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Im kommenden Jahr wird das Europaparlament neu gewählt.

© Frederick Florin/AFP

Europawahlen 2019: EU hat Angst vor „italienischen Verhältnissen“

Die Europawahlen 2019 werfen ihre Schatten voraus. Es geht in den politischen Zirkeln von Brüssel und Straßburg längst nicht nur um die Besetzung der EU-Spitzenpositionen.

Die neunte Direktwahl zum EU-Parlament im kommenden Jahr verspricht Spannung. Der Grund: Die europäische Parteienlandschaft befindet sich seit geraumer Zeit im Umbruch. Das jüngste Beispiel lieferte Italien, wo die Wähler trotz Mehrheitswahlrecht eine ungewisse politische Zukunft herbeiführten. Die bisherige Regierungskoalition unter der Führung der Sozialdemokraten in Rom wurde abgestraft. Massiven Zulauf erhielten dafür zwei populistische und europaskeptische Parteien – die eher Mitte-links angesiedelten „Fünf Sterne“ und die am rechten Rand agierende Lega-Partei. Ob es überhaupt gelingt, eine Regierung zu bilden – es wäre die 65. seit Kriegsende –, ist ungewiss. Und das bei einem Land, das ein Eckpfeiler der EU, aber auch seit Jahren ein wirtschaftspolitisches Sorgenkind ist.

Neue Player in der Parteienlandschaft

Der „Fall Italien“ hat viele Sorgen bei führenden Europaexperten ausgelöst. Noch gibt es keine gesamteuropäischen demoskopischen Erhebungen, wie es um das Wahlverhalten bei der kommenden Europawahl stehen könnte, die vom 23. bis 26. Mai 2019 über die Bühne geht. Vorerst ist man auf die Beobachtungen des Wahlverhaltens in den Mitgliedstaaten angewiesen. Und da ist ein gewisser Trend erkennbar, wonach die so genannten Traditionsparteien mit der Abwanderung von Wählern konfrontiert sind. Neu ins Spiel kommen dafür populistische und EU-kritische Bewegungen, wie etwa die AfD in Deutschland.

An der Spitze der EU beginnt man daher schon, ernsthafte Überlegungen anzustellen, wie man den Wahlkampf im kommenden Jahr gestalten soll, um die Wogen nicht allzu hochgehen zu lassen. In diesem Zusammenhang wird sehr viel von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres abhängen. Was immer der EU in diesen sechs Monaten an wichtigen Beschlüssen – etwa bei der Flüchtlings- und Migrationsproblematik – gelingt, sollte positiv an den europäischen Wahltagen zu Buche schlagen.

Zitterpartie für schwarz-rote Mehrheit

Derzeit verfügen die christlich-konservative EVP mit 219 und die sozialdemokratische S&D mit 189 Mandaten über eine komfortable Mehrheit im EU-Parlament. Was derzeit ein schwarz-rotes Bündnis in Straßburg zur Folge hat. Die entscheidende Frage wird freilich sein, wie diese beiden klar auf EU-Kurs ausgerichteten Fraktionen im kommenden Jahr abschneiden, wie stark ihnen neue und vor allem populistische Parteien zusetzen werden. Da könnte es durchaus eine Zitterpartie geben, zumal europaweit die Stammwählerbindungen sehr locker geworden sind und Wechselwähler den Ausschlag geben. Falls die EVP und die S&D ihre Mehrheit verfehlen sollten, wird man sich wohl auf Koalitionsgespräche mit den Liberalen und den Grünen einstellen müssen.

Was wird aus Macrons „En Marche“?

Im Vorfeld zeichnen sich bereits bei den bestehenden Fraktionen Veränderungen ab. Derzeit zählt das Parlament acht Fraktionen, also Bündnisse gleichgesinnter Parteien aus den verschiedenen EU-Ländern. Neben der EVP und S&D werden die liberale ALDE, die Linken und die Grünen sicher weiter bestehen. Auf die drei anderen Fraktionen trifft das ziemlich sicher nicht zu.

Für Spannung sorgt der französische Präsident Emmanuel Macron. Er hat noch nicht durchblicken lassen, zu welchem politischen Lager er sich hingezogen fühlt. Seine politische Karriere begann zwar bei den französischen Sozialisten, nun freilich sieht er sich nach dem Erfolg mit seiner "En Marche" als eine liberale Kraft der Mitte, die auch in Europa wieder den Ton an- und den Takt vorgeben will. Zunächst wurde damit gerechnet, dass er sich der liberalen ALDE zuwendet, die damit einen beachtlichen Zuwachs erhalten hätte. Mittlerweile rechnen Brüsseler Kreise aber eher damit, dass Macron eine eigene Fraktion aufstellen könnte.

Brexit hat Auswirkungen auf die Fraktionen

Ausschlaggebend dafür, dass das derzeitige Gefüge der Fraktionen stark ins Wanken kommt, sind der Brexit und damit der Ausstieg britischer Parteien. Davon unmittelbar betroffen ist die EKR, die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. Mit insgesamt 71 Europaabgeordneten aus 16 Ländern ist sie die derzeit drittgrößte Fraktion des Parlaments, wobei die britischen Konservativen und die polnische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die größten Einzelparteien sind. Dass eine Neuformierung notwendig ist, gilt auch für die EFDD, die für ein Europa der Freiheit und der direkten Demokratie eintritt. Sie wird von der britischen UK Independence Party (Ukip) mit Nigel Farage an der Spitze und den italienischen „Fünf Sternen“ dominiert. Nach dem Ausscheiden der Briten werden sich die Italiener nach einer neuen Fraktion umsehen müssen.

Spannend wird es schließlich, was bei der so genannten Rechtspopulisten-Fraktion geschieht. Die ENF („Europa der Nationen und der Freiheit“) wurde erst nach der Europawahl 2014 gegründet. Sie ist mit 36 Mitgliedern die derzeit kleinste Fraktion im Parlament. Trotzdem führt die Fraktion gern das große Wort, gehören ihr doch der französische Front National, die niederländische Partij voor de Vrijheid, die italienische Lega und die FPÖ an. Auch sie wird vom Brexit betroffen sein, wenngleich sie nur einen britischen Abgeordneten verliert.

FPÖ auf der Suche nach neuen EU-Partnern

Schon länger gibt es in der FPÖ, vor allem nach ihrem Eintritt in eine Wiener Koalitionsregierung mit klar proeuropäischer Ausrichtung, Spekulationen über eine mögliche Neuaufstellung. Umtriebig ist vor allem der FPÖ-Generalsekretär und EU-Abgeordnete Harald Vilimsky, der zu den Widersachern des österreichischen EVP-Abgeordneten Othmar Karas gehört. Wo Vilimsky politisch steht, wurde erst jüngst deutlich, als er gemeinsam bei einer Pressekonferenz mit dem Spitzenkandidaten der Lega-Partei, Matteo Salvini, auftrat und an dessen Euro-kritischen Bemerkungen sichtlich Gefallen fand.

In Brüsseler Kreisen erzählt man sich jedenfalls, Vilimsky habe Pläne für eine Neuformierung der Fraktion – ohne den Front National. Beibehalten wird demnach die Vision einer eher nationalstaatlichen Union. Denkbar ist daher, dass man sich auf FPÖ-Seite gegen die Weiterentwicklung des EU-Vertrags von Lissabon positioniert. Gesucht wird derzeit, um den Status einer Fraktion abzusichern (dafür sind 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erforderlich), nach Sympathisanten. Im Visier ist da vor allem die polnische PiS und – so wird kolportiert – die ungarische Regierungspartei Fidesz. Sie ist zwar Mitglied der EVP, Ministerpräsident Viktor Orban steht dort aber aufgrund seiner Politik immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Er könnte daher wechselwillig sein.

Erschienen bei EurActiv.

Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Herbert Vytiska

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