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Ein Mitarbeiter von Porsche führt im Werk in Leipzig die finale Qualitätskontrolle an einem Panamera durch.

© dpa/Jan Woitas

Exportweltmeister Deutschland?: Wieso das deutsche Modell nach der Coronakrise nicht mehr funktionieren wird

Die Pandemie bringt Schwächen der exportlastigen Wirtschaft schonungslos zum Vorschein. Gibt es ein Rezept für künftige Stärke? Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Bert Rürup

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Hier ein Beitrag von Prof. Dr. Bert Rürup, Chefökonom des Handelsblatts und Präsident des Handelsblatt Research Institute.Weitere Autoren sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Dr. Jörg Rocholl und Prof. Dr. Renate Schubert.

Viele Jahrzehnte ist Deutschland gut damit gefahren, die Welt mit leistungsstarken Autos und hochwertigen Maschinen zu versorgen. Dank überragender technologischer Wettbewerbsfähigkeit prägt die deutsche Volkswirtschaft bis heute ein großer, stark exportorientierter Industriesektor, in dem jeder vierte Erwerbstätige beschäftigt ist.

Seit den 1950er-Jahren kamen entscheidende Impulse für hohe Wachstumsraten und konjunkturelle Erholungen durchweg von der kräftigen Ausfuhr. Der Ökonom Hans-Werner Sinn sprach deshalb von einer deutschen Wirtschaft, die „wie ein Korken auf der Weltkonjunktur schwimmt“.

Mit keinem anderen Land vergleichbar, trimmte die hiesige Industrie ihre Produktion auf Effizienz, um trotz hoher Arbeitskosten ordentliche Gewinne erzielen zu können.

Konsequenterweise wurden viele Komponenten an Zulieferer aus Niedriglohnländern outgesourced – entsprechend intensiv ist die Bunderepublik in die internationale Arbeitsteilung integriert.

Kein Staat hat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 so stark von dem massiven Globalisierungsschub profitiert wie Deutschland.

Berechtigte Kritik am Exportweltmeister

Vor diesem historischen Hintergrund scheint aus Sicht vieler Bürger und Politiker exportgetriebenes Wachstum „werthaltiger“ zu sein als ein Wirtschaftsplus, das auf privatem und staatlichem Konsum beruht.

Lange trug man hierzulande den Titel „Exportweltmeister“ wie eine Monstranz vor sich her. Kritik an den chronisch überhöhten deutschen Leistungsbilanzüberschüssen wurde und wird oft als ketzerisch zurückgewiesen, ob sie nun von anderen Staaten der Europäischen Union kommt, dem Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank.

Dabei ist die Kritik durchaus berechtigt. Denn die Überschüsse bedeuten nichts anderes, als dass in Deutschland verdientes Geld im Ausland angelegt wird, statt es im Inland für Investitionen oder Konsum zu nutzen.

Gleichzeitig stehen Defizitländern mehr Mittel zur Verfügung als es ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Das wird zum Problem, wenn diese Länder dauerhaft  über ihre Verhältnisse leben – Südeuropa lässt grüßen.

Statt V-Verlauf droht weites U

Zu Beginn der vom Corona-Shutdown ausgelösten weltweiten Rezession hofften viele Ökonomen, der von 2009 bis 2019 anhaltende Aufschwung werde nur von einem kurzen, heftigen Einbruch abgelöst, den man schon im kommenden Jahr wieder kompensieren könnte.

Sieht die Kritik an den hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands als berechtigt an: Bert Rürup
Sieht die Kritik an den hohen Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands als berechtigt an: Bert Rürup

© promo

Derzeit ist die Hoffnung auf einen V-förmigen Verlauf allerdings der Erkenntnis gewichen, die gesamtwirtschaftlichen Verluste nicht vor Mitte 2022 aufholen zu können. An die Stelle des V ist ein weites U getreten.

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Es spricht zwar wenig dagegen, dass Deutschland die bevorstehende tiefe Rezession schneller als andere große EU-Länder oder die USA hinter sich lassen wird.

Dennoch dürfte das einst so erfolgreiche deutsche Modell exportgetriebenen Wachstums künftig nicht mehr wie gewohnt funktionieren. Denn vieles deutet auf einen nachhaltigen Strukturbruch hin.

Die Verletzlichkeit vieler Volkswirtschaften

Zum einen hat die Dynamik des Welthandels schon seit Jahren deutlich abgenommen – nun lässt die Corona-Pandemie auch noch die tiefe Verletzlichkeit vieler Volkswirtschaften wie unter einem Brennglas vergrößert zu Tage treten.

Die Verletzlichkeit war und ist umso größer, je intensiver die Unternehmen auf offene Absatzkanäle und grenzüberschreitende Zulieferungen angewiesen sind.

Umstrukturierungen sind nötig

Es überrascht daher nicht, dass laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung EY in Deutschland mehr als jedes dritte Unternehmen nach den jüngsten Erfahrungen Lieferketten umstrukturieren und so die Liefersicherheit erhöhen will. Die Konsequenz: Gerade deutsche Unternehmen werden künftig weniger profitabel arbeiten.

Zum anderen hat sich die deutsche Automobilwirtschaft viel zu lange auf ihren früheren Erfolgen ausgeruht, zu zögerlich neuen Mobilitätskonzepten zugewandt und so ihre internationale Vormachtstellung aufs Spiel gesetzt.

Der Ruf nach staatlichen Subventionen wirkt umso hilfloser, als das Führungspersonal gerade dieser Branche in jüngster Vergangenheit viel Reputation verspielt hat.

Drittens laufen Deutschland und die Europäische Union Gefahr, im Ringen der USA mit China um die globale ökonomische Vorherrschaft marginalisiert zu werden – zumal Corona wie ein Brandbeschleuniger im bislang nur schwelenden Wirtschaftskrieg zwischen Washington und Peking wirkt.

Die beiden Hegemonialmächte werden ihren Handelspartnern neue Spielregeln diktieren und vor allem eigene Interessen verfolgen: America first, China first.

Drohender Protektionismus

Wie nach dem Ersten Weltkrieg droht eine lange Phase der Deglobalisierung oder deutlicher: des Protektionismus.

Wahrscheinlich ist, dass die USA künftig verstärkt auf selektive Einfuhrverbote setzen werden. So könnten sie ausländische Unternehmen, die weiter Produkte auf dem weltgrößten Absatzmarkt verkaufen wollen, zwingen, den Regierungswünschen entsprechend in den USA zu investieren.

Schiffe werden im Containerhafen in Duisburg, Nordrhein-Westfalen, beladen.
Schiffe werden im Containerhafen in Duisburg, Nordrhein-Westfalen, beladen.

© dpa

Washington würde dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Realkapitalausstattung des Landes könnte modernisiert und zugleich die eigene Importabhängigkeit verringert werden. 

Die Zukunftsfähigkeit freier Märkte nimmt ab

Peking wiederum ist dabei, mit seinem neomerkantilistischen Projekt  der „Neuen Seidenstraße“ ein weltweites Netz von Produktionsstandorten und Absatzmärkten zu knüpfen, das vor allem dem Vorteil Chinas dienen soll.

Zusammengenommen laufen diese  Entwicklungen darauf hinaus, dass der freie Welthandel zugunsten einer bipolaren Wirtschaftsordnung deutlich an Bedeutung verlieren wird.

Damit aber nimmt die Zukunftsfähigkeit des auf freie Märkte setzenden deutschen Geschäftsmodells rapide ab.

Stärkere politische Integration der EU als Lösung

Hat Deutschland diese Gefahr erkannt? Der jüngste Vorstoß von Kanzlerin Angela Merkel, den von Corona besonders stark betroffenen EU-Staaten 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Hilfen gewähren zu wollen, die langfristig aus dem EU-Haushalt zu tilgen wären, deutet darauf hin.

Der Vorstoß zielt klar über die Idee der Vergemeinschaftung von Schulden hinaus auf eine stärkere politische Integration der Staatengemeinschaft.

Tatsächlich wäre die forcierte wirtschaftliche und politische Integration Europas ein Stück weit Ersatz für das kriselnde Exportmodell seines stärksten Mitglieds  –  und für den alten Kontinent wohl auch die letzte Chance, im geopolitischen Ringen der beiden Supermächte nicht unterzugehen. 

Bert Rürup

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