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Andrea Ypsilanti

© dpa

Ex-Chefin der Hessen-SPD: Andrea Ypsilanti rät SPD und Linken zu gemeinsamen Projekten

Zu viel Zeit sei in der Vergangenheit darauf verwendet worden, auf die Differenzen zwischen SPD und Linkspartei zu schauen, anstatt auf mögliche gemeinsame Projekte, beklagt die frühere hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti. Und das sei den politischen Gegnern nur recht.

Von Matthias Meisner

Frau Ypsilanti, haben Sie sich über den Wiedereinzug der Linken in den hessischen Landtag gefreut?

Ich habe ihn erwartet, so wie die Linke in Hessen aufgestellt ist.

Und schädlich ist er ja aus Ihrer Sicht vermutlich auch nicht – denn ohne die Linken im Parlament könnte CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier gemeinsam mit der FDP weiterregieren.

Die Linke gibt uns jetzt in Hessen die Möglichkeit, über neue Gestaltung nachzudenken.

Der SPD-Linke Ralf Stegner, Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, preist ein anderes Modell: Die Linke dort aus dem Parlament gedrängt zu haben, bringe die SPD in die Rolle der einzigen Gerechtigkeitspartei. Tut der Parteienwettbewerb um soziale Gerechtigkeit nicht eigentlich ganz gut?

Ich halte nichts von der Philosophie, alles daran zu setzen, die Linke aus den Parlamenten zu drängen. Das ist so eine Strategie wie: Ich mach mal die Augen zu und dann sind sie weg. Wir müssen uns mit den politischen Positionen der Linkspartei auseinandersetzen. Wenn die SPD Positionen vertritt, die vielleicht die Linkspartei überflüssig machen, ist das Wettbewerb, also okay.

Es wird nicht funktionieren sie zu verschweigen, schlecht zu machen, ihre Positionen für abwegig zu erklären oder sie einfach rauszudrängen. Es hat sich in Hessen gezeigt, dass das nicht klappt, und im Bund erst recht, wo die Linke stark wieder eingezogen ist. Die Wählerinnen und Wähler sind schlauer und schauen sich genau an, für welches Programm sie ihre Stimme abgeben.

Stegner und andere sagen auch: Das, was Gregor Gysi „Ausschließeritis“ nennt, wird es bei der nächsten Bundestagswahl 2017 nicht mehr geben. Ist die SPD lernfähig in dieser Frage?

Wir hätten in den vergangenen Jahren mehr Zeit darauf verwenden können zu schauen, wo die großen Differenzen zwischen SPD und Linkspartei liegen und welche Projekte man auch mal gemeinsam ins Auge fassen kann. Die SPD und übrigens auch die Grünen – ich verstehe nicht, warum die da immer ausgenommen werden – müssten grundsätzlich ihr Verhältnis zur Linkspartei klären. Das ist nämlich noch nicht geklärt. Und das bringt uns in die Lage, wie wir sie jetzt haben.

Die SPD und auch die Grünen sind darauf verfallen, nur in Abgrenzungsstrategien zu denken. Und das ist eine schlechte Voraussetzung, um eine Reformregierung zu stellen. Wir befinden uns in einem Dilemma.

"Annäherungsprozesse müssen auch in der Parteipolitik geleistet werden"

Sie waren 2010 beteiligt an der Gründung des Instituts Solidarische Moderne, mit dabei auch Politiker von Grünen und Linkspartei, darunter deren heutige Vorsitzende Katja Kipping und die hessischen Bundestagabgeordnete Sabine Leidig. Wie läuft dort die Zusammenarbeit?

Crossover heißt für unser Institut nicht einfach rot-rot-grüne Regierungsvorbereitung. Wir wollen zivilgesellschaftliche Gruppen, Nichtregierungsorganisationen und die kritische Wissenschaft in die Diskussion einbeziehen. Und das tun wir auch. Solche Annäherungsprozesse müssen auch in der Parteipolitik geleistet werden.

Wenn die SPD-Bundesprominenz über die Linke im Westen spricht, geht es immer nur um eine sektiererische Partei, um SPD-Hasser. Peer Steinbrück sagt, er habe das alles in den Ursprungsformen schon mal erlebt, als KBW, als KPD/ML, als Krypto-Anarchisten. Entspricht das Ihrem Bild von der Linkspartei im Westen?

Nein. Jede Partei hat manchmal auch seltsame … (zögert)

Gysi würde sagen: Spinner.

… (lacht) Na ja, so ähnlich. Also, ich sage jetzt mal, Personen, die nicht so gut zur Programmatik passen. Doch die Erfahrung lehrt: Auch in der Linkspartei gibt es viele kluge und nachdenkliche und vertrauenswürdige Menschen. Und die muss man sich suchen, und mit denen muss man reden. Wir, und auch die Grünen.

Wie wirkt sich der Rückzug von Oskar Lafontaine aus?

Sein Rückzug hat zur Entspannung beigetragen. Aber ich halte nichts davon, dass man politische Zukunftsprojekte von einer einzigen Person abhängig macht. Die ganze Personalisierung von Politik ist falsch. Wir sollten endlich über Inhalte reden.

Die Hessen-SPD eiert immer noch herum, wenn es um das Verhältnis zur Linken geht. Wieso hat sich seit 2008 nichts entwickelt?

Es hat sich durchaus etwas getan. Die Diskussion über rot-rot-grüne Bündnisse läuft inzwischen unverkrampfter. Sie ist immer noch nachdenklich, manchmal auch zögerlich, aber ganz anders als noch vor fünf Jahren.

"Wir haben aus 2008 gelernt: nichts überstürzen"

Thorsten Schäfer-Gümbel, der SPD-Landeschef, spricht von einem „Glaubwürdigkeitsthema, das uns die ganzen Jahre begleitet“. Das hört sich so an, als ob die Chancen zur Entspannungspolitik nicht genutzt worden sind?

Wer sagt denn, ihr dürft nicht mit den Linken koalieren: die Konservativen, die Bürgerlichen, ein Teil der Medien. Wir sollten selbstbewusst fragen: Was wollen wir denn? Den politischen Gegnern ist es doch nur recht, wenn sich die SPD an dieser Stelle verkrampft.

Was sagt Ihr Bauchgefühl zur Regierungsbildung in Wiesbaden: Schwarz-Grün, große Koalition oder …?

Da frage ich nicht meinen Bauch. Das entscheidet die Partei. Wir haben verabredet, dass wir uns Zeit lassen. Bis Januar dauert die Legislaturperiode in Hessen. Auch das haben wir aus 2008 gelernt: nichts überstürzen. Wir haben in der Landespartei einen sehr transparenten Prozess vereinbart. Die Gremien werden mit der Parteibasis ausführlich diskutieren. Kriterien für die Gespräche mit den anderen Parteien müssen sein: Orientierung an den Inhalten, aber auch eine stabile Regierung.

Eine von den Linken tolerierte rot-grüne Regierung schließen sie aus?

Es kommt auf die konkreten Vereinbarungen an. Es muss Stabilität für vier Jahre gewährleistet sein.

Neuwahlen wären …

Das möchte niemand, die SPD schon gar nicht. Sie sind den Wählerinnen und Wählern auch nicht zuzumuten.

Andrea Ypsilanti (56) ist SPD-Landtagsabgeordnete in Hessen. Sie war von März 2003 bis Januar 2009 Landesvorsitzende ihrer Partei in Hessen. An vier Abweichlern aus der SPD-Landtagsfraktion scheiterte 2008 ihr Versuch, sich mit Unterstützung der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Der Wortbruch, der mit diesem Versuch verbunden war, gilt bis heute als Ypsilanti-Falle. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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