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Im Jahr 2017 forderten Hunderttausende den Rücktritt der rumänischen Regierung.

© picture alliance / NurPhoto

EU-Ratspräsidentschaft: Rumänien unter Beobachtung

Rumänien hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Und Aktivisten wie Florin Badita versuchen, den schlechten Ruf seiner Heimat zu beseitigen.

Ach, würde er doch Bäume pflanzen. Sagt er. Selbst wenn er nicht lange genug lebte, um sie in große Höhe wachsen zu sehen, so sähe er doch die ersten Zweige. Florin Badita aber sieht nichts. Die Saat, die er wässert, geht so langsam auf. Sie heißt ziviler Ungehorsam.

Es ist ein Montagabend in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, in den Straßen wackeln die Menschen wie Pinguine über gefrorenen Schneematsch. Florin Badita wartet im wohnlichen Dachgeschoss eines kleinen Hauses, das nicht schwer zu finden ist: Am Eingangstor zum Grundstück kleben zwei schwarz-gelbe Flyer, die aussehen wie Warnschilder. Zona Libera de Coruptie steht darauf – korruptionsfreie Zone.

Am 1. Januar 2019 hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen, zum ersten Mal seitdem es 2007 beigetreten ist. Es dauerte nur wenige Tage, da wurden von hoher Stelle die ersten Zweifel laut. Können die das, diese Rumänen? Den Vorsitz über alle EU-Länder haben, die europäische Einigung voranbringen – in Brexit-Zeiten –, wenn sich das Land in innenpolitischen Rangeleien verkämpft?

Seit geraumer Zeit versucht die Regierung, das Justizwesen zu reformieren, gegen den Widerstand des Staatspräsidenten Klaus Johannis. Staatsanwälte und Richter könnten durch die Reform weniger unabhängig, Ermittlungen gegen Verwaltungsmitarbeiter schwerer werden, Korruption soll erst strafbar sein, wenn die Schadenssumme höher ist als 43 000 Euro. Das ist vor allem Selbstschutz: Gegen den Chef der regierenden sozialdemokratischen Partei PSD, Liviu Dragnea, wird wegen Amtsmissbrauchs ermittelt. Er ist außerdem vorbestraft. Weil er deswegen nicht Ministerpräsident werden konnte, berief er seine Vertraute Viorica Dancila in dieses Amt. Im Netz wird über sie gespottet: Dragneas Marionette!

Der Länder-Bericht der EU-Kommission vom Ende des vergangenen Jahres liest sich eindeutig: Probleme bezüglich Rechtsstaatlichkeit, Streit zwischen staatlichen Akteuren, eine keinesfalls freie und pluralistische Presse und ein schwieriger Umgang mit der Zivilgesellschaft, deren Unmut über all dies sich in Protesten niederschlug, gegen die wiederum teils gewaltsam vorgegangen wurde. Hatte die Kommission bislang vor, ihre jährliche Analyse des Reformprozesses dieses relativ jungen Mitgliedslandes zum Jahr 2018 einzustellen, ist nach der jüngsten nicht mehr die Rede davon.

Schmiergelder anzunehmen oder zu zahlen ist in Rumänien strafbar. Dennoch geschieht es, laut Umfragen etwa bei der Polizei, der Steuerbehörde, im Gesundheitswesen. Die Korruption in Rumänien, sie scheint verwurzelt. Ach, könnte er doch Bäume ausreißen! Florin Badita, 30 Jahre alt, hat die Bewegung „Korruption tötet“ gegründet. Seither arbeitet er nur noch, um den Aktivismus in seiner Freizeit finanzieren zu können.

"Dann passierte 2015!"

Badita lässt sich auf einen Stuhl fallen. Seine langen schwarzen Haare hat er zum Zopf gebunden, sein Blick ist müde. An den Wänden hängen Fotos von Demonstrationen, Plakate, Post-its, zwischen Säulen baumeln Hängematten. Später am Abend soll hier im Casa Activistului, dem Haus der Aktivisten, ein Treffen mit belgischen und rumänischen Künstlern stattfinden. Er bräuchte ein paar Freiwillige, die ihm helfen alles zu arrangieren. Doch niemand hat Zeit. Oder Lust. Trotzdem sagt Florin Badita: „Momentan denke ich, dass es das Sinnvollste ist, was ich mit meiner Zeit anfangen kann.“

Euronews hat ihn 2018 zur Europäischen Person des Jahres gekürt, das „Forbes“-Magazin zählte Badita im selben Jahr zu den bemerkenswertesten 30 Unter-30-Jährigen im Bereich Politik. Auszeichnungen, auf die er mit Pragmatismus blickt: „Sie machen sichtbar, was wir tun.“

Florin Badita gründete die Bewegung "Korruption tötet".
Florin Badita gründete die Bewegung "Korruption tötet".

© Katja Demirci

Im vergangenen Jahr haben Badita und die Getreuen von „Korruption tötet“ dieses Haus gemietet. Casa Activistului soll eine Art Schule der Staatsbürgerlichkeit sein. Wer will, soll hier lernen können, was es für Möglichkeiten gibt – an Informationen zu kommen, sich zu wehren oder zu organisieren. Manchmal kommen vierzig Personen, manchmal eine. Badita lacht. Am Ende zählt jeder Einzelne.

Er ist ja das beste Beispiel dafür. Es ist knapp zehn Jahre her, dass Florin Badita erstmals zu Demonstrationen ging. „Dann“, so sagt er, „passierte 2015.“ In der Nacht vom 30. Oktober 2015 spielte die Rockband Goodbye to Gravity ein Konzert im beliebten Bukarester Klub Colectiv. Der Raum, geeignet für etwa 80 Sitzplätze, war mit knapp 400 Besuchern mehr als voll, die Show unterstützt durch Pyrotechnik. Ein Funke setzte Dämmmaterial an einer Säule in Brand. Panik brach aus. Eine Sprinkleranlage gab es nicht. Dazu nur einen Ausgang. Als Rumäniens Präsident Klaus Johannis den Ort später besuchte, nannte er ihn völlig ungeeignet. Doch die Betreiber hatten eine Genehmigung.

Am 30. Oktober 2015 traten sich die Menschen im Colectiv gegenseitig tot. Sie erstickten. Oder verbrannten. Unter ihnen ein Freund von Florin Badita.

27 Konzertbesucher starben im Klub, 37 weitere in den kommenden Wochen aufgrund von Infektionen, die sie sich in Krankenhäusern einfingen. Die Zustände in vielen rumänischen Kliniken sind schlecht, Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern lassen sich häufig für Selbstverständlichkeiten bezahlen. Geld, auf das sie angewiesen sind, weil sie wenig verdienen. Vor drei Jahren war in Zeitungen zu lesen, dass in Operationssälen verwendete Desinfektionsmittel zehnmal verdünnter waren als sie sein sollten.

Das Feuer im Nachtklub erhellte in erschreckender Deutlichkeit: „Menschen sterben aufgrund von Inkompetenz“, sagt Florin Badita. Aufgrund von Korruption. Von diesem Zeitpunkt an gab es kein Zurück mehr. „Korruption tötet“ wurde zum Schlachtruf tausender Demonstranten und Namen einer Bewegung. Die Besitzer des Klubs wurden verhaftet, ebenso der Bürgermeister. Anfang November 2015 trat der damalige Premierminister Victor Ponta zurück. Doch je mehr sich die Rumänen gegen Korruption wehrten, desto allgegenwärtiger erschien sie.

Die Diaspora ist solidarisch

Als die Regierung 2017 versuchte, per Eilverordnung Korruption mehr oder weniger zu legalisieren, erlebte das Land die größten Proteste seit der Revolution vor 30 Jahren. Mehr als eine halbe Million Menschen gingen auf die Straßen. Die Regierung stoppte ihr Vorhaben – aufgegeben hat sie es nicht. Und noch immer wird regelmäßig demonstriert. Gibt es sie, die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat?

Geschätzt vier Millionen der insgesamt rund 20 Millionen Rumänen leben derzeit außerhalb des Landes. Die Diaspora verfolgt die Nachrichten in der Heimat aufmerksam, solidarisch und nicht ohne Sehnsucht. Aber zurückgehen – in ein Land, in dem das Durchschnittsbruttogehalt 796 Euro im Monat beträgt? In einem gerechten Staat leben zu wollen, ist ein hohes Ziel. Wohlstand und Sicherheit sind nicht weniger respektabel.

Florin Baditas nächstes Vorhaben ist die Umwandlung der Bewegung in eine Nichtregierungsorganisation, NGO. Es ist ein logischer Schritt, auf der Seite der Argumente dafür stehen EU-Gelder, die sie beantragen könnten um damit größere Aktionen zu starten, Projekte zu finanzieren. Doch das Argument dagegen wiegt schwer: „Korruption tötet“ wäre dann eine offizielle Organisation, die auch offiziell attackiert werden könnte. Durch Kontrollen zum Beispiel, angekündigt oder nicht, wegen aller möglicher Vorschriften. Einen Spion gab es bereits im Casa Activistului, sagt Badita. Ein junger Mann nahm heimlich auf, was besprochen wurde. Die Aktivisten fanden die Mitschnitte bei Antena 3 wieder, dem regierungstreuen Fernsehsender.

Viorel Micescu kennt solcherlei Bedrohungen. Der 50-Jährige mit den wuscheligen schwarzen Locken leitet seit 1996 die Non-Profit-Organisation Centras, die Akteuren wie Florin Badita Informationen zur rechtlichen Lage zur Verfügung stellt, berät und hilft, wenn aus einer Bewegung eine NGO werden soll. Die letzte Verordnung, die Organisationen wie seiner das Leben durch halbjährliche, ausführliche Finanzberichte erschweren sollte, liegt noch auf Eis. Fördergelder, die bei ihm ankommen sollten, würden ihn seit zwei Jahren nicht mehr erreichen, sagt Micescu, sie hingen in Rumäniens Verwaltungsbürokratie fest. Sich und seine drei Mitarbeiter bezahlt er mit dem Geld, das er bei Bridge-Turnieren im Ausland gewinnt. Die Büroräume stellt ihm die Stadtverwaltung des ersten Bezirks in Bukarest mietfrei zur Verfügung. Der Vertrag gilt bis 2024, sagt Micescu und zieht die Augenbrauen hoch, „wenn wir bis dahin überleben“.

Viorel Micescu ist Chef der NGO Centras.
Viorel Micescu ist Chef der NGO Centras.

© Katja Demirci

Viorel Micescu wurde 1968 in Bukarest in eine Ärztefamilie geboren und entschied sich, mit der Tradition brechend, für ein Studium der Mathematik. Ein Schwimmer seit dem Alter von sieben Jahren, begann er Ende der 80er, das Training aufs Tauchen zur verlegen. 1991, wenn er sein Studium beendet hätte, wollte er so die Donau in Richtung des heutigen Serbiens durchqueren, unsichtbar für Soldaten mit Schießbefehl. Es kam anders.

Demos "für europäische Werte"

Mit seinen Kommilitonen demonstrierte er 1989 gegen das Regime des Diktators Nicolae Ceausescu, erlebte, wie 1990 die von der neuen Regierung in die Hauptstadt bestellten Kohlekumpel Demonstranten brutal verprügelten. Als er 1990 seine Mutter im Exil in Amsterdam besuchte und die dortige Polizei ihm anbot, zu bleiben, zögerte er trotzdem nur kurz. „Ich sagte: Nein, jetzt haben wir eine Chance, Rumänien zu verändern." Wo, wenn nicht in einem Land, das sich so drastisch wandelt, hat der Einzelne die Chance mitzutun? So sieht Viorel Micescu das bis heute. Theoretisch.

Als die Menschen 2017 auf die Straße gingen, lief er durch die Massen und sammelte Demonstranten. Was sie online organisierten, übersetzte Viorel Micescu in Offline-Kampagnen. Den Hashtag „Rezist“ verwandelte er in einen Anstecker. Schnell wuchs die Koordinierung der Spenden zur Vollzeit-Aufgabe. Vier Tage und Nächte lebte er in seinem Büro – „bis mein Hund kein Futter mehr hatte“.

2017 sei ein Wunder gewesen, sagt er. Endlich ging auch die Mittelschicht auf die Straße, Eltern brachten sogar ihre Kinder zu Demos. Und wofür stritten sie denn? Nicht für höhere Löhne. „Für europäische Werte!“ In den ersten sechs Monaten des Jahres, erzählt Micescu stolz, kauften die Rumänen mehr Ausgaben der Verfassung als in den zehn Jahren zuvor.

Viorel Micescu sagt: „Ich habe Angst, dass die Menschen jetzt die Hoffnung verlieren.“ Ein Jahr müssen wir noch durchhalten, sagt er und meint den Zeitraum bis zu den Parlamentswahlen 2020. Möglicherweise könnten ja die Neuen im Parlament etwas bewegen? Die Partei zur Rettung Rumäniens zum Beispiel, USR, für die eine ehemalige Freiwillige von ihm nun Abgeordnete ist.

Dan Barna, Vorsitzender der Partei "Union zur Rettung Rumäniens".
Dan Barna, Vorsitzender der Partei "Union zur Rettung Rumäniens".

© promo

Seit der letzten Wahl 2016 ist die USR dabei und gleich als drittstärkste Kraft. "Wir sind der frische Wind", sagt jedenfalls ihr Vorsitzender Dan Barna, sehr groß, smart, Ex-Unternehmer. Keiner von ihnen war je zuvor aktiv in der Politik. Auch deshalb verstehen sie sich als Stimme des Volkes. Nur muss das Volk dies auch noch landesweit erkennen, daran arbeiten sie nun: Im ganzen Land haben sie mittlerweile rund 300 lokale Büros eröffnet. An der USR, das ist die Botschaft, kommt künftig niemand mehr vorbei. "Wir können die alten Politiker nicht ändern", sagt Dan Barna, der auf neue Politiker und auf junge Menschen hofft. Dass letztere sich künftig eher für eine Zukunft in Rumänien entscheiden, als ihr Glück im Ausland zu suchen, daran will die Partei arbeiten. Allein, ein konkretes Programm dafür gibt es noch nicht.

Die Menschen motivieren, sich einzumischen

Der Mann, der in diesem Land tatsächlich etwas ausrichten kann, sitzt an einem Dienstagmorgen in einem Büro mit tiefblau gestrichenen Wänden und schaut zerknirscht. Keine Woche zuvor ist Nistor Calin zum vorübergehenden Chef der 2002 gegründeten unabhängigen Anti-Korruptionsbehörde D.N.A. befördert worden, beziehungsweise: zwangsläufig aufgerutscht, nachdem seine Chefin Anca Jurma gekündigt hat. Er wirkt, als habe er sich das nicht gerade gewünscht.

Nistor Calin ist Interims-Chef der Antikorruptionsbehörde D.N.A.
Nistor Calin ist Interims-Chef der Antikorruptionsbehörde D.N.A.

© Katja Demirci

Nistor Calin ist nun Chef von 165 Staatsanwälten, die im Namen seiner Behörde all jene jagen, die sich der Korruption schuldig gemacht haben. „Die Statistik für das Jahr 2018 zeigt, dass wir in 1051 Fällen Ermittlungen eingeleitet haben.“ 997 Angeklagte mussten sich 2017 vor Gericht verantworten, darunter Minister, Richter oder Krankenhausdirektoren.

„Jene, die Korruptionsverbrechen begehen, sind meistens sehr wichtige Menschen“, sagt Nistor Calin. Sie profitieren von einem Team sehr guter Anwälte – und von der Unterstützung der Medien, die „normalerweise die Staatsanwälte attackieren“. Nistor Calin wirkt klein hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, wenn er von den Herausforderungen seiner Arbeit erzählt. Als Chef ist er nun so etwas wie das Schutzschild für alle Ankläger im Haus, was an Gegenwind kommt, hat er abzufangen. Und es kommt einiges. Die Liste der Vorschläge, mit denen die derzeitige Regierung und das Justizministerium die Arbeit der Ankläger erschweren wollen, ist seitenlang. Nur ein einziges Mal, erinnert sich Nistor Calin, sei er in seiner Arbeit als Staatsanwalt direkt bedroht worden. „Ich habe damals beschlossen, das zu ignorieren“, sagt er und lächelt.

Die Statistik zeigt, dass mittlerweile weniger Bürger anzeigen, wenn sie irgendwo unsaubere Geschäfte vermuten. Könnte sein, dass es weniger Korruption in Rumänien gibt, sagt Nistor Calin, was normal wäre, weil sie schließlich versuchen, das Phänomen auszurotten. Oder aber: „Jene, die korrupt sind, sind vorsichtiger geworden.“ Er schaut unbewegt.

Die Europawahlen im Mai sind das, worauf sich Florin Badita als nächstes konzentrieren will. Dann folgen die Präsidentschaftswahlen im Land und die Parlamentswahlen im kommenden Jahr. „Wir wollen die Leute motivieren, ihre Stimme abzugeben, sich einzumischen“, sagt er. Mit dem Wahlabend 2020 läuft schließlich auch sein persönliches Ultimatum aus. Bis dahin werde er sehen, ob seine Mitbürger unbelehrbar seien oder nicht. „Wenn ja, dann bin ich raus.“ Er war schon mal in Kalifornien, das hat ihm gefallen.

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