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In Deutschland soll ein 3. Geschlecht anerkannt werden, in Kalifornien gibt es schon die passenden Toiletten.

© Sara D.Davis/AFP

Falsch verstandene Sprachpolitik: Da fehlen uns die Wörter

Sprachliche Differenzierung ist gut, zu viel davon führt aber zu Sprachlosigkeit und macht Diskussionen über gesellschaftliche Missstände unmöglich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Konservative Deutschnationale müssen in diesen Tagen sehr tapfer sein. Erst hat Deutschland den größten Zuzug an Asylsuchenden in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt. Dann verlor die Ehe ihr heteronormatives Fundament. Und nun wird auch noch die Geschlechterbinarität aufgebrochen.

Mit dem gesellschaftlichen Wandel wächst bei vielen die Unsicherheit wie sie über die neue Lebensrealität sprechen können. Sind die Neuen in Deutschland nun Ausländer, Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge oder Geflüchtete? Nennt man das dritte Geschlecht nun Hermaphroditen, Intersexuelle, Zwitter oder schafft man die Kategorie Geschlecht gleich komplett ab?

Die Autoren Matthias Dusini und Thomas Edlinger erkennen in ihrem Buch „In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness“, dass die Menschen hierzulande sich und ihrer Sprache kaum noch trauen: „Sie heben die Hände in die Höhe und biegen Zeige- und Mittelfingerspitzen synchron zweimal nach unten. Neben heute schon zu Quarantäne-Klassikern verkommenen Begriffen wie „Dritte Welt“ oder „Behinderte“ sind es hierzulande bislang unbelastete Begriffe, über die eine semantische Käseglocke gestülpt wird.“

Selbst Kulturwissenschaftler wagten es demnach nicht mehr von der Wirklichkeit zu sprechen, folglich haben auch an Universitäten die Anführungszeichen Hochkonjunktur. Begriffe werden ironisiert, die eigene Ausdrucksfähigkeit heruntergedimmt, um bloß nicht den Rahmen der vermeintlichen Korrektheit zu sprengen.

Der Grat zwischen Diskriminierung und Verwässerung ist schmal

Selbstverständlich gibt es Rassisten, die ganz bewusst diskriminierende Rhetorik einsetzen. AfD-Politiker verwenden heute wieder Nazivokabular wie Lügenpresse, Volksverräter und Überfremdung.

Und oft wünscht man sich auch in der gesellschaftlichen Mitte größere sprachliche Differenzierung. So war im jüngsten Skandal um die Berliner Polizeiakademie in Medien wahlweise von der Unterwanderung durch „arabische Großfamilien“, „Araber und Türken“, „ausländische Bewerber“ oder „Migranten-Clans“ die Rede.

Der Grat zwischen Diskriminierung und Verwässerung ist schmal. Dabei wird der berechtige Einwand gegen belastete Begriffe aber oft mit einer Sprachpolitik verwechselt, die das Benennen von Tatsachen zunehmend unmöglich macht.

Der Kampf gegen Diskriminierung kann aber nicht allein über die Sprache gewonnen werden. Wer ausländerfeindlich, antisemitisch und sexistisch denkt, kann sein Gift mit dem harmlosesten Vokabular verbreiten. Auf der anderen Seite überhöhen postmoderne, akademische Diskurse die Macht des Wortes. Dann wird Sprache oft mit Handeln gleichgesetzt. An der Humboldt-Universität Berlin erschien vor einigen Jahren die Broschüre „Was tun? Sprachhandeln aber wie?“, die Vorschläge für nicht diskriminierende Sprachhandlungen lieferte.

Darin wird die sogenannte x-Form aufgeführt, die den Sprechenden eine Geschlechtspositionierung ersparen soll. Das liest sich dann so: „Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht, dass es nur so wenige Schwarze Professxs gibt.“ Jahrzehntelang kämpfte der Feminismus für das Sichtbarwerden von Frauen in der Sprache. Und plötzlich gilt die Neutralisierung als emanzipatorisch – und mit ihr wird die bestehende Geschlechterungerechtigkeit kaschiert.

Das Reden über gesellschaftliche Entwicklungen sollte angstfrei möglich sein

Sicherlich kommt der Sprache ein bedeutsamer Anteil bei der Bewusstseinsbildung zu, doch Begriff und Bewusstsein sind nicht identisch. Sie stehen vielmehr in Wechselwirkung. Die menschliche Sprache ist der Ausdruck historischer Erfahrung und gesellschaftlicher Praxis. In ihr offenbaren sich gesellschaftliche Normen und Machtverhältnisse.

Falsches Vokabular kann zwar auf ein falsches Bewusstsein verweisen, die Missstände dieser Welt lassen sich aber nicht durch die bloße Veränderung auf der sprachlichen Repräsentationsebene beheben. Wem nützten neue Begriffe, wenn das Ressentiment aber fortlebt, die schlechte Wirklichkeit von einer korrekten Sprachfassade verdeckt wird. Wie soll Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden, wenn die Geschlechter sprachlich aufgelöst werden, bevor es Gerechtigkeit gibt? Wie soll Integration und ein friedliches Zusammenleben funktionieren, wenn Probleme wie der Antisemitismus in der arabischen Migrationsgesellschaft nicht konkret benannt werden können?

Ein rigoroser, verbissener Sprachformalismus wird allein keine Veränderung bringen und trotzdem braucht es einen reflektierten Umgang mit Sprache. Das generische Maskulinum ist problematisch, wer es verwendet, ist aber noch lange kein Sexist. Warum also ein Gespräch abbrechen, nur weil das Gegenüber falsche Begrifflichkeiten verwendet, aber gute Absichten erkennen lässt?

Das Reden über gesellschaftliche Entwicklungen sollte angstfrei möglich sein. Unsicherheit und Streit gehören dazu. Das Scheitern auch. Widersprüche sollten ausgehalten, nicht sofort eingeebnet werden. Sonst droht ein gesellschaftlicher Imperativ zum Konsens. Und mit ihm die Gefahr, dass wir alle verstummen.

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