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Ein Hubschrauber der USA von Typ Chinook überfliegt die Stadt Kabul.

© Rahmat Gul/AP/dpa

Exklusiv

Ex-BND-Präsident Hanning zu Afghanistan: „Das ist ähnlich wie 1975 in Süd-Vietnam“

Eine korrupte Regierung und eine demoralisierte Armee ermöglichten den Sieg der Taliban, sagt August Hanning. Er warnt vor einem Erstarken von Al Qaida.

Von Frank Jansen

Herr Hanning, wie konnte es den Taliban gelingen, noch schneller als vom Westen befürchtet Afghanistan zu erobern?
Die afghanische Armee ist offenkundig noch stärker demoralisiert, als das schon bislang zu beobachten war. Die Soldaten sehen keinen Sinn darin, für die als korrupt empfundene Regierung ihr Leben aufs Spiel zu setzen im Kampf gegen die übermächtigen Taliban. Das ist ähnlich wie 1975 in Süd-Vietnam. Auch da haben die Soldaten unter einem korrupten Regime gelitten und dem Vormarsch der Nordvietnamesen keinen Widerstand mehr geleistet.

Was passiert jetzt? Können die USA, Deutschland und weitere Staaten noch ihre Bürger aus Afghanistan herausholen?
Vermutlich werden die Taliban die Evakuierung zulassen. Ich denke nicht, dass sie ein Blutbad anrichten werden. Die Taliban müssen Rücksicht nehmen auf ihre internationalen Partner. Das sind vor allem Pakistan und die Geldgeber in Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Denen ist nicht daran gelegen, von den Taliban mit Massakern diskreditiert zu werden.

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Mit welcher Taktik ist es den Taliban gelungen, Afghanistan zu überrennen, nachdem die Amerikaner den Rückzug eingeleitet hatten?
Es gibt mehrere Faktoren. Die Taliban haben nicht nur gekämpft, sondern auch mit Geld und Drohungen viele Militärs und Politiker überzeugt, keinen Widerstand zu leisten. Die großen Städte sind nicht durch Kämpfe gefallen, sondern durch Überzeugungsarbeit. Zuckerbrot und Peitsche. Viele Soldaten und Polizisten haben sich den Taliban dann auch angeschlossen. So wurden sie immer stärker. Und die Grundfesten der Regierung Ghani sind schon lange in den Augen der Bevölkerung morsch und durch Korruption zerfressen.

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Werden die Taliban nun 20 Jahre nach der Invasion der Amerikaner und ihrer Verbündeten wieder den brutalen Gottesstaat errichten, den sie vor 2001 Afghanistan aufgezwungen haben?
Ich glaube nicht, dass die Taliban wieder so herrschen können wie vor 2001. Afghanistan hat sich verändert. Das Land hat sich in Teilen modernisiert, es gibt vor allem in den großen Städten eine Bevölkerung, die die westliche Zivilisation kennen gelernt hat. Es gibt Medien, moderne Kommunikationsmittel und in weiten Teilen des Landes ein Schulsystem. Die Taliban können nicht alles rückgängig machen. Ich vermute, dass sie zumindest am Anfang eher ein gemäßigtes Regime präsentieren werden. Die Taliban müssen jetzt erstmal ihre Herrschaft konsolidieren. Dazu gehört, dass die paschtunisch geprägten Taliban ein Mindestmaß an Konsens mit den anderen ethnischen Gruppen in der Bevölkerung und mit den mächtigen Stammesführern suchen. Auch die Wirtschaft muss am Laufen gehalten werden. Die Taliban haben sich vor 2001 wirtschaftlich stark auf den Anbau von Opium gestützt. Das ist aber auf Dauer kein überzeugendes und nachhaltiges Geschäftsmodell.

"Afghanische Armee demoralisiert". August Hanning, von 1998 bis 2005 Präsident des Bundesnachrichtendienstes, über den Sieg der Taliban
"Afghanische Armee demoralisiert". August Hanning, von 1998 bis 2005 Präsident des Bundesnachrichtendienstes, über den Sieg der Taliban

© imago/Hoffmann

Die Taliban haben allerdings 20 Jahre zäh für ihren Gottesstaat gekämpft und zahlreiche Verbrechen verübt. Sie werden sich doch nicht jetzt dem Westen zuliebe mäßigen….
Natürlich gibt es keine Garantie für eine Mäßigung. Aber auch die Taliban wissen, dass Afghanistan auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen ist und die Führung der Taliban wird deshalb versuchen, eher moderat aufzutreten. Allerdings muss man sich vergegenwärtigen: Die Taliban sind keine homogene Bewegung. Innerhalb der Taliban gibt es radikale und eher gemäßigte Gruppierungen. Und es gibt auch in Afghanistan ein starkes Stadt-Land Gefälle. Auf dem Land herrschen zum Teil noch mittelalterliche Zustände.

Die Sicherheitsbehörden des Westens befürchten, dass mit dem Sieg der Taliban auch der Terror von Al Qaida wieder stärker werden dürfte. Wie groß ist die Gefahr, dass Al Qaida 20 Jahre nach 9/11 wieder von Afghanistan einen Terrorangriff in dieser Dimension vorbereiten kann?
Al Qaida bekommt aufgrund der aktuellen Entwicklung sicherlich größere operative Spielräume. Aber es liegt nicht im Interesse der Taliban erneut zuzulassen, dass Al Qaida kurzfristig wieder von Afghanistan aus den Westen mit großen Anschlägen angreift. Langfristig mag das allerdings anders sein. Es ist schon gefährlich, dass Al Qaida erneut in Afghanistan einen geschützten Rückzugsraum erhält.

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