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Stein des Anstoßes. Ein Arbeiter reinigt die Statue von Jean-Baptiste Colbert, einem königlichen Minister aus dem 17. Jahrhundert, der Regeln für Sklaven in den französischen Überseekolonien verfasste. Die Statue vor dem französischen Parlamentsgebäude wurde mit Graffiti beschmiert.

© Thibault Camus/AP( dpa

Europäische Denkmalsstürze: Wohin mit Baptiste Colbert?

Politisch fragwürdige Statuen gibt es in Paris wie in Berlin zuhauf. Hilft es der Gesellschaft, sie verschwinden zu lassen? Eine Kolumne.

Was haben der stolze Colbert, der vor dem Gebäude der Nationalversammlung im Zentrum von Paris steht, und die Statue einer namenlosen schwarzen Frau gemeinsam, die mit gebeugtem Rücken auf einem Stück Gras in einer schattigen Straße in Zehlendorf hockt?

Baptiste Colbert ist einer der Helden der Nation, der Minister Ludwigs XIV. Früher oder später begegnet ihm jeder französische Schüler in Geschichte. Die schwarze Frau ist eine Granitstatue, die offenbar schon so sehr zum Dekor der Leuchtenburgstraße gehörte, dass keiner sie mehr wahrnahm in diesem ruhigen, ordentlichen Viertel.

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Beide Statuen wurden kürzlich beschädigt. In Paris besprühte ein antirassistischer Demonstrant Colberts Gewand mit einem blutroten „NEGROPHOBIE D’ETAT“ (Staatsnegrophobie). Was die Geschichtsbücher verschweigen, ist, dass auf Colbert der „Code Noir“ zurückgeht. Ein Dekret, das die Sklaverei in den französischen Kolonien gesetzlich regelte.

Dicke Lippen, krauses Haar

In Berlin enthaupteten und entwendeten Unbekannte den Kopf einer Statue, die stereotypisiert mit dicken Lippen, einer flachen Nase, krausem Haar und wulstigen Augen dargestellt wurde. Sie hat den Titel „Negerin“ und stammt von Arminius Hasemann, einem Berliner Bildhauer und bekennenden Nationalsozialisten.

Seit Jahren fordern die Grünen der Zehlendorfer Bezirksverordnetenversammlung, dieses Zeugnis einer vergangenen Ära zu entfernen. Gerade hatte man beschlossen, die Statue in die Zitadelle Spandau zu verlegen, wo eine der faszinierendsten Dauerausstellungen Berlins zu sehen ist.

„Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ heißt sie und zeigt etwa hundert Denkmäler, die abmontiert wurden, ohne zu wissen, wohin mit ihnen. Sie wurden in Depots verbannt oder gar vergraben: preußische Fürsten, Lenin oder Arno Brekers „Zehnkämpfer“ … Unbequeme Überbleibsel der Geschichte.

Seit einigen Jahren mehren sich auch in Frankreich Stimmen, die verlangen, Colberts Statue in ein Museum zu bringen. Kommt nicht in Frage, hat Emmanuel Macron gleich zu verstehen gegeben: „Die Republik wird weder die Spuren, noch die Namen ihrer Geschichte auslöschen.

Voller Widersprüche sind viele Helden

Die Republik wird keine Denkmäler abmontieren. Stattdessen müssen wir gemeinsam auf unsere Geschichte, auf alle unsere Erinnerungen schauen.“ Colbert ist nicht die einzige widersprüchliche Figur. Man denke nur an Pétain, den Helden des Ersten und Verräter im Zweiten Weltkrieg. Oder an Napoleon.

Was mich erstaunt: Wie konnte die „Negerin“, die von Anwohnern 1985 vom Grundstück des Bildhauers mit Bezirksunterstützung am jetzigen Ort platziert wurde, so lange da sitzen? Und wie kommt es, dass Schulkinder in Frankreich (ich eingeschlossen) noch nie etwas von Colberts Rolle in der Kolonialgeschichte gehört haben? Was also soll mit den Statuen geschehen? Warum nicht neben der aktuellen Plakette, die besagt „Colbert, großer Staatsdiener und Förderer unserer Industrie“ eine weitere anbringen, die seine Rolle in der Kolonialgeschichte aufzeigt? Warum lässt man die „Negerin“ nicht da, wo sie ist, nämlich vor unserer Nase, erklärt aber den Kontext ihrer Entstehung im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialgeschichte und dem Nationalsozialismus? Warum beide nicht einfach so lassen: Colbert mit seinem blutrotem Graffiti und die Statue der schwarzen Frau ohne Kopf?

Aus dem Französischen von Odile Kennel.

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