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Die britische Regierungschefin Theresa May beim letzten EU-Gipfel in Brüssel.

© dpa

Europas Öffentlichkeit: Eine Gemeinschaft - 28 Blickwinkel

Für die Europa-Berichterstattung gilt jenseits der Mega-Themen wie der Flüchtlingskrise die Grundregel: Nachrichten aus Brüssel lassen sich dann gut verkaufen, wenn sie mit Politikern aus der Heimat zu tun haben.

Es gab einiges zu besprechen beim letzten EU-Gipfel Mitte Dezember – von der Lage in Aleppo über den Flüchtlingspakt mit der Türkei bis zur europäischen Verteidigungspolitik. Doch die britischen Reporter, die zum Auftakt des Gipfels vor dem Brüsseler Ratsgebäude warteten, interessierte vor allem eine Frage: Stimmt es, dass die Aushandlung einer Handelsvereinbarung zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit zehn Jahre dauern könnte? Zuvor hatte sich Londons Botschafter bei der EU, Sir Ivan Rogers, nach britischen Medienberichten entsprechend geäußert.

Mays Äußerung beim letzten Gipfel war nur für die Briten ein Thema

Was in einem EU-Land eine Top-Nachricht wie die Äußerung des britischen EU-Botschafters ist, lockt anderswo in der Gemeinschaft kaum jemanden hinter dem Ofen hervor. Gerade bei EU-Gipfeln kann man beobachten, dass die europäische Öffentlichkeit immer wieder in ihre nationalen Einzelteile zerfällt. Zwar gibt es europäische Mega-Themen, welche die Öffentlichkeit in allen EU-Mitgliedsstaaten gleichermaßen elektrisieren: der Beinahe-Rauswurf Griechenlands aus dem Euro im Sommer 2015, die Flüchtlingskrise, das Brexit-Referendum.

Aber seit die Briten im vergangenen Juni „Nein“ zur EU gesagt haben, ist das Interesse an der Brexit-Story unterschiedlich ausgeprägt: Während britische Medien jede noch so kleine Wendung im Austritts-Drama registrieren, interessiert sich die Öffentlichkeit auf dem Kontinent eher für die großen Linien dieser neuartigen europäischen Scheidungsgeschichte. Die Nachricht, dass die britische Regierungschefin Theresa May beim letzten EU-Gipfel gar nicht erst über die Dauer der anstehenden Handelsgespräche mit den EU-27 spekulieren wollte, fand nur auf der Insel Beachtung.

Schulz' Wechsel nach Berlin - vor allem für deutsche Medien interessant

Umgekehrt ist längst nicht jedes Europa-Thema, das in Deutschland Aufregung auslöst, anderswo auf dem Kontinent eine Spitzenmeldung. Als beispielsweise der langjährige EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD) im vergangenen Monat seinen Wechsel in die Bundespolitik bekannt gab, war das in erster Linie auf den Titelseiten deutscher Zeitungen ein Thema. Die französische Zeitung „Le Monde“ registrierte den Weggang des Deutschen aus Brüssel nur kurz weiter hinten im Blatt.

Mit Schulz’ Entscheidung, nach Berlin zu gehen, ist der Brüsseler Teil der Geschichte aber noch nicht abgeschlossen. Gerade die weitere Entwicklung der Story rund um den künftigen Parlamentspräsidenten, der im Januar die Nachfolge von Schulz übernehmen soll, liefert ein gutes Beispiel für die These des Leipziger Medienwissenschaftlers Marcel Machill: Ein Brüsseler Thema muss „mit der Relevanz für die eigene Nation“ gekoppelt sein, damit es in den jeweiligen medialen Echoräumen in den einzelnen Mitgliedstaaten auch Aufmerksamkeit findet.

Wer wird neuer EU-Parlamentschef? In Osteuropa ist das kein Thema

Wer nun Nachfolger von Schulz in Brüssel wird, entscheidet sich allein zwischen den beiden Italienern Antonio Tajani und Gianni Pittella sowie dem Belgier Guy Verhofstadt. Einen osteuropäischen Kandidaten gibt es hingegen nicht. Und das hat Folgen für die Berichterstattung über die Schulz-Nachfolge in Osteuropa: „Dort findet die Debatte gar nicht statt“, weiß Christian Hügel, der Sprecher des konservativen EVP-Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament, Manfred Weber (CSU).

Bei dieser Debatte geht es um die Frage, ob nun die Konservativen, die Liberalen oder die Sozialdemokraten beim Brüsseler Postengerangel zum Zuge kommen und ob möglicherweise demnächst die informelle große Koalition in der EU-Hauptstadt ein Ende hat. Aber ein solches Sachthema lässt sich am besten dann am besten journalistisch verkaufen, wenn es auch mit einem Politikerkopf aus der Heimat verbunden ist. „Einerseits ist es logisch, dass die Diskussion um den künftigen Parlamentspräsidenten unter einem extrem starken nationalen Blickwinkel verfolgt wird“, sagt Hügel. „Aber diese Sichtweise macht die Arbeit ab und zu nicht ganz einfach.“

Der nationale Blickwinkel ist nachvollziehbar

Der nationale Blickwinkel auf das EU-Geschehen ist nachvollziehbar: Ein deutscher Sparer wird sich für die soziale Not in Griechenland in erster Linie deshalb interessieren, weil sie auch Auswirkungen auf die Zinssätze in Deutschland hat. Andererseits hat nach der Einschätzung von Christian Hügel in den letzten Jahren die Zahl der Europa-Themen zugenommen, die für alle EU-Bürger gleichermaßen eine Bedeutung haben. Als Beispiele nennt der Sprecher des Fraktionschefs der Konservativen das Bemühen der Mitgliedstaaten, sich gegenseitig im Kampf gegen den Terror zu helfen.

Selbst Briten schauen beim gemeinsamen Anti-Terror-Kampf genauer hin

Für dieses Brüsseler Thema interessieren sich übrigens selbst die Briten: Als vergangene Woche im Pressesaal der EU-Kommission der Grieche Dimitris Avramopoulos, die Tschechin Vera Jourova und der Brite Julian King gemeinsam vor europäischen Medienvertretern ihre Vorschläge zur Terrorbekämpfung vorstellten, da meldete sich der Korrespondent des Londoner „Observer“. Er wies darauf hin, dass viele Fingerabdrücke in der Datenbank im EU-weiten Eurodac-System fehlerhaft seien. Sicherheitskommissar King musste daraufhin kleinlaut zugeben: „Es gibt Probleme bei der Qualität der Daten in den Datenbanken.“

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