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Sind stolz auf die Geschossenheit ihrer Partei: SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.

© Annegret Hilse/REUTERS

Esken und Walter-Borjans im Interview: „Hauptgegner bleiben die Konservativen“

Die SPD-Vorsitzenden erklären, warum die Union das Land blockiert und Olaf Scholz der Richtige ist, um es künftig zu führen.

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Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind seit Dezember 2019 Bundesvorsitzende der SPD. Wir haben vor dem Wahlparteitag am Sonntag mit ihnen gesprochen.

Frau Esken, Herr Walter-Borjans, wie schwer waren die vergangenen zwei Wochen für Sie?
Norbert Walter-Borjans: Diese zwei Wochen waren sehr bewegt - es ist viel passiert, das so nicht vorhersehbar war. Ich denke an den unsäglichen Hahnenkampf um den Kanzlerkandidaten zwischen CDU und CSU, der ja weitergeht. In Kontrast dazu steht die gelungene Kür der grünen Kanzlerkandidatin. Und dann kam noch das Karlsruher Urteil zu den Klimazielen. Auf das Vizekanzler Olaf Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze ja prompt reagiert haben.

Wir fragen, weil der Streit in der Union und die Kandidatur von Annalena Baerbock in dieser Zeit die SPD fast vollständig aus den Schlagzeilen verbannt hatten.
Saskia Esken: Wir haben den Termin für unseren Parteitag mit der Bestätigung des Kanzlerkandidaten und der Verabschiedung des Regierungsprogramms bewusst auf Anfang Mai gelegt, weil wir damit rechneten, dass die Gegner bis dahin ausgerufen und auf dem Platz sein würden. Jetzt gehört die Bühne uns, und wir werden unseren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz mit digitalem Wumms der Öffentlichkeit präsentieren.

Welches Zeichen soll vom Parteitag ausgehen?
Walter-Borjans: Der Parteitag wird ein Signal des Aufbruchs sein. Wir werden der Öffentlichkeit zeigen, dass die ganze Partei geschlossen hinter unserem Zukunftsprogramm und unserem Kandidaten steht. Wir geben ein Zukunftsversprechen, das realistisch ist und die Gegenwart nicht ausklammert. Nur die SPD kann dafür sorgen, dass Klimaschutz nicht im Gegensatz zu wirtschaftlicher Stabilität und sozialer Gerechtigkeit steht. 

In den Umfragen liegt die SPD aber weit abgeschlagen auf dem dritten Platz, hinter Grünen und Union. Halten Sie an dem Anspruch fest, dass die SPD die nächste Regierung führen soll?
Esken: Natürlich. Unser Ziel ist, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird und eine progressive Regierung anführt. Es sind noch viereinhalb Monate bis zur Wahl, und das Rennen ist absolut offen.

Und der Kandidat in der Mitte: Olaf Scholz mit den beiden Parteichefs.
Und der Kandidat in der Mitte: Olaf Scholz mit den beiden Parteichefs.

© Thomas Trutschel/images/photothek

Dafür brauchen Sie wohl ein Ergebnis von 20 plus x Prozent, also weit mehr, als die SPD gegenwärtig auf die Waage bringt…
Esken: Das können wir auch erreichen. Zwei Dinge helfen uns: Es gibt eine Wechselstimmung, die Menschen spüren, wie verbraucht, leer und schlecht geführt die Konservativen sind. Die Bürgerinnen und Bürger wollen einen aktiven Staat, der investiert, fördert und gestaltet. Die Konservativen betreiben Politik durch Unterlassung. Deutschland braucht aber im kommenden Jahrzehnt eine progressive Regierung, die muss Dinge beherzt anpacken, wenn wir eine gute Zukunft haben wollen. Das andere ist die Frage nach der Führungsstärke, und da sind wir mit Olaf Scholz hervorragend aufgestellt.

Progressive Regierung heißt für Sie Rot-Rot-Grün?
Esken: Progressiv ist für mich eine Regierung, die nach vorne blickt und die Gestaltung notwendiger Veränderungen wie z.B. des digitalen Wandels tatkräftig und zum Wohle der Vielen umsetzt. Mit welchen Partnern das geht, schauen wir dann nach der Wahl.

Walter-Borjans: Wir haben ja anerkannt gute Regierungsarbeit geleistet in den vergangenen Jahren, aber wir hätten noch viel mehr erreichen können, wenn die SPD nicht ständig vom Kanzleramt ausgebremst worden wäre. Das Kanzleramt ist der Türsteher zum Kabinett. Wenn die den Weg versperren, nutzt es weder, den Vizekanzler zu stellen noch auf den Koalitionsvertrag zu verweisen. Wie zum Beispiel gerade bei der Befristung von Arbeitsverträgen, die wir abschaffen wollen. Immer wieder erleben wir, wie das Kanzleramt verzögert oder ganz abblockt. Wer die Richtlinien der Politik bestimmen will, braucht das Kanzleramt.

Esken: Wer die Regierung und das Land führen will, braucht zweierlei: Handwerk und Kompass. Kein Mitbewerber ist so erfahren und führungsstark wie Olaf Scholz, und keiner hat ein so gutes Regierungsprogramm wie die SPD, das die richtigen Antworten auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Herausforderungen und Entwicklungen gibt.

Noch regiert der Vizekanzler mit Kanzlerin Angela Merkel. Aber wird er ihr nachfolgen?
Noch regiert der Vizekanzler mit Kanzlerin Angela Merkel. Aber wird er ihr nachfolgen?

© imago/Jens Schicke

Warum honorieren das die Bürger bislang so wenig?
Walter-Borjans: Die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik der Bundesregierung trifft beide Regierungsparteien. Aber das muss nicht so bleiben. Wir haben die Inhalte, wir haben die Arbeitsnachweise aus vier Jahren, wir haben das richtige Personal. Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Antworten auf die Herausforderungen zu geben, vor die uns die Bewältigung der Corona-Pandemie stellt. Das geht nicht mit Aussitzen und Stehenbleiben, deshalb haben die Konservativen keine Antworten. Nur die SPD im Kanzleramt kann die Handbremse lösen, damit Deutschland wieder in Fahrt kommt. Auch in einem Regierungsbündnis mit den Grünen sorgt nur die SPD dafür, dass das der notwendige Klimaschutz machbar und die soziale Komponente nicht vergessen wird.

Ist die Union noch der Hauptgegner der SPD im Wahlkampf, oder sind das nun die Grünen, die in den Umfragen davonziehen?
Esken: Wer der Hauptgegner ist, hängt nicht an Umfragen, sondern am inhaltlichen Angebot der Mitbewerber. Man braucht nur hinzuschauen: Die konservative Politik von CDU und CSU blockiert den Fortschritt, deshalb müssen sie in die Opposition geschickt werden. Ob Sie die Digitalisierung nehmen, den Klimaschutz oder das Gesundheitswesen: In zentralen Bereichen hat die Union verhindert, dass wir vorankommen. Die Grünen sind uns in den Zielen näher. Deshalb: Hauptgegner der SPD bleiben die Konservativen.

Aber immerhin hat die Union ja nun mit Armin Laschet einen Kanzlerkandidaten…
Esken: Die Konservativen haben für die jahrzehntelange Unterordnung von Inhalten zugunsten der Macht, die ja mit der Auseinandersetzung um die Führung nicht aufgelöst ist, einen hohen Preis bezahlt: Ihnen ist jeder Kompass und jeder Zusammenhalt verloren gegangen. Dazu kommt: Armin Laschet will dieses Land führen, kann aber nicht einmal verhindern, dass in Thüringen der Rechtspopulist Hans-Georg Maaßen als Bundestagskandidat der CDU nominiert wird. Das nenne ich Führungsversagen. Und Friedrich Merz mit seinen neoliberalen Rezepten aus den 90er Jahren spielt auch wieder ganz vorne mit in der CDU. Auch die Kursfrage der Union ist also überhaupt nicht geklärt, kein Wähler weiß, wo es am Ende hingehen wird. Die Union ist derzeit nicht regierungsfähig. Das wird noch überdeckt vom Ansehen von Angela Merkel. Aber das ist bald vorbei, und dann beginnt ein ganz neues Spiel.

Sie sagen, die SPD steht für Fortschritt, aber den Aufbruch scheinen viele im Moment eher den Grünen zuzutrauen. Ist das nicht die größere Herausforderung?
Walter-Borjans: Man muss neidlos anerkennen: Der Auftakt der Grünen in den Wahlkampf war gut gemacht. Aber je näher wir an den Wahltermin heranrücken, umso wichtiger werden zwei Dinge. Erstens: Wenn es ernst wird, werden die Regierungserfahrung und Durchsetzungsfähigkeit von Olaf Scholz die Menschen überzeugen. Dann werden die Zweifel wachsen, ob die Grünen eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt wirklich verantwortungsvoll führen können. Das Zweite ist: Die Grünen merken zwar, dass sie soziale Aspekte mit bedenken müssen. Wenn es ernst wird, werden die Menschen aber wissen wollen, wer garantiert, dass ein ambitionierter Klimaschutz die Gering- und Durchschnittsverdiener nicht überfordert. Dafür steht glaubhaft nur die SPD.

Wir hören von potenziellen Wählern der SPD eher die Befürchtung, Sie würden beim Klimaschutz deren materielle und soziale Interessen übergehen…

Ihm wirft die SPD-Spitze Führungsversagen vor: Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union und CDU-Chef.
Ihm wirft die SPD-Spitze Führungsversagen vor: Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union und CDU-Chef.

© imago images/Reiner Zensen

Esken: Unser Konzept verbindet ambitionierten Klimaschutz mit sicheren Arbeitsplätzen, höheren Löhnen und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Erst recht bei ganzheitlicher Betrachtung wird die soziale Ausrichtung unserer Politik deutlich: Beispielsweise wird unsere Wohnungspolitik dafür sorgen, dass Menschen auch dort bezahlbaren Wohnraum finden, wo sie arbeiten. Unsere Kindergrundsicherung ist ein Chancenmotor für die junge Generation. Und unser Steuerkonzept entlastet kleine und mittlere Einkommen und nimmt die sehr hohen Einkommen und Vermögen stärker in die Verantwortung für das Gemeinwesen.

Ganz konkret: Wenn die Koalition nun schon 2030 gegenüber 1990 65 Prozent CO2 einsparen will, bedeutet das einen höheren CO2-Preis. Muss sie da nicht noch mehr Geld aufbringen, um die Ausgleichsmechanismen zu stärken?

Walter-Borjans: Die SPD hat Vorschläge gemacht, wie der Staat handlungsfähig bleiben und weiter für sozialen Ausgleich sorgen kann. Wir wollen bessere Verkehrswege, überall schnelles Internet und gute Schulen und dazu die große Mehrheit steuerlich entlasten. Aber dann brauchen wir auch ein energisches Vorgehen gegen Steuerbetrug und einen höheren Beitrag der fünf Prozent Reichsten im Land. Wo nötig, dürfen Investitionen in die Zukunft auch nicht an der schwarzen Null scheitern. Die Klimapolitik von Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist dagegen eine Abfolge von Vollbremsungen und halsbrecherischen Überholmanövern. Im Straßenverkehr wäre das ein Fall für Flensburg: Führerscheinentzug. In der Politik ist das nicht anders: CDU und CSU dürfen nicht länger ans Steuer.

Esken: Wenn die Ziele ambitionierter werden, dann muss das auch für die Maßnahmen gelten. Und da müssen wir vom Wollen ins Machen kommen. Die Union hat den Ausbau der Erneuerbaren bislang immer blockiert. Die Grünen in Baden-Württemberg sind zwar dafür, kriegen es aber nicht umgesetzt. Es ist ein Ammenmärchen, dass wir allein durch Energieeffizienz und -einsparung erreichen, dass das bisherige Volumen der Erneuerbaren Energie ausreicht. Wir haben viel zu tun, mehr Strom aus erneuerbarer Energie zur Verfügung zu stellen, wenn wir unsere Industrie erhalten und klimaneutral umbauen wollen.

Ist Ihr Kandidat denn noch der kantige Olaf Scholz, der in Hamburg erst die absolute Mehrheit für die SPD und dann noch fast 46 Prozent holte - oder ist er mittlerweile so glattgeschliffen, dass ihn die Leute nicht mehr erkennen?

Esken: Sie glauben doch nicht, dass Olaf Scholz sich von uns glattschleifen ließe. Jeder vernünftige Politiker entwickelt sich weiter, wenn er eine neue Aufgabe übernimmt oder wenn sich neue Herausforderungen stellen. Ich sagen Ihnen ein Beispiel: Das Aufweichen der schwarzen Null zugunsten massiver Investitionen in die Infrastruktur, das wir auf dem Parteitag im Dezember 2019 beschlossen haben, hat Olaf Scholz nicht nur mitgetragen, sondern selbst eingebracht, weil er es für richtig hält. Olaf Scholz drückt niemand etwas auf.

Ihren guten Start bestreiten auch die Sozialdemokraten nicht: Grünen-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Ihren guten Start bestreiten auch die Sozialdemokraten nicht: Grünen-Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.

© picture alliance/dpa

Olaf Scholz will ja kein Schattenkabinett, aber eines der Gesichter der SPD ist gerade der Corona-Erklärer Karl Lauterbach. Dennoch lässt ihn die Fraktion kaum im Bundestag reden, werden sie ihn auch im Wahlkampf verstecken?
Walter-Borjans: Die SPD kann stolz sein, markante Leute zu haben wie Karl. Mit uns engagieren sich Menschen aus allen Bereichen, mit und ohne Migrationshintergrund, aus Wirtschaft und Kultur. Aber klar, Karl Lauterbach ist eine ganz klare sozialdemokratische Hausnummer. Wir erleben immer wieder, egal mit wem wir reden, ob Kanzlerin, Ministerpräsidentin oder Ministerpräsident: Alle rufen ihn an und wollen seine Einschätzung hören. Ja, der gehört in diesen Wahlkampf und nicht bloß in Köln-Mülheim oder Leverkusen. Dass jemand wegen seiner klaren Haltung beleidigt und bedroht wird und deshalb Polizeischutz braucht, finde ich unerträglich.

Wenn die SPD in die Regierung kommt, wollen Sie beide dann ins Kabinett?
Esken: Unser Ziel ist jetzt, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird und eine progressive Regierung führt. Alles Weitere zeigt sich.

Und das gilt auch für Sie, Herr Walter-Borjans? 

Walter-Borjans: Ich habe gesagt, das Wichtigste ist, das Profil der Partei mit schärfen zu können, die Parteibasis wieder mehr einzubeziehen. Und dass diese Partei mal wieder andere Prozentzahlen erreicht, also jenseits der 20 Prozent. 

Ende des Jahres sind Sie zwei Jahre im Amt. Wollen Sie erneut als Vorsitzende kandidieren, egal wie die Bundestagswahl ausgeht?
Esken: Für die Mitglieder ist das erstmal eine großartige Sache, dass die SPD unter unserer Führung so geeint dasteht wie lange nicht. Jetzt kommt der Wahlkampf, und ich kandidiere wieder für den Bundestag. Es freut mich sehr, dass mein Wahlkreis mich erneut nominiert hat, und der Landesparteitag hat mich auf einen guten Listenplatz gewählt. Die Rückkopplung mit den Leuten im Wahlkreis ist mir für meine Arbeit sehr wichtig, auch und gerade als Parteivorsitzende.

Walter-Borjans: Ich finde das völlig nachvollziehbar, aber für mich habe ich entschieden, nicht für den Bundestag zu kandidieren. Das gibt eine gewisse Freiheit, nicht in irgendeinen Koalitionszwang eingebunden zu sein, und die Meinungen, die ich auf anderem Weg einsammele, mit in die Politik einzubringen. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen, was das Zusammenführen der Partei angeht. Wir sind stolz auf die Geschlossenheit der SPD. Das ist unser Beitrag zum Wiedererstarken der SPD.

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Aber nochmal: das Wiedererstarken der SPD sind gerade 14,15 Prozent. 
Walter-Borjans: Es ist viel in Bewegung. Die Wählerinnen und Wähler werden am Ende sagen, der CDU muss jetzt die Fahrerlaubnis entzogen werden. Die Führung der Regierung ist besser bei denen aufgehoben, die das Fahrzeug auch lenken können und wissen, wo sie hinwollen. 

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