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Der russische Präsident Wladimir Putin,

© dpa/EPA/Sergei Ilynitsky

Europäische Rechts- und Wertegemeinschaft: Russland im Europarat halten - aber nicht um jeden Preis

Russland stellt unerfüllbare Forderungen für den Verbleib im Europarat. Auf die einzugehen, hieße, die Glaubwürdigkeit verspielen. Ein Gastbeitrag.

Russland droht, im Sommer aus dem Europarat auszutreten. Damit würde der Europarat zeitgleich zu seinem 70. Gründungsjubiläum sein größtes Mitgliedsland verlieren. Wie konnte es soweit kommen? Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 wurde der russischen Delegation in der parlamentarischen Versammlung des Europarats das Stimmrecht entzogen. Es konnte und kann nicht unbeantwortet bleiben, dass ein Mitgliedstaat die territoriale Souveränität eines anderen Mitgliedstaates verletzt und völkerrechtliche Standards bricht, die das Fundament für ein friedliches Zusammenleben der Völker bilden.

Trotzdem hat der Europarat immer wieder seine Hand zum Dialog gereicht: Ende 2018 wurde klargestellt, dass sich der Stimmrechtsentzug in der parlamentarischen Versammlung nicht auf die statutarischen Rechte wie die Wahl des Generalsekretärs oder der Richter an „seinem“ Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Duma hat im Januar dennoch entschieden, auch in diesem Jahr keine russische Delegation nach Straßburg zu schicken.

Russland gefährdet die Glaubwürdigkeit des Rats

Nun drängt die Zeit in mehrfacher Hinsicht: Die Generalsekretärswahl Ende Juni würde nach jetzigem Stand ohne russische Beteiligung stattfinden. Zum zweiten wird Russland im Juni seine laut Satzung geschuldeten Beiträge seit zwei Jahren nicht bezahlt haben, was zu einem Stimmrechtsentzug auch im Ministerkomitee führen könnte. Russland verlangt eine Wiederherstellung aller Rechte seiner Delegation und eine Garantie, dass es nie wieder zu einem Stimmrechtsentzug kommen kann. Das hieße, der Europarat müsste es vollständig unbeantwortet lassen, dass ein Mitgliedstaat zum ersten Mal in der Nachkriegszeit Ländergrenzen mit Waffengewalt zu verschieben sucht. Der russischen Forderung nach einer „Garantie“ gegen Stimmrechtsentzug nachzukommen würde den völligen Verlust der Glaubwürdigkeit des Europarats bedeuten. Bei aller Bereitschaft, Russland so weit wie möglich entgegen zu kommen: Dazu ist kein Mitgliedstaat des Europarates bereit.

Johann David Wadephul ist Bundestagsfraktionsvize der CDU/CSU.
Johann David Wadephul ist Bundestagsfraktionsvize der CDU/CSU.

© imago/Metodi Popow

In der Plenarwoche in Straßburg im April hat die parlamentarische Versammlung noch einmal unterstrichen: Wir möchten Russland als Partner im Europarat. Eine Mitgliedschaft bringt Rechte und auch Pflichten mit sich. Und wenn sich einzelne Mitgliedstaaten nicht an die Regeln des Europarats halten, dann wollen wir innerhalb des eigenen institutionellen Rahmens zielorientiert an einer Lösung arbeiten: Nichtkommunikation ist keine Lösung. Auf ein vergleichbares Zeichen guten Willens von russischer Seite warten wir bislang leider vergeblich.

Der Europarat ist Russlands letzter Anker

Das russische kulturelle Erbe, für das große Namen wie Tschaikowski, Tolstoi oder Dostojewski stehen, ist ein tragender Pfeiler unserer gemeinsamen europäischen Identität. Der Europarat steht – und zwar in einem einfacheren, aber auch grundsätzlicherem Sinne als die Europäische Union – für die völkerrechtliche und politische Dimension dieser gemeinsamen europäischen Identität. Diese über Jahrhunderte gewachsene, gemeinsame Identität Europas sollte auch für Moskau schwerer wiegen als die derzeitigen Differenzen. Diese können überwunden werden, wenn auch Russland es will.

Mit einem Ausscheiden aus dem Europarat aber würde Russland endgültig der europäischen Rechts- und Wertegemeinschaft den Rücken kehren. Das hätte dramatische Folgen für die russische Zivilgesellschaft. Russische Bürger verlören damit den Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem schlagkräftigsten internationalen Menschenrechtsgerichtshof weltweit.

Russland hat schon die Beziehungen zur EU weitgehend abgebrochen, nun würde es die Zusammenarbeit mit den übrigen 46 Staaten im Europarat aufkündigen, und auch in der OSZE steht Russland zunehmend allein. Je mehr sich Russland isoliert, desto schwerer wird es, zum gegebenen Zeitpunkt Anknüpfungspunkte für eine engere und bessere Zusammenarbeit zu nutzen. Eine engere und bessere Zusammenarbeit aber liegt im deutschen Interesse, und sie sollte auch im russischen Interesse liegen. Die Tür dazu können wir der russischen Führung nur zeigen – durchgehen muss sie selbst.

Johann David Wadephul ist Bundestagsfraktionsvize der CDU/CSU und in der Fraktion zuständig für Auswärtiges, Verteidigung und Europarat

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