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Die britische Premierministerin Theresa May verlässt den EU-Gipfel ohne Fortschritte.

© Reuters/Toby Melville

EU-Gipfel zum Brexit: Nur hoffen ist zu wenig

Der EU-Gipfel zum Brexit war eine Verschwendung von Energie. Nun muss die Zeit für Entscheidungen anbrechen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was für eine Verschwendung von Zeit und Energie! Die britische Regierungschefin Theresa May trifft sich in Brüssel mit 27 Kolleginnen und Kollegen zum Entscheidungsgipfel über den Brexit, obwohl sie nichts anzubieten hat: keine Lösung, keinen neuen Kompromissvorschlag, nicht einmal die kleinste Bewegung. Sie stiehlt sich und Europa die wertvolle Zeit, die beide Seiten dringend bräuchten, um sich gewissenhaft auf die Trennung vorzubereiten. Das ist eine Zumutung.

Es gibt, weiß Gott, andere wichtige Aufgaben, denen die Staats- und Regierungschef ihre Aufmerksamkeit widmen müssten: die Migrationskrise, die Stabilität des Euro mit Blick auf Italien, die Ankündigung des polnischen Justizministers Ziobro, den Vorrang des europäischen Rechts gegenüber nationalem Recht in Frage zu stellen. Zudem die innenpolitischen Prioritäten in jedem EU-Staat. All das wird an die Seite gedrängt durch überflüssige, weil nutzlose Gipfel zum Brexit.

Die Beschwichtiger setzen auf das Prinzip Hoffnung: besser eine späte Einigung als gar keine. Wenn man im November übereinkomme, reiche das auch noch. Das stimmt aber nur, wenn Aussicht auf eine späte Einigung besteht. Wenn die ausbleibt, bedeutet jeder verlorene Tag eine Versündigung an den Bürgern Großbritanniens und der EU. Ein harter Brexit ist eine Mammutaufgabe. Schon jetzt ist fraglich, ob die Zeit bis zum 29. März 2019 ausreicht, um den Schnitt so vorzubereiten, dass die Folgeschäden in einem erträglichen Maß bleiben.

Nichts tun in der Hoffnung, dass die Einigung vielleicht im November komme – um dann im November die Hoffnung auf den Dezember zu richten –, ist verantwortungslos. Kanzlerin Merkel kündigt an, man bereite sich auf alles vor, den weichen wie den ungeregelten Brexit. Auch das bedeutet die Verschwendung von Ressourcen und Energie. Wer rechnet zusammen, was für Kosten entstehen, weil jetzt so viel liegen bleiben muss, damit Regierungen und Verwaltungen sich auf alle Eventualitäten vorbereiten, also Doppel- bis Dreifacharbeit verrichten, obwohl die vermeidbar wäre.

Es gibt in Großbritannien keine Mehrheit für eine vernünftige Lösung

Was berechtigt zu der Hoffnung, dass May oder die EU nachgeben und „in letzter Minute“ einen Deal finden, der jetzt nicht möglich ist? Es gibt in Großbritannien keine Mehrheit für eine vernünftige Lösung. Die Tories sind gefangen in ihren falschen Versprechen. Die nordirische DUP wird einer Zollunion, bei der die Zollgrenze durch die Irische See läuft, nicht zustimmen. Ohne die DUP hat May keine Mehrheit. Die EU hat ihr alle möglichen Brücken gebaut, darunter Übergangsfristen bei der für London wichtigen Frage der Selbstbestimmung, wer ins Königreich kommen darf, obwohl dies dem EU-Prinzip der Freizügigkeit widerspricht. May hat das Angebot abgelehnt.

Dies sind keine Verhandlungen, auf die sich die Erfahrung aus deutschen Tarifgesprächen anwenden lässt. Bei Gewerkschaften und Arbeitgebern mag der Aufbau von Druck bis zur letzten entscheidenden Nacht zu Kompromissen beitragen. Hier geht es um Grundsätzliches: drinnen oder draußen. Oder eine Zollunion als Zwischending, doch da ist der Bewegungsspielraum minimal, weil am Ende eine Lösung stehen muss, die nicht schon von der Konstruktion her dauerhaften Schaden bedeutet. Die Zollgrenze, zum Beispiel, muss irgendwo verlaufen und dann auch gelten.

May, das hat die Erfahrung gezeigt, ist nicht in der Lage, einen ausgehandelten Brexit zu Hause durchzusetzen. Gestern nicht, heute nicht – warum also morgen? Der Zeitplan der EU war kein Selbstzweck. Er sollte nicht künstlichen Druck erzeugen. Er hat einen Sinn: keinesfalls die Zeit zu verlieren, die alle brauchen, um sich vorzubereiten und Schaden abzuwenden. Nach der Zeit des Taktierens ist nun die Zeit für Entscheidungen. „Isch over“, hat Wolfgang Schäuble einst den Griechen gesagt. Erst dann lenkten sie ein. „Isch over“ muss die EU jetzt den Briten sagen. Wenn May zur Entscheidung über einen harten Brexit oder die Zollunion nicht fähig ist, ist auch das eine Entscheidung: für den harten Brexit. Leider.

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