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In ein Tuch gehüllt mit der Aufschrift "Refugees welcome" stehen Flüchtlingsunterstützer im Herbst 2015 in Dresden in der Nähe einer Asylbewerberunterkunft.

© picture alliance / dpa

EU-Flüchtlingspolitik: Nur mit geschützten Grenzen kann Europa die Humanität bewahren

An die AfD sollte man sich nicht mit einer härteren Flüchtlingspolitik anbiedern, hieß es. Doch heute wird deutlich: Das stimmt nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Deutschland ist alles im grünen Bereich. Die Partei der Umwelt- und Klimaschützer klettert von Umfragehoch zu Umfragehoch. Unterstützt wird sie, sogar in der Ferienzeit, von den Demos schulstreikender Schüler. Greta Thunberg wurde für den Friedensnobelpreis nominiert. Annalena Baerbock und Robert Habeck wetteifern bloß noch darum, wer die bessere Kanzlerin oder der bessere Kanzler ist. Grüner als jetzt war das Land nie.

Blank liegen daher die Nerven der Konkurrenz. Schleunigst basteln sie nun alle an ökologischen Programmen. Bei Linken und SPD will man die Ökologie mit dem Sozialen verbinden, bei der AfD mit der Heimat, bei Union und FDP wird die Sorge um Wohlstand und Arbeitsplätze betont.

Jeder macht mit, und keiner warnt. Etwa so: Man könne die Grünen nicht grün überholen. Oder: Man dürfe sich von den Grünen nicht die Themen diktieren lassen. Oder: Wer grüne Themen übernimmt, stärkt nur die Grünen. Oder: Wir müssen uns klar von den Grünen abgrenzen und statt einer Anbiederung das eigene Profil schärfen.

Solche Argumente aber wurden seit dem Erstarken der AfD oft und gerne in der Flüchtlings- und Einwanderungsdebatte vorgetragen. Diese Argumente waren in erster Linie strategischer, nicht inhaltlicher Natur. Nun gibt es gute Gründe, gegen die Abschottung Europas und für eine effiziente Klimapolitik zu sein. Doch betreibt eine Regierung, die ein Thema ernst nimmt, das die Konkurrenz für sich entdeckt hat, deren Geschäft? Diese Behauptung steht auf einem bröckeligen Fundament.

Sprachkurse, Jobs, Wohnungen, darum geht es im Alltag

Die Ereignisse um die aus Seenot geretteten Zufluchtsuchenden auf der „Sea Watch 3“ und um die Verhaftung der deutschen Kapitänin, Carola Rackete, werfen ein grelles Licht auf die anhaltenden Dramen im Mittelmeer. Doch der Themenkomplex selbst – Flucht, Asyl, Migration – beherrscht nur noch selten die Schlagzeilen.

Die emotional aufgeladene Atmosphäre im Spätsommer 2015, in der sich Flüchtlingsfreunde und Flüchtlingsgegner unversöhnlich befehdeten, ist längst in das Stadium der Behandlung vieler technischer Fragen übergegangen. Sprachkurse, Jobs, Wohnungen, zusätzliches Personal in Kitas, Schulen und bei der Polizei. Darum geht es im Alltag.

Außerdem hat sich die Zahl der in Europa ankommenden Flüchtlinge deutlich reduziert, in Deutschland liegt sie unterhalb der im Koalitionsvertrag vereinbarten Obergrenze von jährlich 180.000 bis 220.000 Menschen.

Das ist die Folge vieler, zum Teil rigoroser Maßnahmen, angefangen beim EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 über die Grenzschutz-Zusammenarbeit mit Ländern wie Niger, Marokko und Libyen, bis hin zur Aufrüstung der libyschen Küstenwache und zum Bau von Zäunen in Slowenien, Ungarn und Mazedonien. Überall in Europa haben Regierungen auf die Wahlerfolge von Rechtspopulisten mit demonstrativer Härte reagiert.

In den Niederlanden und Dänemark allerdings hat das die Rechtspopulisten nicht etwa gestärkt, sondern geschwächt. Auch in Deutschland wurde der Zulauf zur AfD gestoppt. Die Partei scheint bundesweit an ihre Zuwachsgrenzen gelangt zu sein. Angela Merkels Versprechen, dass sich eine Lage wie die im Herbst 2015 nicht wiederholt, hat offenbar beruhigend gewirkt. Lediglich im Osten der Republik kann die AfD noch zulegen. Die politischen Befindlichkeiten dort sind freilich ein Sonderfall.

Es braucht einen breiten gesellschaftlichen Konsens

Man soll Rechte nicht rechts überholen wollen. Aber das Bemühen, ihnen durch kluge Politik das Wasser abzugraben, kann der Abkühlung einer überhitzten und polarisierten Debatte dienen. Auch wenn es bitter klingt: Nur ein Europa, das seine Grenzen schützt, kann sich jene Humanität bewahren, die politisch Verfolgten gegenüber notwendig ist. Denn dafür braucht es einen breiten gesellschaftlichen Konsens.

Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik anzumahnen, bleibt richtig, obgleich die Aussichten darauf wenig Hoffnung erlauben. Wer Menschen rettet, ist kein Verbrecher. Dass das betont werden muss, weil Italiens Justiz der verhafteten Sea-Watch-Kapitänin mit einer langjährigen Haftstrafe droht, stimmt traurig und wütend zugleich. Dass aber Schlepper und Schleuser wirksamer bekämpft werden müssen, zu deren zynischem Kalkül die private Seenotrettung gehört, darf dabei nicht ausgeblendet werden.

Humanität contra Abschottung: Wer in komplexen Lagen handelt, bleibt selten widerspruchsfrei. Das wiederum haben Klimaschutz und Flüchtlingspolitik miteinander gemeinsam.

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