitet ein mythisch-überhöhtes Bild der Nation.

Aber wer die AfD umstandslos ins Fach „Faschismus“ steckt, wird blind für das eigentlich Erschreckende an ihrem Erfolg: dass sich ihr Aufstieg nach Jahrzehnten intensiver Beschäftigung der Deutschen mit der eigenen NS-Geschichte in wirtschaftlich guten Zeiten ohne Zwang und unter Ausnutzungen aller demokratischen Freiheiten vollzieht.

Auch der ständige Nazi-Vergleich ermüdet

Den Rassismus, den Fremdenhass, das gezielte Schüren von Angst und das eindimensionale Geschichtsbild der AfD kann man auch beim Namen nennen, ohne den Begriff Faschismus zu bemühen. Speziell für die SPD gilt: Die Nachfolger der einst von Ernst Thälmann und Josef Stalin bekämpften Sozialdemokraten aus der Weimarer Republik distanzieren sich von der eigenen Geschichte, wenn sie sich den Faschismus-Begriff so vorbehaltlos und inflationär zu eigen machen.

Zu denken sollte ihr zudem geben: Unter dem großen Schirm des Antifaschismus versuchen sich auch linksradikale, systemfeindliche Gruppen anschlussfähig an die Mehrheit der deutschen Gesellschaft zu machen.

Auch der ständige Nazi-Vergleich ermüdet und ist kontraproduktiv. Mit den Worten „Die SPD kann mit niemandem regieren, der den Einmarsch von Nazis in Regierungen den Weg ebnet“ drohte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans nach dem Coup von Erfurt mit der Aufkündigung der großen Koalition.

Richtig ist: Die AfD agiert zunehmend systemfeindlich, macht Minderheiten zu Sündenböcken, schürt Ängste und nähert sich dem Rechtsextremismus so deutlich, dass immer mehr Ämter für Verfassungsschutz sie beobachten. Aber sie unterhält weiter keine eigenen paramilitärischen Verbände, kündigt zumindest in ihrem offiziellen Programm keinen Massenmord an und ruft auch nicht dazu auf.

„Wenn eine Partei rassistisch und demokratiefeindlich agiert, braucht man nicht unbedingt den Bezug zum Faschismus oder zu Ausschwitz, stattdessen sollten wir entlang der aktuellen Verfassungsethik und Gesetze argumentieren“, fordert der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Es gebe keinen Grund zur Entwarnung, sagte er: „Weil die AfD extrem gefährlich für die Demokratie und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft ist, sollte man sich auf das konkrete Denken und ihre Praxis konzentrieren."

Die konkreten inhaltlichen Positionen müssen kritisiert werden

Die „Mantra-artige“ Etikettierung der AfD als faschistisch oder nationalsozialistisch halte die Menschen weder von ihrer Wahl ab noch lasse sich die Partei damit besser bekämpfen. „Erstens werden die jeweiligen konkreten, inhaltlichen Positionen der AfD damit zu wenig angegangen“, erklärt der Mitherausgeber eines Buches über die AfD („Smarte Spalter“): „Zweitens kann dies abstumpfend wirken und sogar eine gewisse Verharmlosung gegenüber der NS-Geschichte befördern.“

Auch der Historiker Heinrich August Winkler warnt davor, die AfD mit den Nationalsozialisten gleichzusetzen. Die Partei sei „am ehesten mit den Deutschnationalen der Weimarer Zeit zu vergleichen“, meinte er kürzlich. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war nach seinem Urteil eine „antidemokratische, nationalistische und reaktionäre Rechtspartei mit einem starken völkisch-rassistischen Flügel“. Solche Ziele im 21. Jahrhundert erneut als vermeintliche politische Lösung anzubieten, ist schlimm genug.

Ebenso wird der Vergleich mit der Endphase der Weimarer Republik immer wieder herangezogen. Einen „Hauch von Weimar“ vermeinte der FDP-Politiker Gerhart Baum nach der Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU und AfD zu spüren. Das klang wie eine Warnung vor dem Ende der Demokratie in Deutschland, nur eben fast 90 Jahre später.

Dabei sind die Unterschiede zwischen dem Jahr 2020 und den Jahren vor der Machtübergabe an Hitler Ende Januar 1933 groß: Während damals Massenarbeitslosigkeit Millionen ins Elend trieb, weist eine wirtschaftlich starke Bundesrepublik heute Rekord-Beschäftigungszahlen aus. Während in der Weimarer Republik in schneller Folge die Regierungen wechselten, ist die Bundesrepublik immer noch von großer Stabilität gekennzeichnet. Demokratie als politische Praxis ist seit Jahrzehnten eingeübt und wird von einer großen Mehrheit, auch der Eliten, anders als damals entschieden verteidigt. Gerade in der Endphase der Jahre 1932/33 war die Gewalt verfeindeter paramilitärischer Verbände endemisch und provozierte eine bürgerkriegsähnliche Lage – davon kann heute keine Rede sein.

Die Morde von Hanau und Halle haben auch die Politik aufgeschreckt

Im Zusammenhang mit den NSU-Morden gab es in Sicherheitsbehörden und Medien eine Vorurteilskultur gegenüber Migranten, die zu Fehlschlüssen und Verdächtigungen gegen die Familien der Opfer führte. Die Morde von Halle und Hanau haben die Gesellschaft und die Politiker, auch CSU-Innenminister Horst Seehofer, aufgeschreckt.

Bis in die Union hinein hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass die Sicherheitsbehörden den Rechtsterrorismus lange unterschätzt haben. Sicher scheint das autoritäre Weltbild von Rechtpopulisten oder -extremen für manche Polizisten oder Soldaten attraktiv. Sicherheitsbehörden und Justiz müssen ständig neu aufgestellt werden, aber anders als in der Weimarer Republik sind sie keine Systemfeinde.

Es ist nötig, nach der Ursache für den Erfolg von Rechtspopulisten und -extremisten zu fragen. Die Politik muss sich viel stärker darum bemühen, dass sich weniger Menschen im gesellschaftlichen Wandel unbehaust oder gar überrollt fühlen. Schließlich ist der populistische Aufstand nicht allein ein deutsches Phänomen, sondern in vielen westlichen Gesellschaften zu beobachten.

Wer die Mahnung des Konfuzius, die Worte richtig zu wählen, vergisst, tut der Demokratie keinen Dienst. Es gibt keinen Grund, mit Begriffskeulen um sich zu schlagen und Zerrbilder einer scheiternden Ordnung auszumalen. Damit nämlich schreibt man den Herausforderern des politischen Systems jene Macht schon zu, von der sie bisher nur reden und träumen. Und wer die AfD größer macht, als sie ist, nutzt am Ende nur der AfD.

Zur Startseite