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Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.

© Christian Hartmann/Reuters Pool/AP/dpa

EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Warum der Konflikt zwischen Karlsruhe und Europa etwas zu still beerdigt wurde

Das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland ist eingestellt, Berlin hat vermutlich die richtigen Zusagen gemacht. Aber welche? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Eher leise wurde jetzt ein Konflikt beerdigt, von dem gemutmaßt wurde, er könne Bundesrepublik und EU entzweien. Es ging um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2020. Karlsruhe hatte die geldpolitische Maßnahme zur Stützung der Eurozone sowie deren Bestätigung durch den Europäischen Gerichtshof als „ausbrechenden Rechtsakt“ gerügt, als Maßnahme jenseits der EU-Kompetenzen („ultra vires“). Dieses Urteil wurde seinerseits als ausbrechender Rechtsakt gedeutet: Karlsruhe habe so den Anwendungsvorrang des EU-Rechts in Frage gestellt.

Es gibt kein „letztes Wort“ eines Gerichts

In Polen freute man sich, weil das EZB-Urteil als Berechtigung gelesen wurde, sich von der EU-weiten Rechtsstaatlichkeit zu entfernen. Aus guten, weil generalpräventiven Gründen leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein – das nun mit ebenso guten Gründen eingestellt wurde. Denn der Konflikt kann nur am Einzelfall verhandelt werden, aufzulösen ist er nicht; es gibt kein „letztes Wort“ eines Gerichts. Die EU ist darauf angewiesen, dass ihr Programm mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten harmoniert, auch mit deren staatlicher Souveränität.

In der Bundesrepublik gelingt das. Die Rechtsprechung aus Karlsruhe bleibt europafreundlich. Das EZB-Urteil war kein Angriff auf das EU-Recht, sondern hat, im Gegenteil, dessen Geltung für die EZB eingefordert. Das polnische Verfassungsgericht geht dagegen zunehmend auf echte Konfrontation.

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Unterschiedliche Fälle sind unterschiedlich zu behandeln. Der Kommission ist dies gelungen. Das Verfahren gegen Berlin sei einzustellen gewesen, weil die Bundesregierung „sehr klare Zusagen gemacht“ habe. Sie habe zudem versprochen „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires-Feststellung aktiv zu vermeiden“.

Man wird gesagt haben, was Brüssel hören wollte

Im Kern sind das Floskeln, weil zu diesen Mitteln kaum gehören dürfte, das Richterpersonal in Karlsruhe auszutauschen. Vielmehr wird man alles gesagt haben, was Brüssel hören wollte, ohne die Ultra-vires-Rechtsprechung zu verraten. Denn auch an diese ist die Regierung gebunden.

Ein Grenzgang freilich, ein zulässiger. Befremdlich ist nur, dass er im Nebel stattfand. Die Zusagen aus Berlin wurden bisher nicht bekannt gemacht. Es ist okay, den Konflikt leise zu beerdigen. Aber dieses Begräbnis war allzu still.

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