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Am 11. Oktober in Berlin - Klima-Kämpfer legen den Verkehr lahm, Polizisten räumen auf.

© AFP

Extinction Rebellion und ihre Mission: Denn sie zweifeln nicht an ihrem Tun

Politische Bewegungen brauchen Radikalität. Aber sind Untergangs-Szenarien nötig? Die Geschichte der Grünen zeigt, dass Skepsis hilfreich ist. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Werner van Bebber

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber manchmal kehrt etwas wieder. Zum Beispiel die Absolutheit, mit der eine Bewegung weiß, was die Zukunft bringt. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber es geht ums Überleben“, war auf einem Transparent zu lesen, mit dem Aktivisten von „Extinction Rebellion“ in der vergangene Woche die Berliner Wilhelmstraße sperrten. Sie haben die Apokalypse vor Augen.

Darin erinnern sie an die Gründer der Grünen. Auch die wussten in den späten 70er Jahren (des vergangenen Jahrhunderts), dass der Weltuntergang kommen würde. Sie beriefen sich auf die Studie eines CDU-Manns (!) namens Herbert Gruhl: „Ein Planet wird geplündert.“ Sie beriefen sich auf den Bericht des Club of Rome über „Die Grenzen des Wachstums“.

Es geht nicht um Spott

Und sie wollte unbedingten Pazifismus. Denn die Regierungen der westlichen Welt hielten nicht bloß stur an ihrer Wachstumsideologie fest – sie rüsteten auch noch auf! Ein westdeutscher Bundeskanzler namens Helmut Schmidt (genau der, den später alle so toll fanden) setzte im Verbund mit der Wachstumsmacht Nummer eins, den Vereinigten Staaten, gegen die Aufrüstung der Sowjetunion die Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik durch. Hunderttausende Menschen demonstrierten dagegen 1981 und 1983 in Bonn unbedingten Friedenswillen. Im Aufruf zu der Demonstration hieß es (laut Wikipedia): „Die 80er Jahre werden mehr und mehr zum gefährlichsten Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit. Ein 3. Weltkrieg wird aufgrund der weltweiten Aufrüstung immer wahrscheinlicher.“ Und dann kam es doch anders.

Jede Revolution ist illegal bis sie erfolgreich ist.

schreibt NutzerIn ohmanwiekannmansowasglauben

Damit das klar ist: Es geht nicht darum, die von ihrer Mission beseelten Anhänger von Extinction Rebellion zu verspotten. Es geht auch nicht darum, sich vier Jahrzehnte später über Leute lustig zu machen, die Anfang der 80er Todesangst spürten, weil sie glaubten, dass das Aufstellen von Raketen zu einem weltvernichtenden Krieg führen würde. Es geht bloß um Vorsicht im Umgang mit denen, die genau wissen, was die Zukunft bringt. Es geht darum, dass das Zweifeln angebracht ist im Umgang mit denen, die Zweifel nicht kennen. Ob sie Trump heißen oder Erdogan oder Roger Hallam, einer der Begründer von Extinction Rebellion.

Roger Hallam, ein Gründer von Extinction Rebellion in England
Roger Hallam, ein Gründer von Extinction Rebellion in England

© dpa

Genau: das ist der Mann, der zusammen mit Gesinnungsgenossen den Flugverkehr in London Heathrow mit Drohnen zum Erliegen bringen wollte. Kurz vor seiner Festnahme hatte er mit „Spiegel Online“ über die möglicherweise bevorstehende „Ausrottung der Menschheit“ gesprochen. Die Klimakatastrophe sei „größer“ als die Demokratie, sagte er. „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen.“

Wolfgang Wieland war von Anfang an bei den Grünen beziehungsweise ihrem West-Berliner Vorläufer, der Alternativen Liste. Er hat die Debatten über Gewalt und das Imperative Mandat mitgemacht, über die Schwächen und Stärken der Demokratie. Die "Unbedingtheit", mit der die XR-Bewegten heute dabei sind, erinnert ihn an die Entstehungszeit der Grünen. Ähnlich auch "der Einsatz des eigenen Körpers", wie damals etwa bei Blockaden in Gorleben, wo eine Endlagerstätte für Atomkraft-Brennstäbe gebaut werden sollte. "Im Positiven" müssen man, jedenfalls bisher, die Gewaltfreiheit von Extinction Rebellion sehen, so Wolfgang Wieland.

"Direkte Aktionen" als letztes Mittel

Die Demokratie als Herrschaftsform, die es nicht packt. Die eine – eigene – Moral, die höher steht als die Moral der Andersdenkenden. „Direkte Aktionen“, die als einziges Mittel noch helfen: Es sind die Begriffe, mit denen frühe Grüne, Friedens- und Anti-Atom-Bewegte Blockaden begründeten – und die radikaleren unter ihnen auch Attacken auf Polizisten. Jahrelang haben frühe Grüne die Meinung vertreten, „Gewalt gegen Sachen“ sei legitim. Überhaupt gebe es eine „strukturelle Gewalt“, die zum Beispiel staatlichen Strukturen innewohne. Und dagegen dürfe man sich wehren.

Ausgerechnet Jutta Ditfurth, eine der Radikalen bei den Grünen der achtziger Jahre, warnt jetzt vor Extinction Rebellion, nennt die Bewegung eine „esoterische Sekte“. Vor ein paar Tagen twitterte sie: „XR schürt Emotionen, die den Verstand vernebeln, wenn sie z.B. behaupten ‚Wir sind die letzte Generation der Menschheit vor der Auslöschung‘.“ Ditfurth kennt sich aus mit radikalen Überzeugungen. Als Sprecherin der Grünen brachte sie viele Parteifreunde gegen sich auf, als sie 1985 behauptete: Die Grünen trügen Mitschuld am Tod jungen Mannes, der im selben Jahr bei einer Demonstration in Frankfurt von einem Wasserwerfer überrollt worden war. Denn die Grünen hätten einen Etat gebilligt, der auch Gelder für polizeiliche Wasserwerfer enthielt.

Wenn jemand, der mit moralischer Hybris so viel Erfahrung hat, für klaren Verstand im Umgang mit Extinction Rebellion plädiert, ist das ein großes Lob der Skepsis.

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