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Kommt lieber mit der U-Bahn: Volker Wissing, designierter Verkehrsminister, lässt den Fahrdienst auch mal stehen.

© Kay Nietfeld/dpa

Fährt lieber U-Bahn als Fahrdienst: Wie tickt der neue Verkehrsminister?

Das Ministerium für Verkehr und Digitales geht an die FDP – für die Grünen eine große Enttäuschung. Was ist von Volker Wissing als Verkehrsminister zu erwarten?

Gerade an der Grünen-Basis haben gestern viele ungläubig gefragt: Was? Volker Wissing wird neuer VerkehrsministerNicht Cem Özdemir oder Anton Hofreiter? Jahrelang hatte die Partei davon gesprochen, nach den CSU-Ministern Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer eine klima- und menschenverträgliche Verkehrspolitik machen zu wollen.

Doch offensichtlich ist es den Spitzenverhandlern der Grünen in der letzten Nachtsitzung nicht gelungen, neben dem Wirtschafts- und Energieministerium sowie den Ressorts für Umwelt und Landwirtschaft noch ein weiteres für den Klimaschutz relevantes herauszuschlagen. Außerdem war Hofreiter wohl das Agrarministerium wichtiger, ist zu hören.

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Jetzt also Volker Wissing. Was ist von ihm als Verkehrsminister zu erwarten? Bundesweite Bekanntheit hat der 51-jährige Jurist eher als Finanzexperte im Bundestag und in jüngster Zeit als FDP-Generalsekretär erlangt.

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Deshalb lohnt ein Blick in seine Heimat Rheinland-Pfalz, wo der Winzersohn von 2016 bis Mai 2021 nicht nur Minister für Weinbau war, sondern auch für WirtschaftVerkehr und Landwirtschaft.

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In der Landeshauptstadt Mainz erinnert man sich gut an Wissing. „Wer die Vorstellung hat, er als FDP-Mann würde Lobbypolitik für Porsche-Fahrer machen, ist naiv“, sagen politische Beobachter. Der Minister habe sich durchaus auch mal mit dem konservativen Teil der Liberalen angelegt.

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Er sei schon sehr früh mit einem E-Tretroller vor dem Landtag aufgekreuzt, und in Berlin nutze er lieber die U-Bahn als den Fahrdienst, weil er nicht im Stau stehen wolle.

Analytisch, undogmatisch und aufgeschlossen für Neues

Wissing gilt als sehr analytisch, undogmatisch und aufgeschlossen für Neues. Mit seinem Nahverkehrsgesetz hat er den ÖPNV in die Hände der Kommunen gelegt, damit die mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Er hat sich mit den Zweckverbänden für den Nahverkehr auf der Schiene angelegt, die unter dem Einfluss von CDU und SPD stehen.

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Wer durch Rheinland-Pfalz fährt, durchquert drei Tarifverbände, was die Fahrt unnötig teuer macht. Das hätte Wissing gerne abgeschafft, er scheiterte aber am Beharrungsvermögen der Verbände.

Besser lief die Reaktivierung alter Bahnstrecken. Außerdem ließ Wissing Brücken sanieren und Landesstraßen ausbauen. Neubauprojekte sind selten, andernfalls wäre dem Minister auch der grüne Mainzer Ampelpartner in den Arm gefallen. Die dortige Koalition regiert ziemlich harmonisch, was Wissing auch in Berlin immer wieder betont.

Mit einem Nutzfahrzeug-Cluster E-Lkw gefördert

Als Landesminister förderte er nachhaltige Antriebskonzepte, zum Beispiel Wasserstoff für Lastwagen. Es gibt ein eigenes Nutzfahrzeug-Cluster, das auch den E-Lkw von Mercedes-Benz unterstützt hat, der im Werk in Wörth am Rhein gebaut wird. In Mainz soll in Zukunft eine Solarfähre autonom fahren, auch dieses Projekt wurde noch unter Wissing angeschoben.

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Der Mann aus Landau ist also kein FDP-Mann vom alten Schlage wie Rainer Brüderle. Andererseits hat er den Klimaschutz nicht so verinnerlicht wie Anton Hofreiter oder Cem Özdemir.

Die Grünen setzen jetzt darauf, dass der korrekte Jurist Wissing sich strikt an den Koalitionsvertrag hält und wichtige Punkte abarbeitet: die Ausweitung der Lkw-Maut auf leichtere Fahrzeuge, eine CO2-basierte Lkw-Maut, mehr Investitionsmittel für die BahnErhalt von Straßen statt Neubau. 

Der Mann, der im Normalfall beruflich immer noch Anzug und Krawatte trägt, kommt natürlich aus einem anderen Milieu als die Grünen. Doch Menschen, die ihn kennen, sagen: „Er hat einen scharfen, logischen Verstand. Deshalb ist ihm klar, dass der Verkehr noch viel beitragen muss, damit wir das 1,5-Grad-Ziel schaffen.“

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Einen Bezug zur Natur hat Wissing durch seine Herkunft. Sein Vater ist Winzer, als Kind und Jugendlicher musste Sohn Volker im Weinberg immer mit anpacken – teilweise bis in die Nacht. Das Weingut übernehmen wollte er dann aber nicht. Stattdessen studierte er Jura in Saarbrücken und Freiburg, promovierte in Münster. Er war Staatsanwalt und Richter am Landgericht, was für seine Qualifikation als Jurist spricht.

In die FDP ist er nach eigener Aussage eingetreten, weil ihm die Freiheit so wichtig ist. Diesen nahe liegenden Gedanken lädt er aber historisch auf: Sein Geburtsstadt Landau war 1833 Schauplatz des sogenannten Assisenprozesses, des Verfahrens gegen die Redner auf dem Hambacher Fest.

Anwalt, Weinkenner und Organist

Bei den Liberalen stieg er schnell auf, wurde 2011 Landesvorsitzender, zog in den Landtag und in den Bundestag ein, wo er finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion und Vorsitzender des Finanzausschusses wurde.

Da Wissing als pflichtbewusst gilt, folgte er dem Wunsch seines Parteichefs und Vertrauten Christian Lindner, der ihn 2020 als Generalsekretär in Berlin brauchte, nachdem er die glücklose Linda Teuteberg geschasst hatte. Einige Monate machte Wissing diesen Job sogar parallel zu seinem Ministeramt in Mainz. 

Als ob Wissing nicht ausgelastet wäre, führt er auch noch eine eigene Anwaltskanzlei für Wirtschafts- und Erbrecht. Er hat Frau und Tochter, kocht und backt „nicht einmal schlecht“, wie ihm die beiden bestätigen. Wenig überraschend: Er liebt deutschen Riesling und Spätburgunder. Eher überraschend: Wissing ist Organist und hat viele Jahre in evangelischen Gottesdiensten gespielt.

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