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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trifft zum EU-Gipfel ein.

© Virginia Mayo/AP/dpa

Update

EU-Gipfel in Brüssel: Keine Einigung auf klimaneutrale Wirtschaft bis 2050

Beim EU-Gipfel in Brüssel können sich die Staats- und Regierungschefs nicht auf das neue Klimaziel einigen. Verlängert werden jedoch die Russland-Sanktionen.

Trotz der europaweiten Klimaproteste setzt sich die Europäische Union vorerst kein neues Ziel im Kampf gegen die globale Erwärmung. Die Festlegung auf einen Umbau zur „klimaneutralen“ Wirtschaft bis 2050 scheiterte am Donnerstag beim EU-Gipfel - was Umweltschützer empörte.

Die Besetzung der EU-Spitzenposten für die nächsten Jahre war eigentlich Topthema für das Treffen der Staats- und Regierungschefs. Doch die Diskussion über das neue Klimaziel zog sich derart in die Länge, dass der große Postenpoker erst spätabends anfing. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez zum Vierergespräch bei EU-Ratspräsident Donald Tusk, bevor in großer Runde beraten wurde.

In der Klimadebatte hatte Frankreich eine Festlegung auf 2050 für die „klimaneutrale EU“ vorgeschlagen, Merkel unterstützte dies ausdrücklich. Doch vor allem Polen wehrte sich mit Unterstützung von Ungarn, Tschechien und Estland gegen das verbindliche Zieldatum. Es wurde letztlich aus der Gipfelerklärung gestrichen. Nur eine Fußnote verweist darauf, dass eine Mehrheit der EU-Länder für das Datum war.

Die Staatenlenker standen wegen der Klimaproteste unter Druck. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres hatte die EU aufgefordert, Klimaneutralität bis 2050 anzustreben. Das soll dem Ziel des Pariser Abkommens dienen, die globale Erwärmung bei höchstens 2, möglichst aber bei 1,5 Grad zu stoppen, jeweils im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung.

Das Ziel bedeutet, dass die allermeisten Treibhausgase eingespart werden müssen. Der Rest muss ausgeglichen werden, etwa durch Aufforstung oder Speicherung. Gleichzeitig muss die Energieversorgung von Öl, Kohle und Gas auf Wind, Sonne, Biosprit und Co umgestellt und Energie extrem sparsam eingesetzt werden. Gewaltige Investitionen wären nötig. Polen hat einen hohen Anteil Kohlestrom und müsste sich noch mehr anstrengen als andere EU-Länder. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte deshalb einen Ausgleich.

Dass das Ziel platzte, erboste Umweltverbände wie das Climate Action Network, Greenpeace oder WWF. Die Grünen-Europapolitikerin Ska Keller sprach von einer Schande.

Macron und Merkel hatten sich zum Auftakt des Gipfeltreffens hinter die Forderung einer Klimaneutralität der EU bis 2050 gestellt. Dann soll die EU nicht mehr Treibhausgas produzieren, als sie an Ausgleichsmaßnahmen wie Aufforstung oder CO2-Speicherung schafft. Mittlerweile seien 15 EU-Staaten dafür, sagte Macron. Länder wie Polen oder Tschechien lehnten diese Festlegung jedoch am Donnerstag ab. In der Bundesregierung war deshalb schon am Mittwoch betont worden, dass man möglicherweise eine Festlegung auf einem späteren Gipfel treffen müsse.

Wegen Ukraine-Konflikt: Sanktionen gegen Russland verlängert

Dagegen beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union bei ihrem Gipfel in Brüssel, die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland wegen des anhaltenden Ukraine-Konflikts abermals zu verlängern. Die Strafmaßnahmen würden "für weitere sechs Monate verlängert", teilte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk beim Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Grund seien fehlende Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Abkommen für einen Frieden in der Ukraine.

Die Sanktionen richten sich gegen russische Staatsbanken, den Im- und Export von Rüstungsgütern sowie die Öl- und Gasindustrie. Sie waren nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 über der Ukraine im Juli 2014 beschlossen worden. Der EU-Gipfel begrüßte daher auch die Ermittlungen gegen vier mutmaßliche Verantwortliche des Abschusses der Passagiermaschine. Sie riefen Russland auf, "vollumfänglich bei der laufenden Untersuchung zu kooperieren". Am Mittwoch hatten niederländische Ermittler drei Russen und einen Ukrainer für den Abschluss verantwortlich gemacht und des Mordes beschuldigt.

Zeitgleich mit dem Gipfel verlängerten die EU-Staaten auch die Sanktionen wegen der Annexion der Krim durch Russland. Die Strafmaßnahmen gegen die Krim und die dortige Regierung würden bis zum 23. Juni 2020 fortgeführt, teilte der EU-Rat mit. "Die EU erkennt diesen Verstoß gegen das Völkerrecht nicht an und verurteilt ihn weiterhin." Zu diesen Sanktionen gehören Beschränkungen für den Im- und Export von Waren und Investitionen sowie ein Verbot für das Anlegen europäischer Kreuzfahrtschiffe. Auch Lieferungen und Dienstleistungen für die Öl- und Gas-Produktion sind untersagt.

Die EU-Staats- und Regierungschefs stellten sich zudem entschieden gegen die Ankündigung Russlands zur erleichterten Vergabe russischer Pässe an Bürger der Ostukraine. Die EU erwägt unter anderem, diese Pässe nicht anzuerkennen, wie aus der Gipfelerklärung hervorgeht. Dies werde gegebenenfalls "in enger Zusammenarbeit mit internationalen Partnern erfolgen"

Außerdem verurteilte die EU die türkischen Gasbohrungen vor der Küste Zyperns. Man sei ernsthaft besorgt über das türkische Vorgehen, heißt es in dem Beschluss des EU-Gipfels. Falls die Türkei ihr Vorgehen nicht stoppe, werde es Konsequenzen geben, droht die EU. Der EU-Staat Zypern und die Türkei streiten über die vermuteten großen Gasvorkommen im östlichen Teil des Mittelmeers.

Beim Abendessen geht es um das Spitzenpersonal

Bei einem Abendessen ging es anschließend um das neue Spitzenpersonal der Europäischen Union. Kurz vor dem Beginn der Beratungen über die Vergabe von EU-Spitzenposten gab es nach Angaben von Diplomaten noch einmal ein informelles Vierergespräch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez und EU-Ratspräsident Donald Tusk. Zum Inhalt der Diskussionen gab es zunächst keine Angaben. Es dürfte allerdings um die Frage gegangen sein, ob zwischen den großen europäischen Parteienfamilien ein Kompromiss möglich ist. Merkel ist Mitglied der christdemokratischen EVP, Sanchez der Sozialdemokraten und Macron der Liberalen.

Bei dem kniffligen Personalpaket geht es um die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sowie vier weitere Spitzenposten. Die Beratungen im großen Kreis der Staats- und Regierungschefs begannen am späten Donnerstagabend nach dem Vierergespräch. Am Ende blieben sie ohne Ergebnis: In der Nacht zu Freitag vertagte sich die Runde auf den 30. Juni. Ein Sondergipfel soll dann die Entscheidung bringen.

Zum Auftakt des Gipfels hatte es zunächst keine Anzeichen für eine schnelle Lösung gegeben. Kanzlerin Angela Merkel verwies unmittelbar vor Beginn des Treffens am Donnerstag darauf, dass eine Einigung erst bis zum 2. Juli zwingend sei. Dann konstituiert sich das neue EU-Parlament.

Vor dem Gipfel wurden erneut die Differenzen sowohl zwischen EU-Parlament und EU-Rat sowie zwischen den Parteienfamilien deutlich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron etwa pocht darauf, dass das künftige Personal den Ambitionen der EU in den kommenden fünf Jahren gerecht werde. Er hatte sich zuvor gegen EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber als neuen Kommissionspräsidenten ausgesprochen - hinter dem aber die EVP-Regierungschefs wie Merkel stehen.

Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs berieten über fünf Spitzenposten: die Besetzung des Kommissions-, Rats- und EZB-Präsidenten sowie des EU-Außenbeauftragten. Weil bei den Europawahlen die konservative EVP zwar stärkste Fraktion wurde, für die Wahl eines Kommissionspräsidenten aber eine Einigung mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen nötig ist, ist der Entscheidungsprozess diesmal schwieriger als etwa 2014. "Es geht oft schneller, einen Papst auszuwählen als sich auf diese Positionen zu verständigen", sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar.

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez wiederum betonte anders als Macron und Liberale, dass der künftige Kommissionspräsident nur aus dem Lager der Spitzenkandidaten der europäischen Parteien kommen könne. "Meiner Ansicht nach ist der beste Kandidat Frans Timmermans", sagte Sanchez mit Blick auf den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten. Auch Merkel betonte, dass die Bundesregierung hinter dem Spitzenkandidatenprinzip stehe. Danach soll nur Kommissionspräsident werden, wer zuvor als Kandidat bei der Europawahl angetreten ist. Sie räumte aber ein, dass es dagegen Widerstand etlicher Regierungschefs gebe und man sich einigen müsse.

Merkel: "Für mich nicht akzeptabel"

Zugleich warnte die Kanzlerin den EU-Rat aber, die Position des Parlaments zu übergehen, das den Kommissionspräsidenten am Ende wählen muss. "Deshalb ist für mich nicht akzeptabel, dass der EU-Rat einen Vorschlag machen könnte, der am Ende vom Europäischen Parlament nicht unterstützt wird." Vor Beginn des Gipfels traf sie mit Macron und EU-Ratspräsident Donald Tusk zusammen. Eine deutsch-französische Verständigung gilt als eine der Grundvoraussetzungen für eine Einigung über das Personalpaket, das nach Aussagen vieler Regierungen sowohl regional ausgewogen sein als auch eine Balance zwischen Männer und Frauen widerspiegeln müsse.

Am Nachmittag wollten die EU-Regierungen auch über den künftigen siebenjährigen Finanzrahmen der EU ab 2021 sprechen. Dabei geht es um ein Finanzvolumen von rund einer Billion Euro. Hier dringen Deutschland und die EU-Kommission darauf, bis zum Jahresende eine Einigung über die Finanzen zu erreichen. Hintergrund ist, dass ansonsten im kommenden Jahr keine Anträge mehr für die milliardenschweren EU-Förderprogramme gestellt werden könne. (dpa, AFP)

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