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So transatlantisch wie womöglich nach ihm nie wieder ein amerikanischer Präsident.

© ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/AFP

Europa und die USA: Europa muss die Chance für einen Neustart ergreifen - jetzt

So transatlantisch wie mit einem Präsidenten Joe Biden wird Amerika so schnell nicht mehr. Was Europa jetzt tun muss. Ein Gastbeitrag.

Felicitas von Loë ist als Programm-Managerin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung tätig. Zuvor arbeitete sie im Europa Programm des German Marshall Fund of the United States und am Deutschen Historischen Institut in Paris.

Wer am 20. Januar 2021 auf die Stufen des Kapitols hinaustritt, um seinen Amtseid als 46. Präsident der USA zu leisten, wird nicht nur die Zukunft der Vereinigten Staaten bestimmen. Bei den Präsidentschaftswahlen stand auch für Europa sehr viel auf dem Spiel: Mit Joe Biden wird ein Präsident ins Weiße Haus einziehen, der das transatlantische Bündnis schätzt und erneuern möchte. Sicherlich wird auch der ehemalige Vizepräsident keine Rückkehr zur einer Zeit vor Trump einläuten. Dafür haben sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse auf der Weltbühne zu sehr verschoben. Und doch käme ein Präsident ins Amt, der so transatlantisch geeicht ist, wie man es sich auf dem alten Kontinent nur wünschen könnte. Sein Essay „Why America must lead again“ skizziert dies eindrücklich. In den frühen Novembertagen zeichnete sich in aller Deutlichkeit ab: Das transatlantische Verhältnis und mit ihm Europas Zukunft stand zur Wahl.

Europa darf nicht auf die Amtsübergabe warten - sondern muss jetzt auf Joe Bidens Team zugehen

Ob sich das transatlantische Verhältnis bessert, hängt maßgeblich auch von Europa ab. Europa tat gut daran, nicht auf die rettende Nachricht aus Washington zu warten. Europa muss jetzt, noch vor dem 20. Januar, konzeptionelle und konkrete Vorschläge erarbeiten, um beiden Seiten möglichst rasch erste Erfolge zu ermöglichen. Die Transatlantic Task Force, eine Expertengruppe unter der Leitung von Karen Donfried und dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, die vom German Marshall Fund und von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung ins Leben gerufen wurde, hat eine Vielzahl an konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, etwa in den Politikfeldern Sicherheit, Klimawandel und technologische Transformation. Wenn etwa, wie es die niederländische Politikerin Marietje Schaake fordert, demokratische Staaten ihre Kompetenzen bündeln würden, um ihre technologische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, wäre dies ein wichtiger Schritt. Auch die Entwicklung und Verteilung des Covid-19-Impfstoffs als transatlantische Aufgabe zu definieren, wäre eine bedeutsame Maßnahme, um von transatlantischer Koordination zur Kooperation zurückzukehren.

Europa muss die Sprache der Macht neu lernen

Um es mit Josep Borrell zu sagen, dem Hohen Vertreter der EU für Außenpolitik: Europa muss die Sprache der Macht neu lernen. Dabei geht es nicht um eine Emanzipation von den USA, sondern um die Stärkung des transatlantischen Zusammenhalts durch Europas Fähigkeit, selbst Macht zu projizieren. Im aufgeklärten Sinne, also verantwortlich, nicht zügellos. Dabei kommt es nach Größe, Wirtschaftskraft und politischem Vertrauen vor allem auf Deutschland an, wie es viele Teilnehmer des 174. Bergedorfer Gesprächskreis „Bridging the Atlantic“ bestätigten - der „Bergedorfer Gesprächskreis“ ist ein Gesprächsformat der Körber-Stiftung, in dem internationale hochrangige Politikerinnen und Experten über außenpolitische Fragen diskutieren, die Deutschland und Europa betreffen. Deutschland muss sich bewusst werden: Ganz Europa erwartet, dass es „seine strategische Kultur und seine außenpolitischen Entscheidungsstrukturen weiterentwickelt“, wie Wolfgang Ischinger jüngst schrieb.

Annegret Kramp-Karrenbauer hat kraftvolle Worte gefunden, die dem Neustart mit Washington die Tür öffnen könnten

Auf der aktuellen Prioritätenliste konzentriert sich das Übergangsteam von Joe Biden und Kamala Harris erwartungsgemäß auf Covid-19, den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Herausforderungen des Klimawandels und die Ermöglichung von Chancengerechtigkeit. Dass auch das transatlantische Verhältnis oben auf der Prioritätenliste des gewählten Präsidenten landet, ist im ureigenen Interesse Deutschlands und Europas. In einem eindrücklichen Bekenntnis zum transatlantischen Verhältnis appellierte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 23. Oktober: „Für diese Stärkung Europas kommt Deutschland die Schlüsselrolle zu.“

Ihr Appell wird bereits jetzt von Transatlantikern wie Constanze Stelzenmüller als wegweisende „kraftvolle Rede“ gepriesen. Europas Sicherheit, mahnt die Ministerin, sei nicht ohne Amerika zu denken. Deutschland bliebe „strategischer Nehmer“, müsse sich jedoch entschiedener zu einem „strategischen Geber“ entwickeln. Es ist zu hoffen, dass diese klaren Worte der Ministerin als politischer Türöffner für einen Neustart mit Washington verstanden werden.

Besonders für Deutschland war die Präsidentschaftswahl wegweisend

Weshalb sind insbesondere für Deutschland die Präsidentschaftswahlen in den USA so wegweisend? Die große Anspannung rührte nicht zuletzt daher, dass sich Deutschland trotz „Münchner Konsens“ 2014 nach wie vor von seiner eingeübten Haltung lösen muss, sich auf die USA als Ordnungsmacht zu verlassen. Die in Deutschland zunehmende ambivalente Haltung gegenüber den USA bis hin zu einem latenten Antiamerikanismus verkennt zugleich die geostrategischen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Denn den systemischen Herausforderungen, die Chinas neue Weltrolle mit sich bringt, in dem es zum Beispiel durch sein Agieren im südchinesischen Meer die regelbasierte internationale Ordnung untergräbt, wird sich weder Deutschland noch Europa allein stellen können.

Ein gemeinsames transatlantisches Kernthema muss demnach der künftige Umgang mit China als strategischer Partner und Systemrivale sein. Nach Einschätzung amerikanischer Sicherheitsexperten wie Elbridge Colby und Wess Mitchell wird China seine Machtstreben in Europa weiter verstärken, während sich die USA zunehmend aus dem European theater zurückziehen und dem Pacific theater zuwenden wird. Was bedeutet dies für die Sicherheitslage in Europa? Was würde passieren, um diese Frage auf die Spitze zu treiben, wenn sich die USA aus der Nato zurückzögen?

Deutschland wäre am stärksten betroffen, sollten sich die USA militärisch aus Europa zurückziehen

Laut einer Studie der Körber-Stiftung mit dem International Institute for Strategic Studies (IISS) ist eines klar: Im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn stünde Deutschland mit Abstand am schlechtesten dar, würde gar in eine existentielle Sicherheitskrise hineingeworfen werden. Wer würde zum Beispiel Amerikas konventionelles Abschreckungspotential oder seinen Nuklearschirm ersetzen? Selbst wenn dies nun nach der Wahl Joe Bidens ein fiktives Szenario bleibt, muss diese exponierte Lage Deutschland wachrütteln. Seine Politiker müssen diese Zusammenhänge und ihre Konsequenzen ihrer Wählerschaft erklären. Dies kann nicht die Aufgabe des amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus sein.

Zurück zum Wahlausgang: Wäre Präsident Trump bestätigt worden, hätte er sich nach Einschätzung von Thomas Wrights triumphierend mit Loyalisten umgeben und wäre in seinem disruptiven Politikstil kaum noch zu beschwichtigen gewesen, woraufhin Europa seine Anstrengungen hätte verdoppeln müssen, um mit einer Stimme zu sprechen. Nicht nur den USA, auch Europa hätte eine von Präsident Trump befeuerte Spaltung gedroht. Weshalb wird jedoch auch ein Präsident Biden allein nicht die Rettung für Europa bringen? Weil dies Europas ureigenste Aufgabe ist. Ein transatlantischer Präsident Biden wird Europa mit einer angemesseneren Tonlage begegnen und zugleich ein proaktiveres Handeln Deutschlands einfordern. Diese einmalige Chance muss Europa ergreifen.

Felicitas von Loë

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