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Am Arbeitsplatz erleben Musliminnen und Muslime am häufigsten Zurücksetzung.

© Kay Nietfeld/picture alliance-dpa

Update

EU-Studie: Muslime beklagen Diskriminierung am Arbeitsplatz

Zum zweiten Mal hat die EU-Grundrechteagentur Muslime zu Vorurteilen gegen sie befragt. Das Niveau der Ablehnung bleibt hoch.

Vorurteile, Belästigungen oder Nachteile bei der Stellen- und Wohnungssuche: Europas Muslime machen nach wie vor erhebliche Diskriminierungserfahrungen im Alltag. 39 Prozent von ihnen berichten in einer neuen Umfrage der Europäischen Grundrechte-Agentur von entsprechenden Vorfällen in den letzten fünf Jahren - und dies wiederholt, im Schnitt fünfmal in zwölf Monaten.

Über Belästigungen und Beleidigungen berichteten dabei 27 Prozent, gewalttätig angegriffen wurden zwei Prozent. Die Religion selbst bot dabei erst an zweiter Stelle den Angriffspunkt (17 Prozent); öfter wurden sie als Migranten erkannt oder eingestuft (27 Prozent), ihre Hautfarbe war der dritthäufigste einzelne Grund (9 Prozent). Ein knappes Drittel der Musliminnen mit Kopftuch muss sich Schmähungen in der Öffentlichkeit gefallen lassen, aber auch ein knappes Viertel (23 Prozent) derer, die es nicht tragen.

Für die Erhebung befragte die Agentur im vergangenen Jahr 10.500 Frauen und Männer, die sich selbst als muslimisch verstehen, in 15 EU-Ländern - Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Malta, den Niederlanden, Österreich, Schweden, Slowenien, Spanien, Großbritannien und Zypern. Alle waren über 16 Jahre alt und stammten aus Familien mit Migrationsgeschichte, waren also selbst eingewandert oder Kinder mindestens eines in die EU eingewanderten Elternteils. Für diese Gruppe sei die Untersuchung repräsentativ, erklärte die in Wien ansässige Grundrechte-Agentur.

Muslimische Frauen wehren sich öfter als Männer

Die stärkste Diskriminierung im Alltag erfahren Muslime dabei am Arbeitsplatz oder auf Arbeitssuche. Nur fünf Prozent hatten am Arbeitsplatz nichts dergleichen erlebt, nur ein Prozent auf der Suche nach einem Job. Von ständigen Vorfällen beim Arbeiten oder mehr als zehn Mal im Jahr vor der Befragung berichteten aber 27 Prozent der muslimischen Arbeitnehmer, an zwei bis fünf Erlebnisse erinnerten sich weitere 40 Prozent von ihnen.

Eine große Mehrheit der Betroffenen wehrt sich dennoch nicht, oft weil sie nicht glauben, dass sie Hilfe finden werden: 88 Prozent beklagten sich nach eigenen Angaben bei keinem Vorgesetzten oder einer Antidiskriminierungsstelle oder gingen gegebenenfalls zur Polizei. Dabei sind Männer zurückhaltender als Frauen: Von ihnen zeigten nur 10 Prozent an, was sie als Diskriminierung erlebt hatten, von den Frauen taten dies 15 Prozent.

Fast drei Viertel (72 Prozent) wissen auch nicht, dass es Anlaufstellen gegen Diskriminierung gibt - "das könnte die geringen Anzeigezahlen erklären", heißt es dazu im Bericht. Gut zwei Drittel wissen auch nicht, dass es in ihrem Land entsprechende Gesetze gibt - wenn auch mit deutlichen Unterschieden zwischen den Ländern und Herkunftsgruppen, von einem geringen Level in Italien und Malta bis zu einem sehr hohen in Frankreich und Schweden.

Heimatliebe ausgeprägt

Womöglich erstaunlich, aber im Trend früherer Untersuchungen: Trotz entmutigender Erfahrungen fühlen sich Muslime Europa verbunden. Drei Viertel (76 Prozent) von ihnen bezeichneten sich als "stark verbunden" mit ihrem EU-Heimatland. Nur zwei Prozent fühlen gar keine Bindung. Am stärksten ist das Heimatgefühl dabei in Finnland, am schwächsten in Italien, gefolgt von den Niederlanden, Österreich und Griechenland. Deutschland liegt im EU-Schnitt.

Das Vertrauen der Muslime zu den öffentlichen und demokratischen Institutionen ist sogar noch größer als das der nichtmuslimischen und nicht eingewanderten Bevölkerung. Am stärksten ist es zu Polizei, Justiz und danach zu den nationalen Parlamenten der EU-Heimatländer. Auf einer Skala mit dem Höchstwert Zehn geben Muslime dem Rechtssystem ihres jeweiligen Landes 6,6 Punkte, während die allgemeine Bevölkerung nur die Note 5,4 vergibt, die Parlamente bekommen 5,7 von Muslimen, aber nur 4,5 Punkte von der Durchschnittsbevölkerung. Für diesen Vergleich zog die Agentur die Daten der Gesamtheit der EU-Bürger aus der EU-Sozialbefragung von 2014 heran.

Vielfalt erwünscht, aber keine sexuelle

Fast alle Muslime, nämlich 92 Prozent sind außerdem offen dafür, in gemischten Nachbarschaften mit Menschen anderen weltanschaulichen Hintergrunds oder ethnischer Herkunft zu leben. Was sexuelle Minderheiten angeht, gibt es freilich Grenzen der Toleranz: Fast ein Viertel, 23 Prozent, der Befragten, hätten lieber keine schwulen, lesbischen und bisexuellen Nachbarn. Und mit Transgender oder Transsexuellen hätten sogar 30 Prozent der Muslime Probleme - wobei Frauen für jede Art Nachbarn offener sind als Männer.

"Die Ergebnisse dieser Studie zeigen den allgemeinen Mangel an Fortschritt in der Bekämpfung von Diskriminierung und Hassdelikten", schreibt der Direktor der EU-Grundrechteagentur, Michael O'Flaherty, im Vorwort des Berichts. Er verweist dazu auf die erste Studie, die seine Behörde im Jahr 2008 veröffentlicht hatte. Damals berichteten noch 30 Prozent der muslimischen Befragten von Diskriminierung, also weniger als die jetzt festgestellten 39 Prozent, Menschen aus Nordafrika und der Subsahara machten schon damals die meisten Negativerfahrungen in Europa. Und auch die Bereitschaft, sich dagegen zu wehren, ist eher gesunken - damals unternahmen erst 79 Prozent der Betroffenen nichts.

Wenig Fortschritte - außer bei der Polizei

Allerdings enthält der Bericht auch Hinweise auf Fortschritte, etwa bei der Polizei: Dass Polizisten sie wegen ihres Aussehens anhalten und überprüfen, meinen zwar wie damals noch etwa 40 Prozent der europäischen Muslime, die in solche Kontrollen gerieten. Aber nur noch 16 Prozent berichteten, dass sie von solchen anlasslosen "Polizei-Stopps" betroffen waren - 2008 hatten noch 25 Prozent sie erlebt. In den USA und Großbritannien ist sogenanntes "Racial Profiling", also Kontrollen, die gezielt an ethnischen Merkmalen ansetzen, schon länger in der Kritik. Auch in Deutschland wehrten sich Betroffene in den letzten Jahren vermehrt und gingen vor Gericht.

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