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Jens Weidmann, Bundesbankpräsident mit Ehrgeiz und Knowhow.

© REUTERS

Europäische Zentralbank: Die Proporzfrage oder: Wird Jens Weidmann EZB-Chef?

Europas großes Postenkarussell dreht sich seit dieser Woche - und mit den ersten Namen stiegen die Chancen von Bundesbankchef Jens Weidmann, Nachfolger von Mario Draghi zu werden. Ein Kommentar.

Ein Spanier eröffnet den Reigen für ein in Europa lange nicht mehr gesehenes Personalgerangel. Erst einmal geht es um Geld- und Machtpolitik in der Europäischen Zentralbank (EZB).

Nach dem Willen der Euro-Finanzminister soll der Spanier Luis de Guindos den Portugiesen Vitor Constancio beerben, dessen Vertrag als Vize von EZB-Präsident Mario Draghi Ende Mai endet. Damit kommt das Personalkarussell in Bewegung, das die Finanzpolitik der Euro-Zone bewegt, seinerseits angetrieben wird es von den 19 Regierungen der Euro-Länder. Und plötzlich wird sogar der mächtige EZB-Chef Mario Draghi fast zur lahmen Ente.

Draghi, der für die einen der böse Bube ist, der den Europäern die Niedrigzinsen eingebrockt und die EZB mit seiner Geldpolitik in verbotene Staatsfinanzierung getrieben hat, und für die anderen der Retter des Euro und der Währungsunion, muss Ende November 2019 seinen Sessel räumen. Das ist noch eine Weile hin, aber das Votum für Guindos, das diese Woche offiziell bestätigt wurde, stellt Weichen. Denn für die Besetzung der EZB-Spitze gelten wichtige, wenn auch ungeschriebene Gesetze: Kommt der zweite Mann aus dem Euro-Süden, spricht alles für einen ersten Euro-Mann (warum eigentlich keine Frau?) aus dem Norden. Und auf einen großzügigen Geldpolitiker soll ein gestrenger Notenbanker folgen.

Er ist ein Nordlicht und ein Sparfuchs

Beide Vorgaben erhöhen die Chancen für Jens Weidmann, den Bundesbankpräsidenten. Als Deutscher zählt er zu den Nordlichtern, weil EU-Himmelsrichtungen von Brüssel aus definiert werden, und er ist der schärfste Kritiker von Draghis expansiver Geldpolitik. Bisher meldet Weidmann offen keinen Anspruch an, aber natürlich schielt er auf den EZB-Chefsessel. Den nötigen Ehrgeiz darf man ihm unterstellen, und qualifiziert ist er ohne Zweifel. Dann endlich hätte Weidmann einen wirklich bedeutsamen Einfluss in der Geldpolitik, den er mit der Bundesbank trotz ihres hohen Ansehens seit Beginn der Währungsunion vor fast 20 Jahren nicht hat. Die spielt seitdem in der zweiten Reihe.

Und noch etwas spricht für den 49-Jährigen: Deutschland hat als einziges großes Euro-Land nie den ersten oder zweiten Mann der Notenbank gestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte nichts gegen Weidmann. Im Gegenteil. Schließlich war er lange einer ihrer engsten Mitarbeiter. Aber erst muss die neue Regierung stehen und Weidmann offiziell vorschlagen, und dann wird auf europäischer Ebene gefeilscht. Auch der französische Zentralbanker François Villeroy de Galhau schielt auf den Topjob am Main. Aber es geht im kommenden Postengerangel nicht nur um den künftigen EZB-Präsidenten.

2019 stehen Europawahlen und die Neubesetzung der EU-Kommission an, deren Formalien auch Thema eines informellen Treffens der EU-27 an diesem Freitag sein sollen. Zudem sucht ab Ende 2018 die europäische Bankenaufsicht einen neuen Chef. Es könnte auf Paketlösungen hinauslaufen. Die Finanzmärkte schließen schon Wetten auf Weidmann als künftigen EZB-Chef ab und treiben in Erwartung dann steigender Zinsen die Renditen von Bundesanleihen nach oben. Aber: Es sind Wetten auf heikle Politikdebatten.

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