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Flüchtlinge auf einer Landstraße in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Griechenland.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Europäische Asylpolitik: Eine Umstellung auf Kontingentlösungen ist notwendig – mit freiwilliger Selbstverpflichtung

In den vergangenen Jahren hat es die Europäische Union versäumt, das Asylrecht zu reformieren. Drei konkrete Vorschläge, was jetzt zu tun ist. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Forschungsdirektor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Zuletzt erschien von ihm „Das verfallene Haus des Islam. Die religiöse Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt“ (C.H. Beck).

Der türkische Präsident Erdogan hat getan, was er schon mehrmals angedroht hat: Er verkündete öffentlich, dass die Türkei Flüchtlinge nicht mehr daran hindern wird, die EU-Grenzen zu überqueren. Er lässt Verkehrsmittel bereitstellen, um Menschen an die Grenze zu bringen. Und er versucht, weitere Flüchtlinge in die EU zu locken, in dem er falsche Informationen verbreitet, nach denen es schon Zehntausende erfolgreich geschafft hätten, die EU-Grenze zu überqueren.

Noch tut die EU, oder besser gesagt Griechenland, alles Mögliche, um illegale Grenzübertritte zu stoppen, aber wie lange dies durchzuhalten ist, bleibt fraglich. Stimmen, Flüchtlinge aufzunehmen, werden immer lauter. Ganze fünf Jahre hatten die europäische und deutsche Politik Zeit, um eine Reform des Asylrechts umzusetzen, um einer Wiederholung der unkontrollierten Zuwanderung von 2015 zuvorzukommen.

Getan haben sie aber so gut wie nichts, die Kernprobleme der Flüchtlingspolitik bestehen unverändert fort. Obwohl Griechenland das geltende Asylrecht momentan für einen Monat suspendiert hat, garantiert ein gelungener Grenzübertritt in die EU immer noch einen rechtlichen Zugang zu einem Asylverfahren, das sich über Jahre erstrecken kann und das auch nach einer ablehnenden Entscheidung nur selten in eine Rückführung mundet.

Diese Garantie gilt auch dann (und was die Rückführung betrifft erst recht), wenn man über keinerlei Ausweisdokumente verfügt. Viele, die sich auf den Weg in die EU machen, ziehen es deshalb vor, ihre Identifikationsdokumente zu entsorgen.

In Hoffnung zurückgelehnt – und nichts ist passiert

Das Dublin-Verfahren, nachdem Asylanträge in dem EU-Erstaufnahmestaat durchgeführt werden sollten, besteht schon seit seiner Einführung nur auf dem Papier, und die meisten Flüchtlinge machen sich auf den Weg nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland.

Fünf Jahre lang haben die EU und Deutschland sich zurückgelehnt in der Hoffnung, dass Erdogan seine Drohungen nicht wahrmachen und weiterhin die Rolle des Türstehers der EU erfüllen würde. Dabei wäre eine Lösung des Asylproblems möglich, die sowohl viel effektiver als auch deutlich humaner wäre als das heutige Asylsystem. Sie würde aus drei Elementen bestehen.

Erstens müsste das Asylrecht begrenzt werden auf Menschen, die direkt aus dem Gebiet, in dem sie verfolgt werden oder in dem sie vom Krieg bedroht werden, in die EU fliehen. Das würde zum Beispiel gelten für Fälle wie den des Journalisten Can Dündar und der vielen Akademiker, die in der Türkei verfolgt wurden und in Europa Schutz gefunden haben.

Auch Menschen, die aus Ländern stammen, die nicht direkt an die EU grenzen, könnten sich auf das Asylrecht berufen – aber nur, wenn sie mit dem Flugzeug direkt aus dem betreffenden Land in die EU einreisen. Syrer, die über die Türkei, oder Nigerianer, die über Libyen einreisen, würden nicht länger unter das individuelle Asylgrundrecht fallen.

Finanzielle Unterstützung für Länder wie die Türkei allein ist keine Lösung

Das heißt jedoch, zweitens, nicht, dass Europa keine moralische Pflicht hätte, Ländern wie der Türkei, Jordanien, oder Libyen, die Flüchtlinge aus ihren Nachbarländern aufgenommen haben, zu helfen. Das sollte nicht nur, wie im Rahmen des EU-Türkei-Deals, in der Form finanzieller Unterstützung geschehen.

Statt jeden aufzunehmen, der es über die EU-Grenzzäune oder das Mittelmeer schafft, sollte Europa seine Asylpolitik auf die Aufnahme von jährlich festgesetzten Flüchtlingskontingenten aus den Erstaufnahmeländern umstellen. Das wäre auch die Lösung, die die EU oder eine Koalition der willigen Mitgliedsstaaten in der jetzigen Situation der Türkei anbieten könnte, nämlich die Aufnahme eines Kontingents von – sagen wir – 50 000 Flüchtlingen aus der syrischen Idlib-Region in die EU.

Voraussetzung wäre eine genaue Identitäts- und Sicherheitsprüfung vor Ort. Nur wer nachweisen kann, dass er aus den Kriegsgebieten in Syrien stammt und wer nicht mit einem der vielen dort aktiven dschihadistischen Kampfgruppen verbunden gewesen ist, sollte die Einreise nach Europa gestattet werden.

Kanada als Vorbild

Bei der Zusammensetzung eines Kontingentes können außerdem besonders schutzbedürftige Gruppen wie Familien mit Kindern, Alte und Kranke sowie Mitglieder verfolgter Minderheiten bevorzugt werden. So machen es auch Länder wie Kanada oder die USA, die – aufgrund ihrer geografischen Lage – fast nur Flüchtlinge über Kontingente aufnehmen.

Als dritte Komponente muss dafür gesorgt werden, dass diejenigen, die sich auf eigene Faust in die EU aufmachen, sofort und konsequent in die Erstaufnahmeländer zurückgeschickt werden. Dafür braucht man Rücknahmeabkommen mit der Türkei und den südlichen Mittelmeerstaaten.

Die Kontingente, die diese Länder erheblich entlasten werden, sind dabei das Tauschmittel – und nicht etwaige Versprechen von visafreiem Reisen, EU-Beitrittsverhandlungen oder andere politische Geschenke an autoritäre Herrscher. Alle, die es an der Schlange vorbei versuchen und über ein Land in die EU einreisen, in dem sie einen Antrag auf Aufnahme in einem EU-Kontingent hätten stellen können, sollten von dem Recht, einen Asylantrag in Europa zu stellen, ausgeschlossen werden.

Freiwillige Selbstverpflichtung ist besser als Zwang

Damit würde die EU dem Geschäftsmodell der Menschenschmuggler und dem damit verbundenen Sterben im Mittelmeer ein Ende bereiten. Statt diese Kernprobleme der Asylpolitik anzupacken, hat die europäische Politik ihre Energie in den vergangenen Jahren an die innerhalb der EU Zwietracht säende Frage der Verteilung der Flüchtlinge über die Mitgliedsstaaten verschwendet.

Besser wäre es, auf freiwillige Selbstverpflichtung zu setzen. Die Verteilung lässt sich nicht zentral festlegen und erzwingen, da die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Mitgliedsstaaten dafür viel zu heterogen sind. Das sture Beharren Deutschlands auf diesen Punkt hat dem inneren Frieden innerhalb der EU geschadet.

Geringeres Sicherheitsrisiko, erhöhte Bereitschaft

Eine Umstellung der europäischen Asylpolitik auf Kontingentlösungen könnte das Verteilungsproblem erheblich entschärfen. Wenn klar ist, dass es um eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen geht, deren Identität und Schutzbedürftigkeit gesichert sind, und die kein Sicherheitsrisiko darstellen, wäre es erheblich leichter, Länder dazu zu bewegen, ihren Beitrag zu leisten.

Eine solche Asylpolitik, die auf Sicherheit, Kontrolle über die Grenzen und eine großzügige humanitäre Aufnahme von wirklich Schutzbedürftigen setzt, wird auch mit einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung rechnen können. Grundlegende Änderungen entlang dieser Linien im europäischen Asylregime sind unumgänglich.

Sonst wird die Geschichte sich wiederholen: eine unkontrollierte Zuwanderung und die damit verbundenen Sicherheitsprobleme, weitere Tausende Tote im Mittelmeer und nicht zuletzt ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Kräfte.

Ruud Koopmans

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