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Migranten-Camps an der EU-Außengrenze mit Belarus.

© Ulf Mauder/dpa

EU-Kritik zum Thema Belarus ist falsch: Merkel geht die Migrationskrise anders an als 2015

Eine humanitäre Lösung an der Grenze mit Belarus wäre typisch Merkel. Aber das Risiko der Isolierung Deutschlands ist noch höher als 2015. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Angela Merkel geht behutsamer vor als in der Migrationskrise 2015. Diesmal hat sie die EU-Partner informiert, ehe sie handelte.

Die gaben ihr zwar nicht alle Rückendeckung für ihre Telefonate mit Alexander Lukaschenko, dem Machthaber in Belarus. Einen unangekündigten Alleingang können sie ihr aber nicht vorwerfen. Das Risiko einer erneuten Isolierung Deutschlands in Europa ist damit freilich nicht gebannt.

2015 stand Deutschland bald allein da. Für eine gesamteuropäische Abstimmung habe die Zeit gefehlt, erklärte Merkel später ihre einsame Entscheidung, Flüchtlinge, die in Ungarn festsaßen, nach Deutschland zu holen. Wenn man von ihr verlange, sich für Mitmenschlichkeit in einer Notsituation zu entschuldigen, „dann ist das nicht mein Land“.

Ihre humanitäre Geste setzte eine Dynamik in Gang, die kaum jemand vorhergesehen hatte. Eine Million Menschen kamen in den Folgemonaten, die meisten nach Deutschland. Die EU-Partner waren zur solidarischen Verteilung, um die Merkel bat, nicht bereit. Ihr Alleingang wurde ihr zum Vorwurf gemacht.

Merkel darf mit Lukaschenko reden. Die Frage ist: worüber

Die Lage an der EU-Grenze mit Belarus heute ist eine ganz andere als damals an der mit der Türkei. Das Misstrauen vieler EU-Partner, dass Merkel erneut allein entscheiden könnte, verfolgt sie jedoch. Polen, die baltischen Staaten und die belarussische Opposition werfen ihr vor, sie unterlaufe die Nichtanerkennung des Wahlfälschers Lukaschenko als Präsident; ebenso der Grüne Omid Nouripour.

Demonstrative Solidarität mit Polen, ungeachtet der harten Methoden bei der Sicherung der Grenze: Bundesinnenminister Horst Seehofer bei seinem Kollegn Mariusz Kaminski in Warschau.
Demonstrative Solidarität mit Polen, ungeachtet der harten Methoden bei der Sicherung der Grenze: Bundesinnenminister Horst Seehofer bei seinem Kollegn Mariusz Kaminski in Warschau.

© Agencja Wyborcza.pl via REUTERS

Diese Kritik ist falsch. Die Polizei verhandelt mit Geiselnehmern, um Geiseln freizubekommen. Warum soll Merkel nicht mit „Herrn Lukaschenko“ – die Anrede als Präsident vermied sie – über eine Linderung der Notlage reden?

Schwerer wiegen die Verdächtigungen, Merkel habe Lukaschenko weiter gehende Angebote gemacht, darunter die Aufnahme eines Teils der mehreren Tausend Menschen, die in Hunger und Kälte an der Grenze ausharren. Lukaschenko behauptet das, Merkel bestreitet es.

Er beharrt darauf: Sie will einen humanitären Korridor

Wenn er lügt, tut er es propagandistisch geschickt. 2000 Migranten sollen angeblich nach München, sagte er bereits vor Tagen. Die Stadt hatte ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt.

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Was immer Merkel und Lukaschenko besprochen haben und was nicht: Er hakt nach, um Risse in die EU zu treiben. Sie habe zugesagt, sich für einen „humanitären Korridor“ einzusetzen. „Ich warte auf die Antwort der EU auf die Frage nach den 2000 Flüchtlingen.“

So wie man Merkel kennt, dürfte sie einem Kompromiss, den man als humanitäre Lösung darstellen kann, einiges abgewinnen. Lukaschenko behält die Verantwortung für die unmenschliche Lage an der Grenze und für das Schicksal des Großteils der Migranten, die er nach Belarus gelockt hat. Einige hat er bereits in ihre Herkunftsländer zurückfliegen lassen.

Aber die EU kann zugleich Menschlichkeit zeigen, wenn sie einen Teil der Gestrandeten aufnimmt. Sonst, so könnte man die Merkel von 2015 paraphrasieren, wäre das nicht ihr Europa.

Der neue Konsens: Keine Lösung gegen die EU-Partner

Das ist der entscheidende Punkt: Die EU reagiert heute anders. In ungewohnter Einhelligkeit erklärt sie ihre Solidarität mit Polen, verschließt die Augen vor dessen harten Methoden an der Grenze und lehnt Kompromisse gegenüber Belarus ab.

Dieser Konsens reicht bis in die Reihen der Grünen-Fraktion. Es dürfe keine Lösung über die Köpfe der europäischen Partner hinweg geben, verlangt ihr Abgeordneter Robin Wagener. Ignoriert Merkel diese Lage und setzt sich für einen humanitären Korridor ein, würde sie Deutschland erneut isolieren.

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