zum Hauptinhalt
Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank (Archiv)

© dpa/Susann Prautsch

EU-Spitzenposten: Das sind die Schlüsselfiguren im Machtspiel

Kommt der nächste Kommissionschef aus Deutschland – oder der nächste EZB-Präsident? Sicher ist: Nach der Europawahl werden nicht beide Posten an Deutsche gehen.

Nach der Europawahl sind zahlreiche europäische Spitzenposten zu vergeben. Ende Oktober wird unter anderem der Posten des EU-Kommissionschefs frei, aber auch das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) muss zu diesem Zeitpunkt neu besetzt werden.

Zwei Deutsche sind für die Posten im Gespräch: Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, könnte Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker werden. Und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird als Kandidat für die Nachfolge des EZB-Chefs Mario Draghi gehandelt.

Allerdings ist auch klar: Wenn überhaupt, dann kann maximal ein Deutscher einen europäischen Spitzenposten beanspruchen. Eine Übersicht über die Brüsseler Personalspekulationen:

Manfred Weber

Manfred Weber, EVP-Spitzenkandidat
Manfred Weber, EVP-Spitzenkandidat

© Kay Nietfeld/dpa

CSU-Vize Manfred Weber steigt bei der Europawahl als Spitzenkandidat der europäischen Parteienfamilie der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) in den Ring. Wie viele andere im Europaparlament auch erhebt er den Anspruch, dass nur eine Person, die als Spitzenkandidat bei der Europawahl angetreten ist, auch Juncker-Nachfolger werden kann. Allerdings hat Weber mit zwei gravierenden Schwierigkeiten zu kämpfen: Zum einen ist nicht sicher, ob er nach der Europawahl im EU-Parlament die nötige Mehrheit der Abgeordneten hinter sich versammeln kann.

Aufgrund des erwarteten Zuwachses bei den Rechtspopulisten und der Neuzugänge von der französischen Regierungspartei „La République en Marche“ werden die Konservativen von der EVP und die Sozialdemokraten voraussichtlich erstmals keine gemeinsame Mehrheit zu Stande bringen. Die „Groko“ zwischen EVP und Sozialdemokraten brachte nach der letzten Europawahl von 2014 den Luxemburger Jean-Claude Juncker ins Amt des Kommissionschefs. Doch diesmal läuft alles anders.

Das zweite Hindernis für Weber liegt im Widerstand des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen das Spitzenkandidaten-Prinzip. Bei der letzten Europawahl machte der sozialdemokratische Wahlverlierer Martin Schulz noch am Wahlabend intern im Europaparlament den Weg für Juncker frei. Macron will verhindern, dass erneut ein ähnlicher Schnell-Deal – diesmal geschmiedet von Weber – zu Stande kommt. „Wir sollten die Situation von 2014 nicht wiederholen“, sagt ein enger Berater Macrons.

Frankreichs Präsident setzt darauf, dass nicht das Europaparlament bei der Entscheidung über die Juncker-Nachfolge am längeren Hebel sitzt, sondern die Staats- und Regierungschefs. Macron und Co. wollen sich am kommenden Dienstag ein weiteres Mal mit den kommenden Entscheidungen über die europäischen Spitzenämter befassen.

Zuletzt hatten sie Anfang Mai beim EU-Gipfel im rumänischen Sibiu über das Brüsseler Personalkarussell gesprochen. Dabei hatte Macron noch einmal seine Ablehnung des Spitzenkandidaten-Prinzips bekräftigt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt zwar Weber als Frontmann im EVP-Wahlkampf, hält sich aber wie so oft alle Optionen offen.

Zwischendurch war auch gemutmaßt worden, dass Macrons Augenmerk gar nicht so sehr der Juncker-Nachfolge gelte, sondern eher einem französischen Kandidaten für den . In Paris wird diese Lesart allerdings zurückgewiesen. Mit Blick auf die Posten des Kommissionspräsidenten und des EZB-Chefs sagt Macrons Berater: „In der Hierarchie ist der Kommissionspräsident wichtiger.“

Jens Weidmann

Bundesbankpräsident Jens Weidmann rechnet sich Chancen auf die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi aus.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann rechnet sich Chancen auf die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi aus.

© dpa

Wie das Leben so spielt. Im August 2018 hieß es: „Merkel lässt Weidmann fallen.“ Sie opfere seine Chancen, den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank von dem Italiener Draghi zu übernehmen, um Manfred Weber als EU-Kommissionschef durchzusetzen.

Nun heißt es aber in Regierungskreisen: Weber habe kaum eine Chance, einerseits von den erwarteten Stimmverhältnissen her. Und weil er noch nie ein Regierungsamt inne gehabt habe, werde er in Brüssel als „Leichtgewicht“ empfunden. Nachdem Weidmann sich schon mit einem Verbleib auf dem Posten des Bundesbank-Chefs arrangiert hatte, ist es auffällig, dass er seine zweite Chance zu wittern scheint.

Er ist wieder im Spiel. In Deutschland muss er fachlich niemanden überzeugen, der frühere Berater von Kanzlerin Merkel gilt als Anhänger einer konservativen Geldpolitik – und kritisierte die lockere Geldpolitik sowie die milliardenschweren Anleihekäufe Draghis. Einige Unions-Politiker kritisieren das als verdeckte Staatsfinanzierung mit der Notenpresse, zudem nahm das Druck von Staaten wie Italien, um stärker zu sparen.

Interessant ist, dass Weidmann verstärkt südeuropäischen Zeitungen Interviews gegeben hat, von einer „Charme-Offensive spricht die „Financial Times“. Weidmann muss vor allem Italiener, Spanier, Griechen und Portugiesen überzeugen, denn die vier Länder haben im Kreis der Euro-Staaten, die den nächsten EZB-Chef mit qualifizierter Mehrheit bestimmen müssen, eine Sperrminorität.

Besonders aufschlussreich ist Weidmanns Rede vom 16. Mai beim Deutschen Sparkassentag in Hamburg. Besonders sein Lob für Draghis Geldpolitik ließ aufhorchen. Zitat: „Ohne die geldpolitischen Sondermaßnahmen wäre das gesamtwirtschaftliche Wachstum wohl schwächer ausgefallen, der Beschäftigungsaufbau schleppender vorangekommen und die Arbeitslosigkeit zögerlicher gesunken“, sagte Weidmann. „Der muss die anderen überzeugen“, heißt es in Regierungskreisen.

Letztlich ist es ein Pokerspiel. Weidmann engagiert sich besonders stark auch im transatlantischen Bereich, was seine Chancen nicht mindern dürfte. Er ist ein Mann des Ausgleichs, ein Brückenbauer.  „Allein die schon beschlossenen Handelsschranken könnten nach einer Berechnung der Bundesbank die Wirtschaftsleistung der beiden Kontrahenten mittelfristig um jeweils 0,5 Prozent dämpfen und den Welthandel um 1 Prozent verringern“, warnt er vor einer Verschärfung des Handelsstreits und den Folgen auch für die europäische Wirtschaft. Eine weitere Eskalation wäre Gift für die Konjunktur, sagt er.

Weidmann hat auch einen guten Draht zu Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der alle anderen EU-Notenbankchefs getroffen hat, so was kann im Fall der Fälle auch helfen. Weidmann ist immer ein gefragter Fachmann bei den Treffen der G20-Finanzminister und des Internationalen Währungsfonds. Auch in Paris hat man grundsätzlich nichts gegen Weidmann. "Es war nie unser Ansatz, ein Veto gegen einzelne Namen einzulegen", heißt es im Elysée-Palast.

Und vielleicht ist ja eine Begebenheit aus dem vergangenen Jahr ein gutes Omen. Bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington feierte er im April 2018 seinen 50. Geburtstag – Scholz schenkte dem drahtigen Bundesbank-Präsidenten bei einem Pressefrühstück ein recht großes Trikot des Eishockey-Clubs Washington Capitals mit der Nummer 50. Und wenige Wochen später wurden die Capitals zum ersten Mal überhaupt Stanley Cup Sieger.

Frans Timmermans

Frans Timmermans ist Erster Vizepräsident und EU-Kommissar.
Frans Timmermans ist Erster Vizepräsident und EU-Kommissar.

© Marcel van Hoorn / ANP / AFP

Bei der deutschen SPD sieht man für den Niederländer Timmermans fast täglich steigende Chancen für den Posten des EU-Kommissionschefs, erst recht durch den Erfolg der Sozialdemokraten zum Auftakt der Europawahl in den Niederlanden. „Das Rennen darum, wer die Mehrheit im Europaparlament und wer den nächsten Kommissionspräsidenten stellt, ist offen“, betont Achim Post (SPD), der Generalsekretär der europäischen Sozialdemokraten.

Timmermans ist dieses Mal so wie Martin Schulz 2014 der europäische Spitzenkandidat, die am Sonntag aus dem Amt ausscheidende Justizministerin Katarina Barley ist die nationale Spitzenkandidatin. Sie wechselt nach Brüssel, aber ihr droht ein Karriereknick. Denn im Postenpoker ist sie nur Statistin.

Doch Timmermans müsste eine breite Koalition zimmern. Und anders als im Fall von Juncker und Schulz vor fünf Jahren wollen Merkel und Macron dieses Mal ein gewichtiges Wort mitreden – auch wenn keiner schon beim EU-Sondergipfel am Dienstag nach der Wahl eine Entscheidung erwartet, aber Weichenstellungen. Timmermans ist bekannt für seine kernigen Auftritte, er prangert den Nationalismus in Polen, Ungarn und Italien ohne Umschweife an.

Er ist ein Kämpfer, und im Wahlkampf überraschte er mit drastischen Vorschlägen in Sachen Klimaschutz. Im deutschen Fernsehduell vor der Europawahl sprach sich der Sozialdemokrat Timmermans für eine Abschaffung von Kurzstreckenflügen aus – wenn es als Ersatz gute und schnell Bahnverbindungen auf der Strecke gibt.

Er ist bereits erster Vizepräsident der EU-Kommission, spricht ein halbes Dutzend Sprachen und war Außenminister in seinem Heimatland: Von der Regierungserfahrung hat Timmermans Weber einiges voraus. Wie sein Vorgänger bei der Wahl 2014, Schulz, kommt Timmermans aus dem Dreiländereck bei Aachen. 1961 in Maastricht geboren, wuchs der Niederländer im wenige Kilometer entfernten Heerlen auf.

2012 wurde er Außenminister, nach der Europawahl 2014 schickte ihn der liberale Regierungschef Mark Rutte als EU-Kommissar nach Brüssel. Sollte es Timmermans werden, wäre aber eines auch klar – dann könnte nicht der für diesen Posten gehandelte Regierungschef Rutte EU-Ratspräsident werden, der die Treffen der Staats- und Regierungschefs einberuft und organisiert.

Margrethe Vestager

Es ist nicht ausgeschlossen, dass erstmals eine Frau Kommissionspräsidentin wird. Die Dänin Margrethe Vestager, die sich als EU-Wettbewerbskommissarin einen Namen gemacht hat, hat jedenfalls ihre Ambitionen bereits durchblicken lassen. Sie hätte den Segen Macrons, zumal die Liberalen nach der Europawahl im Straßburger Parlament mit den Abgeordneten von Macrons „La République en Marche“ eine gemeinsame Fraktion bilden wollen.

Margrethe Vestager von der sozialliberalen dänischen Partei Radikale Venstre
Margrethe Vestager von der sozialliberalen dänischen Partei Radikale Venstre

© REUTERS/Francois Walschaerts

Die Frau, die milliardenschwere Geldbußen gegen Google, Apple und Co. verhängte, hat allerdings ein Manko: Sie trat nicht als Spitzenkandidatin an und könnte damit Gefahr laufen, im Europaparlament durchzufallen. Denn im europäischen Machtspiel gilt die Regel: Wer auch immer von den Staats- und Regierungschefs für die Juncker-Nachfolge vorgeschlagen wird, muss hinterher von der Straßburger Kammer bestätigt werden. Und vielen Europaabgeordneten schmeckt es nicht, dass Vestager im Europawahlkampf keine herausragende Rolle spielte, sondern nur innerhalb eines liberalen „Spitzenteams“ antrat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false