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Das Ringen um Polen und die Einhaltung europäischer Werte reicht von Protesten gegen die PiS hier in Warschau über die EU-Kommission und den Rat der Regierungschefs bis ins Europäische Parlament.

© Czarek Sokolowski/AP/dpa

Europaparlament verklagt Kommission: Die Hüter des Rechts stellen das Recht hintan

Wer gegen den Bruch der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn vorgeht, sollte die juristischen Vorgaben umso penibler befolgen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Methoden werden sich leider ähnlicher. In einer Auseinandersetzung um ein fundamentales Prinzip der EU, die Rechtsstaatlichkeit, verdrängen politische Erwägungen den Respekt vor dem Recht bei der Auswahl der Kampfmethoden. Erst in Polen und Ungarn, nun auch in Institutionen der EU wie dem Europäischen Parlament (EP).

Der Justizausschuss des EP hat beschlossen, die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen, weil sie die neue Rechtsstaatsklausel bei der Vergabe von EU-Geldern zu zögerlich anwende. Gemeint ist: gegen Polen und Ungarn. Dabei hatte die Rechtsabteilung des Parlaments von einer solchen Klage abgeraten. Es sei fraglich, ob sie zulässig sei. Und die Erfolgschancen seien begrenzt. Die drei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen gegenüber 13 Jas zeigen, dass es auch im Ausschuss erhebliche Bedenken gibt.

Gerade wenn es um die Mittel geht, mit denen EU-Institutionen – Parlament, Kommission, Rat der Regierungschefs, EuGH – gegen Mitglieder vorgeht, die den Rechtsstaat missachten, müsste das oberste Gebot sein: Sie halten sich penibel an juristische Vorgaben und ordnen sie nicht politischen Zielen unter.

Wie passt das Vorgehen des Justizausschusses des EP zu dieser Maxime? Gerade er müsste sich um einen überzeugenden Kontrast zum Verhalten der Rechtsstaat-Sünder bemühen.

In Polen ist die Parodie der Demokratie bittere Realität

Klar doch, die Rechtsbrüche der Regierungen in Warschau und Budapest sind von ganz anderem Kaliber. Sie handhaben rechtsstaatliche Grundsätze seit längerem nach politischer Opportunität. Wenn sie den eigenen Zielen nützen, beruft sich die Regierung auf sie. Wenn nicht, sind sie nicht so wichtig oder werden geradezu entgegen ihrem Sinn missbraucht.

Gerichtsurteile werden erst gültig, wenn sie im Amtsblatt veröffentlicht sind? Gut, dann veröffentlicht die PiS-Regierung eine Entscheidung, die ihr nicht genehm ist, bis auf weiteres nicht – und macht mit dem Umbau des Gerichtswesens weiter, als habe es sie nicht gegeben. Mit solchen Methoden begann die Eskalation um die Justiz 2015. Mit der Zeit hebelte die PiS die „Checks and balances“ des Rechtsstaats immer weiter aus.

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Im Parlament bricht die PiS die Regeln der Geschäftsordnung, zum Beispiel in diesem Sommer bei der Abstimmung über strengere Vorgaben für Rundfunklizenzen an Sender mit ausländischen Eigentümern; so wollte die PiS den wichtigsten Oppositionssender tvn unter Druck setzen. Mit Mehrheit wurde die Entscheidung vertagt. Die Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek von der PiS scherte sich nicht darum und setzte die Abstimmung erneut an. Im zweiten Anlauf gewann die PiS  mit knapper Mehrheit.

Früher galt das mal als Parodie: Man stimmt so lange ab, bis das Ergebnis passt. In PiS-Polen ist es traurige Realität.

Eine fragwürdige Klage aus taktischen Motiven

Zurück zum Rechtsausschuss des EP. Auch er nutzt die Klagedrohung nur taktisch. Er möchte die Kommission zwingen, die Klausel vor dem 2. November anzuwenden. Dabei ist der EuGH noch mit der Prüfung beschäftigt, ob diese Klausel mit den Europäischen Verträgen vereinbar ist.

Ein Rechtsausschuss, der sich beim Vorgehen in Rechtsstaatsfragen gegen den Rat der eigenen Rechtsabteilung entscheidet, gibt kein gutes Vorbild ab, wie man den Vorrang des Rechts verteidigt. Der Missbrauch des Rechts als Werkzeug politischer Opportunität macht den Kern der Vorwürfe gegen Polen und Ungarn aus. Die EU darf nicht einmal den Anschein zulassen, dass sie sich dieser Ebene annähert.

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