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Ursula von der Leyen

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EU-Klimaneutralität bis 2050: Wie Polen den Green Deal gefährdet

Der EU-Rat strebt Klimaneutralität bis 2050 an. Doch Polen schert aus und gefährdet sogar den Green Deal.

Als Angela Merkel in der Nacht zu Freitag vor die Kameras tritt, betont sie die Geschlossenheit der Europäer. „Eine Ost-West-Spaltung ist verhindert worden“, sagt die Bundeskanzlerin. Angela Merkel nennt die Beschlüsse des EU-Gipfeltreffens zum Klima „insgesamt einen großen Fortschritt“. Weiter sagt sie: „Wir bekennen uns alle zum Ziel, dass wir bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität anstreben.“ Der entscheidende Satz aber kommt erst noch: „Nur ein Mitgliedstaat konnte sich noch nicht entscheiden.“

Tatsächlich weigert sich Polen mitzumachen. Alle anderen 26 Mitgliedstaaten wollen jeweils für sich erreichen, dass ihre Volkswirtschaft bis 2050 klimaneutral wird, dass sie also nicht mehr Klimagase in die Atmosphäre blasen, als auf anderem Wege wieder entzogen werden können. Bis auf Polen eben. Da die Staats- und Regierungschefs ihre Beschlüsse auf den Gipfeltreffen immer einvernehmlich treffen, es ansonsten keine Beschlüsse gibt, bedarf es schon sehr großer „Kreativität“, die der neue Ratspräsident Charles Michel augenzwinkernd für sich beanspruchte, bei diesem Abstimmungsverhalten von einer Einigung zu sprechen.

Gipfelbeschlüsse werden in den Schlussfolgerungen festgehalten. Dort findet sich nun die Passage: Der Rat „unterstützt das Ziel, bis 2050 eine klimaneutrale Union zu erreichen. Ein Mitgliedstaat kann sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten.“ Das Thema soll beim Juni-Gipfel wieder aufgerufen werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einem „insgesamt großen Fortschritt“ beim EU-Rat, doch eine wirkliche Einigung konnte nicht erzielt werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einem „insgesamt großen Fortschritt“ beim EU-Rat, doch eine wirkliche Einigung konnte nicht erzielt werden.

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Das Ausscheren Polens kann noch weitreichende Folgen für den Green Deal und die von der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geplanten über 60 gesetzgeberischen Maßnahmen haben. Schon im März will sie ihr Klimagesetz vorschlagen. Auch bei der Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens der Europäischen Union für die Jahre 2021 bis 2027 ist Einstimmigkeit gefragt. Ein beträchtlicher Teil der Mittel soll in den Umbau der Volkswirtschaften gehen. Wenn Polen dann auch beim Haushalt sein Veto einlegt, könnte Ursula von der Leyens Green Deal die Blockade drohen.

Denkbar ist auch, dass die Regierung in Warschau noch mehr Zugeständnisse aus Brüssel will, bevor sie einlenkt. In den Verhandlungen hatte Polen eine Sonderrolle beansprucht. So will Polen erst für 2070 Klimaneutralität zusagen. Denkbar ist auch, dass Polen mehr Geld beansprucht aus dem Übergangsfonds, der insgesamt mit 100 Milliarden Euro befüllt sein soll.

Auch Tschechien und Ungarn hatten Bedenken

Oder, dass noch andere Themen eine Rolle spielen. So läuft gerade ein Rechtsstaatsverfahren der EU-Kommission gegen Polen, weil die Warschauer Regierung die Unabhängigkeit der Justiz angreift. Polen will zudem erreichen, dass die einheimischen Bauern in den nächsten Jahren mindestens genauso viel Geld aus Brüssel bekommen wie bisher. Dabei sollen die Agrargelder eigentlich sinken. Es gibt also ausreichend Verhandlungsmasse.

Auch Tschechien und Ungarn hatten zunächst Bedenken. Eine Rolle spielt dabei auch der Energiemix. So ist zwar die Wahl der Energieträger Sache der Mitgliedstaaten. Das wird auch im Gipfeldokument festgehalten. „Das Recht der Mitgliedstaaten, über den Energiemix zu entscheiden und die am besten geeigneten Technologien zu wählen, ist zu achten“, heißt es darin. Doch im Hintergrund schwingt auch die Auseinandersetzung um die Kernkraft mit.

Tschechien will den Bau neuer Kernkraftwerke nicht ausschließen und befürchtet, dass zinsgünstige Kredite, die die Europäische Investitionsbank EIB beim Green Deal für den Umbau der Energiegewinnung bereitstellen soll, für Kernkraft tabu sind. Daher taucht im EU-Gipfeldokument nun auch die nukleare Option ausdrücklich auf: „Einige Mitgliedsländer haben erklärt, dass sie als Teil des nationalen Energiemixes Kernenergie nutzen.“

Luxemburg und Österreich hatten lange Bedenken dagegen. Schließlich sind sie wie auch Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen. Auch in Deutschland könnte es noch Unmut geben, wenn mit Hilfe deutscher EU-Beiträge zumindest indirekt Kernkraftwerke gebaut werden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machte hingegen deutlich, dass sein Land an der Nutzung der Kernkraft festhalten will. Frankreich bezieht gerade an dunklen und windstillen Tagen mehr als 60 Prozent seines Stromes aus Atomkraftwerken. Ein Teil davon wird dann auch in die Nachbarländer Frankreichs exportiert, zum Beispiel nach Luxemburg oder Deutschland.

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