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Restaurantbesucher müssen in den meisten Bundesländern ihre Kontaktdaten abgeben. (Symbolbild)

© Sebastian Gabsch PNN

Fälle aus fünf Bundesländern bekannt: Polizei nutzt Kontaktdaten aus Restaurants auch zur Strafverfolgung

Gäste sind während der Corona-Pandemie dazu verpflichtet, ihre Kontaktdaten abzugeben. Diese werden allerdings nicht nur zur Kontaktverfolgung verwendet.

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Zum Zwecke der Strafverfolgung darf die Polizei die persönlichen Daten von Bürgern aus sogenannten "Corona-Gästelisten" abfragen. Das ergab eine Anfrage des Tagesspiegel an die Innenministerien der Länder.

Lediglich das Innenministerium in Baden-Württemberg teilte mit, dass es die Corona-Verordnung des Landes der Polizei nicht gestatte, Personendaten wie Anschrift und Telefonnummer von Restaurantgästen abzufragen. In der Verordnung sei ausdrücklich festgelegt, dass die privaten Informationen von Gästen nur zur Verfolgung möglicher Infektionsketten erhoben und ausgewertet werden dürfen.

In fast allen Bundesländern sind Gäste seit der Wiedereröffnung von Restaurants und Kneipen nach dem pandemiebedingten Lockdown dazu verpflichtet, ihre Kontaktdaten zu hinterlassen, um sie bei einem möglichen Ausbruch darüber informieren zu können.

Auf den Anmeldebögen steht in der Regel, die Daten würden "ausschließlich im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus" verwendet. So sieht es das Infektionsschutzgesetz eigentlich vor. Die Daten sollen nach vier Wochen gelöscht werden.

Wie oft Polizeibehörden persönliche Daten aus Restaurants bereits abgerufen haben, ist schwer zu beziffern. Aus mehreren Innenministerien heißt es, dass dazu keine Statistik geführt werde.

Datenabfragen zur Strafverfolgung in den Bundesländern

  • In Nordrhein-Westfalen sind keine Fälle bekannt. Je nach Rechtslage sei die Polizei dort aber befugt, Daten abzugreifen. Insbesondere zum Zwecke der Strafverfolgung.
  • Baden-Württemberg gestattet der Polizei keinen Zugriff auf die Daten aus Restaurants.
  • Konkrete Fälle sind aus Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Bremen und Hamburg bekannt.
  • Das saarländische Innenministerium teilte mit, dass die dortige Polizei bereits viermal Daten aus Restaurants abgefragt habe.
  • Der Polizei in Hamburg seien fünf Fälle bekannt.
  • Bremen habe „vereinzelt“ auf Gästelisten zurückgegriffen – wie der Innensenator mitteilte, um ein Sexualdelikt und eine gefährliche Körperverletzung aufzuklären.

Die meisten Bundesländer betonen, dass es sich dabei um Ausnahmefälle handele und gründlich zwischen dem Eingriff in das Freiheitsrecht der betroffenen Person und dem Strafverfolgungsinteresse abgewogen werden muss. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Mit anderen Worten: Je schwerer die Straftat, um die es geht, desto eher ist ein Eingriff gerechtfertigt.

Rechtsgrundlage für den Fall in Bremen etwa war Paragraph 94 der Strafprozessordnung. Er regelt die Beschlagnahme von Gegenständen. „Gegenstände“ sind hier die Zettel, das Wichtige an ihnen sind aber die darauf befindlichen Daten.

Ob Daten überhaupt „Gegenstände“ im Sinne der Strafprozessordnung sein können, dazu hat sich das Bundesverfassungsgericht schon 2005 geäußert: Ja, sie können. Dabei muss das staatliche Handeln – wie stets – verhältnismäßig sein.

Die Beschlagnahme personenbezogener Daten greift nämlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein – ein Rechtsinstitut, das vom Bundesverfassungsgericht 1983 im dadurch berühmt gewordenen Volkszählungsurteil als Grundrecht anerkannt wurde. Es folgt aus Artikel 2 des Grundgesetzes, der Freiheit der Person und gilt als Datenschutz-Grundrecht. Aus ihm fließt auch das Recht am eigenen Bild.

Datenabfrage zur Strafverfolgung: Bundesländer verteidigen das Vorgehen

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte den möglichen Zugriff der Polizei auf Gästelisten des Gastgewerbes in bestimmten Fällen in dieser Woche verteidigt. Es sei völlig unstreitig, dass die Polizei bei einem Anfangsverdacht auf eine Straftat auch auf diese Listen zugreifen könne, sagte Dreyer.

Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rechtfertigte die Nutzung der Daten in Ausnahmefällen. Gästelisten aus Restaurants könnten "im Einzelfall wichtige Ermittlungsansätze liefern", sagte er am Freitag. "Gerade Kapitalverbrechen müssen sorgfältig ausermittelt werden, damit der Täter seine gerechte Strafe erhält."

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Der Tourismusbeauftragte Thomas Bareiß (CDU) rief die Sicherheitsbehörden dagegen zur Zurückhaltung auf. "Alles andere untergräbt auch die Glaubwürdigkeit von Politik und schafft vor Ort bei Restaurants enorme Verunsicherung."

Der Gaststättenverband Dehoga forderte eine Klarstellung der 16 Landesregierungen, ob und wie die Polizei die bei Restaurantbesuchen notwendigen Corona-Gästelisten auswertet. Auch Datenschützer kritisieren den möglichen Abgriff von Kundendaten.

FDP-Politiker befürchtet Vertrauensverlust

"Wenn sich Restaurantbesucher nicht mehr darauf verlassen können, wird das Vertrauen in die Corona-Schutzmaßnahmen ausgehöhlt", sagt Stephan Thomae, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, gegenüber dem Tagesspiegel. Die Bürger gäben in Restaurants ihre persönlichen Daten preis im Vertrauen darauf, im Zweifelsfall dadurch Leben zu retten.

In einem Rechtsstaat müsse die Bevölkerung darauf vertrauen können, dass der Staat nicht in einem privaten Umfeld - und dazu gehöre der Restaurantbesuch - auf Persönliches zugreife. Der FDP-Politiker befürchtet, dass künftig mehr Menschen aus Angst vor einem nicht zweckgebundenen Zugriff Falschangaben machen könnten oder gar nicht mehr erst bereit seien ihre Daten preiszugeben.

Grundsätzlich gilt: Der Betroffene soll die volle Kontrolle behalten und jederzeit wissen, wer welche Daten von ihm hat. Deswegen haben die meisten Bundesbürger seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sehr viele Unterschriften geleistet, etwa bei Ärzten. Und auch online sehr viele Einwilligungen erteilt.

Wer in einem Restaurant seine Daten hinterlässt, um im Falle einer Corona-Infektion ermittelbar zu sein, willigt nicht automatisch ein, dass seine Daten auch zu Zwecken der Strafverfolgung verwendet werden. Gleichwohl ist das möglich, und es liegt eher eine politische Entscheidung darin, es nicht zu tun.

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