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Ursula von der Leyen und Jean-Claude Juncker

© REUTERS

EU-Deals im Hinterzimmer: Demokraten wirken wie Schlafwandler

Wenn es bei der nächsten Europawahl wieder Spitzenkandidaten und Demokratie-Schwüre regnet, werden die Leute nur grimmig lachen. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Monatelang wurde also den Leuten eingehämmert, die Europawahl sei so etwas wie die wichtigste Wahl des Jahrzehnts. Sie wählten dann auch in großer Zahl. Wenig später stellte sich heraus, dass man sich diese Wahl im Grunde hätte sparen können. Die „Spitzenkandidaten“ waren Pappkameraden. Die Führungspositionen wurden ausgedealt, in der Chefetage, ohne Parlament, nach Proporz und Opportunität.

Die EU befindet sich ja ohnehin in der schwersten Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte. Der Brexit wird kommen, und wenn in Frankreich Le Pen kommt, ist die Party vorbei, jedenfalls in der gewohnten Form. Manche sind ohnehin nur noch deshalb zu Gast, weil die Deutschen ihnen das Schuldenmachen finanzieren. In dieser Situation also tut man etwas, das jedes Vorurteil der Europagegner zu bestätigen scheint: Man gießt Öl ins Feuer. Postengeschacher! Demokratiedefizit! Deals im Hinterzimmer! Die wichtigste Position in Europa wird mit einer Person besetzt, die aus dem europäischen Nichts nach ganz oben katapultiert wird, die als Ministerin eine miserable Bilanz aufweist und der wegen des Verdachts der Vetternwirtschaft ein Untersuchungsausschuss im Nacken sitzt, die in ihrem Land und sogar in der eigenen Partei unbeliebt ist, die also bei einer demokratischen Wahl als Spitzenkandidatin ein Desaster bedeutet hätte, die aber immer eine Gefolgsfrau der Kanzlerin war und die, weil deren Ära zu Ende geht, dringend versorgt werden muss. Zur Kandidatin von Viktor Orban und Matteo Salvini wurde Frau von der Leyen, weil sie nicht im Verdacht steht, die Interessen der deutschen Wähler zu vertreten. Einen der Chefposten mussten die Deutschen ja endlich mal wieder kriegen. Chefin der Zentralbank wird Frau Lagarde, zu Hause rechtskräftig schuldig gesprochen wegen des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern. Das sind Karrieren!

Wer Vertrauen verspielt, braucht viel Zeit, um es zurückzugewinnen. Wenn es bei der nächsten Europawahl wieder Spitzenkandidaten und Demokratie-Schwüre regnet, werden die meisten Leute vermutlich grimmig lachen.

Politik ist zu einem guten Teil Inszenierung, jeder weiß das. Politik bedeutet Macht. Ein politisches System, egal welches, funktioniert nur so lange, wie zumindest ein großer Teil der Beherrschten die Legitimität der Eliten akzeptiert. Sie müssen zumindest den Schein der Glaubwürdigkeit wahren. Die Europawahl war eine Chance dazu. Warum verspielt man sie? Die handelnden Personen wirken wie Schlafwandler. Ähnlich war es 1789, 1917, 1989, Systeme zerbrachen, weil Mächtige dachten, es ginge dauerhaft auch ohne ihre Völker. Für Demokratien gilt diese Gefahr erst recht. Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich manchmal einiges ändern.

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