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Manfred Weber (CSU)

© lFoto: Dominik Butzman/laif

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber: „Eine bayerische Handschrift für Europa“

CSU-Vize Manfred Weber will die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker antreten. Seine größte Herausforderung kommt erst nach der Europawahl.

Manfred Weber ist gut gelaunt, als er am vergangenen Freitag im brandenburgischen Dahlewitz im Rolls-Royce-Werk vorfährt. Das TV-Duell mit seinem niederländischen Kontrahenten Frans Timmermans am Vorabend ist anständig gelaufen. Als er zu Beginn der Werksbesichtigung beim Triebwerkshersteller gemeinsam mit seinen Begleitern dunkelblaue Schutzschuhe anziehen muss, scherzt er: „Ein tolles Gruppenerlebnis!“

Im kleinen Kreis wirkt Manfred Weber. Er kann zuhören und hat eine zurückhaltende Art, die eigentlich gar nicht zu einem CSU-Politiker passt. Umgeben von Triebwerksmodellen steht Weber in Dahlewitz in der Ausbildungswerkstatt 18 Lehrlingen gegenüber. Eine Auszubildende erzählt von einem politischen Forum, an dem die Nachwuchsmechaniker neulich in Potsdam teilgenommen haben. „Sie wollen jetzt Politiker werden?“, fragt Weber spaßeshalber in die Runde.

Dann redet er mit den Auszubildenden über den Brexit, der ja für eine sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland beheimatete Firma wie Rolls-Royce eine besondere Herausforderung bedeutet, über die Globalisierung und die Entwicklung neuer Technologien. Die Auszubildenden nicken, der Wahlkampftermin läuft gut für den Mann aus Brüssel.

Kann man sich Weber auch als EU-Kommissionspräsidenten vorstellen?

Weber will Chef der Brüsseler Behörde mit 32.000 Beamten werden. Wenn es ihm gelingt, wäre er der erste Deutsche auf diesem Posten seit einem halben Jahrhundert. Um sein Ziel zu erreichen, führt der 46-Jährige seit Monaten einen Europawahlkampf, der ihn als Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) quer durch die EU führt.

Aber je näher der Wahltag in einer Woche rückt, umso härter wird der Wahlkampf für ihn. Dabei sind die TV-Duelle mit dem Niederländer Timmermans, der als Spitzenkandidat der europäischen sozialdemokratischen Parteienfamilie antritt, für Weber noch das geringste Problem. Bei den Fernsehdebatten ging es kaum richtig zur Sache, auch wenn sich die beiden Kontrahenten redlich um Profilschärfung bemühten.

Webers Probleme sind eher strategisch-taktischer Natur: Angela Merkel unterstützt zwar seine Spitzenkandidatur. Die Kanzlerin macht aber aber auch keinen Hehl daraus, dass sie mit dem ganzen Spitzenkandidaten-Prinzip nie recht warm geworden ist. Dieses Prinzip besagt, dass derjenige an die Spitze der EU-Kommission rückt, dessen EU-Parteienfamilie nach einem erfolgreichen Abschneiden bei der Europawahl im Straßburger Parlament eine Mehrheit zusammenbringt.

Orbán ist gegen ihn, Macron auch - aus unterschiedlichen Gründen

Erschwerend kommt für Weber hinzu, dass in den vergangenen Wochen ein Streit mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán über die Rechtsstaatsprinzipien derart eskalierte, dass der Spitzenkandidat im neuen Europaparlament ohne die Unterstützung der ungarischen Fidesz-Partei auskommen muss. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält sowieso nichts davon, dass das Europaparlament – und damit EU-Spitzenkandidaten wie Weber und Timmermans – bei der Bestimmung des künftigen Kommissionspräsidenten eine entscheidende Rolle spielt.

Doch Weber gibt sich davon unbeeindruckt. Er hat es kommen sehen, dass seine Kandidatur für das Amt im Brüsseler Berlaymont-Gebäude alles andere als ein Selbstläufer werden würde. „Jetzt machen wir erst einmal einen lebendigen Wahlkampf“, sagt er unverzagt vor den Journalisten während seines Werksbesuchs in Dahlewitz.

Ende März sitzt Weber in einem Zug von Berlin nach Nürnberg, wo am nächsten Tag die CSU für den Spitzenkandidaten einen Europa-Parteitag abhält. Im Bord-Restaurant möchte sich Weber einen Caesar-Salat und ein alkoholfreies Bier bestellen. Wenige Stunden vorher hat das Unterhaus in London den EU-Austrittsvertrag zum dritten Mal in Folge abgelehnt. Wenn man darüber nachdenkt, ist Europapolitik so etwas wie dreidimensionales Schach. Man muss dabei ständig drei Ebenen im Auge behalten: die lokale, die nationale und die europäische.

Lokal fühlt der Spitzenkandidat sich wohl

Von der lokalen Ebene, von seinen politischen Anfängen bei der Jungen Union und von seiner Jugend im niederbayerischen Wildenberg, erzählt Weber besonders gern. „Ganz viele Jugendliche sind da in die Junge Union eingetreten“, entsinnt sich Weber, nachdem er endlich den Kellner im Speisewagen auf sich aufmerksam gemacht hat. Wildenberg, wo er mit seiner Frau wohnt, ist für ihn bis heute die Heimat geblieben. Sein Vater, der ihn als Zehnjährigen auch schon einmal zu einer Versammlung des legendären CSU-Übervaters Franz Josef Strauß mitnahm, lebt drei Straßen weiter.

In seinen jungen Jahren hat Weber, wie er es formuliert, „zunächst eine klassische bayerische Karriere“ verfolgt: Eintritt in die Junge Union mit 16, Landtagsabgeordneter mit 29, Vorsitzender der Jungen Union Bayern mit 31. Und dann kam etwas, womit kaum einer in seinem politischen Umfeld gerechnet hätte: 2004 entschloss er sich, als CSU-Europaabgeordneter nach Brüssel und Straßburg zu gehen. „Viele haben mich damals für verrückt erklärt“, erzählt Weber und vertieft sich dann in die Rede, die er in Nürnberg halten will.

Die Säle rockt Weber nicht - im direkten Kontakt aber ist er gewinnend

Weber hält am nächsten Tag eine Rede, die ihn als Experten im dreidimensionalen Europa-Schach ausweist. Es gibt verhaltenen Applaus, als er „unseren britischen Freunden“ ins Stammbuch schreibt, endlich Klarheit beim Brexit zu schaffen. Freundlich ist auch der Beifall von den CSU-Parteifreunden, als er eine „bayerische Handschrift für Europa“ fordert. Man merkt, dass sie Respekt haben vor ihrem CSU-Vize, der es im Europaparlament zum Chef der EVP-Fraktion gebracht hat. Die große Attraktion beim CSU-Parteitag ist allerdings nicht Weber, sondern der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Er ist es, der dem Saal einheizt. Es gibt Beifallspfiffe, als Söder mit Blick auf Weber verkündet: „Wir haben den, der Chef von Europa werden kann, der Chef von Europa werden will.“ Die Europawahl sei erst abgeschlossen, erklärt der Ministerpräsident mit dröhnender Stimme, „wenn eine stabile Kommission mit Manfred Weber an der Spitze gebildet werden kann“.

Aber möglicherweise ist es für Weber gar nicht so nicht entscheidend, ob er im Europawahlkampf die Säle rockt oder nicht. Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass die Menschen mit ihren jeweiligen Lokalmatadoren mehr anfangen können als mit dem Mann aus Brüssel, der jeweils für einen Tag eingeflogen kommt.

In der kommenden Woche wollte der Spitzenkandidat zum Schluss seiner Europatour in Linz noch einmal den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz treffen, so war es vor Beginn der österreichischen Regierungskrise verabredet. Am Freitag soll dann in München die Abschlusskundgebung der konservativen europäischen Parteiprominenz stattfinden. Aber erst nach dem Wahlsonntag dürfte es in Brüssel richtig spannend werden. Denn dann wird es für Weber darum gehen, möglichst schnell eine Mehrheit im Europaparlament hinter sich zu scharren. Und in solchen Dingen ist er durchaus geübt: Auch in der Unions-Spitze wird ihm bescheinigt, dass er sich als Strippenzieher im Europaparlament bewährt hat.

Für den Fall, dass Macron und Co. ihn bei der Entscheidung über die Nachfolge des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker übergehen sollten, kündigt Weber bei seinem Werksbesuch in Dahlewitz für die Tage und Wochen nach der Europawahl vorsorglich an: „Wir werden dann nachher streiten.“ Es ist kein markiger Satz. Aber in jeden Fall beschreibt er ziemlich zutreffend den Stand der europäischen Dinge: Kampflos will das Europaparlament keineswegs den Staats- und Regierungschefs die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Juncker-Nachfolge überlassen.

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