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Der "illiberale Demokrat" Viktor Orban ist für die demokratische EU zur Belastung geworden (Archivfoto).

© Vincent Kessler, Reuters

EU-Rechtsstaatlichkeit: Aufstehen gegen Orbáns Bluff

Der Trilog der europäischen Gesetzgeber in Brüssel ist vielleicht die letzte Chance, Ungarn und Polen an ihre Rechtsstaatlichkeit zu erinnern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Wird die Europäische Union auch in zehn Jahren noch für die Demokratie einstehen und die Herrschaft des Rechts gegen das Recht der Stärkeren verteidigen?

Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint. Tatsächlich steht genau das derzeit zur Verhandlung. Schauplatz dieses bedrohlichen Vorgangs ist der Trilog der europäischen Gesetzgeber in Brüssel. Dort verhandeln Vertreter des Parlaments mit denen des Rates der EU, also der nationalen Regierungen, sowie der Kommission über Gesetzentwürfe, wenn diese zwischen den Institutionen strittig sind.

Dabei geht es um die vermutlich letzte Chance, die Feinde des Rechtsstaats in Ungarn und Polen sowie deren Nachahmer nachhaltig in die Schranken zu weisen. Das Instrument dafür ist die „Verordnung zum Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip“, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat.

Gefährdete Verfolgung von Korruption

Würde sie geltendes Recht, dann müssten alle Auszahlungen aus dem EU-Haushalt gestoppt werden, wenn die Justiz eines Landes nicht mehr unabhängig von der Regierung das EU-Recht vollziehen kann. Die Verfolgung von Korruption und Betrug mit EU-Geld wäre dann nämlich nicht mehr garantiert.

Das ist im Fall Ungarn längst offenkundig. Regierungschef Viktor Orbán hat Geschäftsfreunden Agrarland und staatliche Aufträge zugeschanzt, sodass sie direkt von EU-Mitteln profitieren. Parallel dazu hat die EU-Behörde zur Betrugsbekämpfung in keinem anderen EU-Staat so viele Betrugsfälle angezeigt wie in Ungarn.

Aber unabhängige Ermittlungen gibt es nicht. Die Medien sind gleichgeschaltet und die Gerichte sind mit Gewährsleuten der Regierung besetzt. Das Gleiche ist in Polen zu befürchten, wo die Nationalisten-Partei PiS sich die Justiz unterworfen hat. Ähnliche Zustände herrschen auch in Bulgarien und Rumänien.

Alle bisherigen Versuche, diese Erosion von Europas Grundwerten aufzuhalten, sind gescheitert. Der EU-Vertrag sieht vor, dass alle übrigen Staaten zustimmen müssen, wenn einer Regierung das Stimmrecht entzogen werden soll. Weil Orbán und seine polnischen Alliierten sich gegenseitig decken, kommt es nie dazu. Da hat der Gesetzesvorschlag zum Entzug der EU-Fördergelder mehr Biss. Denn dafür braucht es nur die Mehrheit von 15 Staaten und 65 Prozent der vertretenen Bevölkerung.

Orbáns Drohungen

Diese Abstimmung haben die anderen EU-Regierungen aber nicht gewagt, weil Orbán droht, den nächsten EU-Haushalt und – was noch schwerer wiegt – auch den 750-Milliarden-Fonds gegen die Corona-Krise zu blockieren. Das würde allerdings Ungarn selbst besonders hart treffen.

Die Staatskasse bezieht EU-Zahlungen im Wert von von mehr drei Prozent der Wirtschaftsleistung jährlich. Mit dem Coronafonds würde sich die Summe sogar verdoppeln, und die Krisenfolgen sind auch in Ungarn verheerend. Orbán blufft, er braucht das Geld mehr als die meisten seiner Kollegen im Rat.

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Doch die sind trotzdem darauf hereingefallen und wollen das Gesetz so weit verwässern, dass es nutzlos würde. Demnach müsste die Kommission nachweisen, dass ein Rechtsstaatsmangel zu einem nachweislichen Missbrauch von EU-Geldern geführt hat – eine unmögliche Vorgabe. Ohne unabhängige Justiz wären gerichtsfeste Beweise gar nicht beizubringen. Darum stemmt sich die breite Mehrheit des EU-Parlaments dagegen und kann sich dabei auf die Zustimmung von 70 Prozent der EU-Bürger berufen.

Daher sollte die Bundesregierung ihren derzeitigen Vorsitz im Rat nutzen, um für die notwendige Konfrontation eine Mehrheit zu formieren – auch wenn das die Krisenhilfe verzögern würde. Notfalls ließe sich auch ein Fonds aufsetzen, der zeitweilig jenseits der EU-Verfahren läuft, so wie das während der Eurokrise auch schon geschah. Viel schlimmer wäre es, wenn die autoritären Kleptokraten weiter Rechtsstaat und Demokratie demontieren können, und alle anderen dafür auch noch bezahlen müssen.

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