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Rettung von Flüchtlingen durch italienische Einsatzkräfte am Donnerstag im Mittelmeer.

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Europäische Seenotrettung für Flüchtlinge: Mehr Schiffe, mehr Geld - aber kein Happy End

Der EU-Sondergipfel wollte Lösungen für das Flüchtlingsproblem bieten. Doch die Beschlüsse werden heftig kritisiert - denn weitere Tote auf hoher See werden damit wohl nicht verhindert.

Den Anlass für den EU-Sondergipfel am Donnerstagabend gab die Flüchtlingstragödie vom Sonntag vor Libyen, bei der mindesten 850 Menschen ums Leben gekommen sind. Es war das bisher schwerste Flüchtlingsunglück im Mittelmeer. Im vergangenen Jahr haben mindestens 3000 Menschen im Mittelmeer den Tod gefunden. Die traurigen Zahlen aus den ersten Monaten dieses Jahres lassen darauf schließen, dass diese Opferzahlen 2015 noch überschritten werden dürften. Bisher sind mindestens 1700 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen. Gipfelchef Donald Tusk forderte daher die Solidarität aller EU-Staaten ein. „Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, das Problem zu lösen“, sagte der EU-Ratspräsident.

Welche EU-Rettungsmissionen existierten bislang im Mittelmeer?

Schon seit mehreren Jahren operiert im östlichen Mittelmeer die Rettungsmission „Poseidon Sea“. Sie wird von der europäischen Grenzagentur Frontex koordiniert und soll illegale Einwanderungsströme in Richtung der EU-Mitgliedstaaten kontrollieren. Seit 2012 kümmert sich die Mission nicht nur um die Seegrenze zur Türkei, sondern auch die Grenze nach Italien. Dort operiert auch seit 2014 die EU-Mission „Triton“, die ebenfalls von Frontex koordiniert wird. Sie ist bislang mit drei Millionen Euro monatlich ausgestattet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Pressekonferenz nach dem Sondergipfel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Pressekonferenz nach dem Sondergipfel.

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Im Gegensatz zur italienischen Vorgängermission „Mare Nostrum“ liegt ihr Mandat auf der Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union. „Triton“ ist nicht wie die aus Finanzierungsgründen eingestellte Vorgängermission „Mare Nostrum“ eine Rettungsmission, die auch im Seeraum vor Libyen operiert. „Triton“ hat bisher ausdrücklich nicht den Auftrag, aktiv nach Booten zu suchen, sondern rettet nach internationalem Seerecht Flüchtlinge, wenn die Schiffe auf sie treffen oder Notsignale in der näheren Umgebung aufnehmen. Für viele Flüchtlinge hat dieser Unterschied zu „Mare Nostrum“ tödliche Folgen.

Was hat der Sondergipfel am Donnerstag beschlossen?

Am Ende kam mehr Geld und Gerät zusammen, als noch am Mittag abzusehen war. So wird die Finanzausstattung von Frontex, zurzeit 18,3 Millionen Euro, nicht nur verdoppelt, wie im Entwurf zu lesen war, sondern verdreifacht. Damit wird ungefähr das Volumen erreicht, mit dem Italiens Vorgängeroperation „Mare Nostrum“ mehr als 100 000 Menschen aus dem Wasser und lecken Booten geholt hat. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union reagierten damit auch auf die Forderung der Vereinten Nationen, wonach im Mittelmeer eine Kapazität vergleichbar der von „Mare Nostrum“ benötigt werde.

Welche Zusagen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten gibt es?

Die Mitgliedstaaten machten auch konkrete Zusagen, wer welche Schiffe, Flugzeuge und Helikopter ins Mittelmeer entsendet. Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa kündigte beim Gipfel an, dass Deutschland zwei Schiffe schicken wird. Der Brite David Cameron hat das Flaggschiff der britischen Marine im Gepäck, dazu zwei kleinere Boote – wobei er offen lässt, ob sie allein zur Seenotrettung eingesetzt werden sollen oder auch zur teils militärischen Bekämpfung der Schlepperbanden, zu der der Gipfel den Planungsauftrag erteilte.

Wie lautet das Mandat von „Triton“?

Im endgültigen Abschlusskommuniqué des Gipfels hieß es weiter, dass die „Such- und Rettungsmöglichkeiten innerhalb des Mandats von Frontex erweitert“ werden sollen. Das aber hat ganz praktische, möglicherweise sogar tödliche Auswirkungen. Denn die von Frontex gestemmte „Triton“-Mission ist konzentriert auf ein Gebiet bis 30 Seemeilen vor der italienischen Küste und und unternimmt eben keine ausgedehnten Rettungsaktionen. So hat es Frontex-Chef Fabrice Leggeri im britischen „Guardian“ klargestellt: „Triton kann keine Such-und-Rettungsoperation sein. In unserem Operationsplan ist eine aktive Suche nicht vorgesehen, das ist nicht Teil des Frontex-Mandats.“

Was ist künftig innerhalb der Mission „Triton“ erlaubt?

Die Frage, was innerhalb dieses nur per Gesetz zu ändernden Mandats geht und was nicht, ist eine der heiklen Fragen des Gipfels. Die EU-Kommission verbreitete am Abend ein Papier, das Leggeri widerspricht: Frontex könne sehr wohl Such- und Rettungsoperationen durchführen. Die Schiffe verfügten ja auch über umfangreiche Aufklärungsfähigkeiten, hieß es in der britischen Delegation, und könnten daher auch die Flüchtlinge aktiv orten. Dies gelte auch für das offene Meer, schrieb die Kommission der Europäischen Mission. „Der Schengener Grenzkodex kennt keine geografische Begrenzung“, hieß es darin – alle operationellen Details würden mit dem Gastland, in diesem Falle Italien, geklärt. Ein osteuropäischer EU-Diplomat berichtete dagegen, das Mandat solle absichtlich nicht auf die hohe See ausgeweitet werden, um „nicht für Millionen Flüchtlinge eine Einladung nach Europa auszusprechen“. Er sagt knallhart: „Die erweiterte Triton-Mission wird in der Lage sein, mehr Leben zu retten, aber wir werden weiter tote Flüchtlinge im Mittelmeer haben.“ Am Ende steht auf dem Gipfel Wort gegen Wort. Er endete um 21.18 Uhr, rund fünf Stunden, nachdem die Staats- und Regierungschefs eine Schweigeminute zu Ehren der toten Flüchtlinge abgehalten haben. Dass ihre Beschlüsse wirklich weitere Tote im Mittelmeer verhindern können, darf bezweifelt werden.

Wie sind die Reaktionen auf die Beschlüsse des Sondergipfels?
Bei Menschenrechts- und Hilfsorganisationen lösten die Ergebnisse des Gipfels denn auch Kritik aus. Das Treffen in Brüssel sei "eine Gesichtwahrungs-, keine Lebensrettungsoperation" gewesen, erklärte Amnesty International.
"All die Worte und Ressourcen, die auf dieses Problem verwendet werden, legen nahe, dass die EU-Oberhäupter es ernst meinen mit dem Retten von Leben auf hoher See", erklärte der Europa-Chef von Amnesty, John Dalhuisen. "Aber die Wahrheit ist, dass sie das Problem weiter nur halbwegs angehen." Wenn das Einsatzgebiet der EU-Seemissionen nicht ausgeweitet werde, "werden Migranten und Flüchtlinge weiter ertrinken".
Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer vertanen Chance. Die Gipfelbeschlüsse seien "vollkommen unzureichend". Die Seemissionen müssten "ein klares Mandat, als oberste Priorität Leben zu retten", bekommen, forderte der Leiter der Oxfam-Programme in Italien, Alessandro Bechini. Außerdem dürfe es keine geografischen Beschränkungen für die Seenotrettung geben. Oxfam kritisierte, vor allem arme Länder müssten die Flüchtlingskrise bewältigen, während die EU keinen fairen Beitrag leiste.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nach dem Gipfel gesagt, über die Frage des Einsatzgebiets müsse aus ihrer Sicht erneut gesprochen werden - offenbar hatte es Widerstand bei anderen Staaten gegeben. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, das Mandat von "Triton" brauche "nicht diskutiert zu werden". Bei der Notwendigkeit von Seenotrettung gebe es "keine geografischen oder politischen Grenzen". (mit AFP)

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