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Vernetzt. Bei den Protesten in Chemnitz suchte Björn Höckes „Flügel“ der AfD den Schulterschluss mit Pegida.

© Ralf Hirschberger/dpa

Extremismusforscher zu AfD: „Der Verfassungsschutz ist viel zu spät dran “

Der Extremismusforscher Steffen Kailitz hält die AfD-Entscheidung des Verfassungsschutzes für längst überfällig - und für nicht ausreichend.

Herr Kailitz, als Extremismusforscher beobachten Sie die AfD seit Jahren. Hat der Verfassungsschutz zum richtigen Zeitpunkt reagiert?

Er ist viel zu spät dran. Das lag auch an seinem ehemaligen Chef, Hans-Georg Maaßen. Die Entscheidung, die AfD insgesamt als „Prüffall“, einzustufen, war lange überfällig. Es ist wichtig, dass die AfD-Jugend und Höckes „Flügel“ nun als Verdachtsfälle eingestuft werden und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden können. Aber das reicht nicht.

An diesem Mittwoch trifft sich der neue Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, mit Vertretern der Landesämter für Verfassungsschutz. Was erwarten Sie?

Aus meiner Sicht müssen die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen unbedingt ebenfalls als Verdachtsfälle eingestuft werden. Es ist ein Fehler, wenn das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen die dortige AfD nur als „Prüffall“ einstuft.

Warum?

Die Landesverbände in Sachsen wie auch Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind klar vom „Flügel“ dominiert. Diese Landesverbände streben nicht einfach nur Regierungsverantwortung an, sondern das was Björn Höcke die „Machtübernahme des Volkes“ – faktisch in Gestalt der AfD – genannt hat. Die „Zeit des Wolfes“ ist laut dem Vordenker des „Flügels“ gekommen. Ganz offen wird hier mit nationalsozialistischer Symbolik gespielt. In Sachsen hat die AfD etwa einen Vize-Chef, Siegbert Droese, der sich bei einem Besuch von Hitlers Wolfsschanze mit der Hand auf dem Herzen fotografieren ließ. In Sachsen wird jetzt sogar darüber nachgedacht, dass Pegida-Vertreter auf der AfD-Landesliste bei der Landtagswahl stehen sollen. Bei dem sogenannten Trauermarsch der AfD in Chemnitz sammelten sich unter ihrer Führung Rechtsextremisten aller Schattierungen.

Woran machen Sie die Dominanz des „Flügels“ im Osten fest?

An diesem Mittwoch findet beispielsweise das erste „Sachsentreffen“ des Flügels statt. Dort sollen Björn Höcke, Andreas Kalbitz, Martin Reichardt und Jörg Urban auftreten – die Landesvorsitzenden von Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Von diesem Treffen geht ein Signal aus: Diese Landesverbände werden von „Flügel“-Männern geführt. Das ist ein riesiger Erfolg für den „Flügel“.

Was hätte es verändert, wenn der Verfassungsschutz beispielsweise in Sachsen früher eingeschritten wäre?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Aber spätestens Anfang 2017 waren die Belege so dicht, dass der Verfassungsschutz hätte eingreifen können. Für Frauke Petry, die die Gesamt-AfD und den Landesverband in Sachsen 2017 leitete, hätte das einen Unterschied machen können. Ihr wurde insbesondere die Radikalisierung im Freistaat zum Verhängnis, sie geriet in die Isolation. Wäre der Verfassungsschutz schon damals auf den Plan getreten, hätte das Petry Argumente an die Hand gegeben, um die Radikalen in Schach zu halten.

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Entscheidung des Verfassungsschutzes für die AfD insgesamt ein?

Da muss man unterscheiden. Im Westen befürchtet die AfD zu Recht, dass die Einstufung als Prüffall zu Einbrüchen in den Umfragen führt. Dort hat sie eine große Anhängerschaft im öffentlichen Dienst. Wenn staatliche Stellen bei der Partei verfassungsfeindliche Tendenzen beobachten, beeindruckt das diese Leute durchaus. Für die östlichen Bundesländer erwarte ich diesen Effekt nicht. In Sachsen etwa ist die NPD, die ja ganz klar rechtsextremistisch war, mehrfach in den Landtag eingezogen. In der AfD machen sich entsprechend Spitzenfunktionäre aus dem Osten sogar über den Verfassungsschutz lustig. Die Thüringer AfD wirbt mit dem Slogan „verdächtig gut“. Sie spielt mit der Beobachtung, ironisiert sie.

Wie groß könnten denn die innerparteilichen Spannungen in der AfD letztendlich werden?

Es kann durchaus Unruhe aufkommen. Der „Flügel“ ist zwar einflussreich, aber er wird trotzdem Kompromisse mit den nicht extremistischen Teilen der Partei schließen müssen. Von Parteichef Alexander Gauland wird nun erwartet werden, dass er Kalbitz und Höcke nicht mehr einfach so schalten und walten lässt. Man darf ja nicht vergessen, dass es vor allem in den westdeutschen Landesverbänden einen bedeutenden Teil von AfD-Mitgliedern und Funktionären gibt, der nicht rechtsextrem ist.

Steffen Kailitz ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Er ist Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut und beschäftigt sich unter anderem mit Extremismus- und Totalitarismusforschung.

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