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Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

© AXEL SCHMIDT / AFP

Esken und Walter-Borjans als Parteichefs: Die jetzt aber wirklich letzte Chance für die SPD

Die SPD-Basis hat entschieden. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen die Partei führen. Das ist eine Chance - die letzte. Ein Kontrapunkt.

Von Lutz Haverkamp

Das Votum der SPD-Mitglieder für das Groko-Kritiker-Duo Esken/Walter-Borjans ist mitnichten ein Akt der Selbstzerstörung, der Pflichtvergessenheit oder der politischen Ignoranz. Es ist Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das der Sozialdemokratie so lange zu fehlen schien. Mit fast acht Prozentpunkten Vorsprung haben sich die Mitglieder für einen Neuanfang der dahinsiechenden Partei ausgesprochen, der große Chancen birgt.

Keine Panik: Auch, wenn die Koalition zerbricht, bleibt Deutschland stabil

Deutschland würde kein Hort der Instabilität, wenn sich die SPD entscheiden würde, die große Koalition mit CDU und CSU zu verlassen. Der Bundeshalthalt für das kommende Jahr ist beschlossen, der Arbeitsmarkt ist robust, die Wirtschaft kann auch ganz gut ein paar Tage ohne Politik. Italien - Mitglied der G8 - hatte nach dem Krieg 66 Regierungen mit 29 Ministerpräsidenten, Spanien hat in diesem Jahr schon zweimal gewählt, Angela Merkel ist die achte Regierungschefin seit 1949, sie regiert seit 14 Jahren, ihr Vorgänger Gerhard Schröder kam auf sieben, Helmut Kohl davor auf 16 Jahre. Die Bundesrepublik ist politisch mehr als stabil. Könnte sogar sein, dass dieser Umstand die Sehnsucht nach Veränderung größer macht.

Aber: Für die SPD führt die neue Situation nur zum Erfolg, wenn sie sich auf ein paar Prinzipien besinnt, die sie in den vergangenen Jahren fahrlässig missachtet hat. Das selbstbewusste und für viele überraschende Votum der Parteibasis für Esken/Walter-Borjans drückt den Willen aus, die SPD weiter links zu verorten - links der großen Koalition. Und die Niederlage von Olaf Scholz zeigt den Wunsch nach einem personellen Neuanfang.

Verlierer: Klara Geywitz und Olaf Scholz haben die eigene Parteibasis nicht überzeugt.
Verlierer: Klara Geywitz und Olaf Scholz haben die eigene Parteibasis nicht überzeugt.

© Jörg Carstensen/dpa

Die SPD-Führung muss ihren eigenen Mitgliedern und den Wählern nun ein klares politisches Angebot machen, ein klar sozialdemokratisches. So wie sie die Grundrente über die Vereinbarungen im bestehenden Koalitionsvertrag hinaus durchgesetzt hat, muss es bei anderen Themen weitergehen: ein verbessertes Klimaschutzpaket; ein Konzept, um rund zwei Millionen Kinder aus dem Hartz-IV-System zu holen; Maßnahmen gegen die Altersarmut der Zukunft; ein höherer Mindestlohn; die Einführung einer Vermögenssteuer; gesellschaftlich akzeptierte Modelle für die dringend benötigte Verkehrswende; die Einführung einer Bürgerversicherung für die Kranken- und Pflegeversicherung. Die Themenpalette ließe sich beliebig fortsetzen.

Die große Koalition zu beenden lohnt aber nur, wenn die SPD ein dezidiert linkes Programm vorlegt

Nur mit so einem gut kommunizierten Angebot lohnt sich das Risiko, die große Koalition zu beenden. Zwar haben die Sozialdemokraten in der Koalition viel mehr erreicht, als die bescheidenden Wahlergebnisse der Vergangenheit vermuten ließen. Aber die öffentlichkeitswirksame Verkaufe ihrer politischen Erfolge ging regelmäßig im parteiinternen Streit um Programm und Personen unter. Der Wähler reagierte genervt - und wandte sich ab.

Wenn es der SPD gelingt, sich selbst wieder für ihre eigenen Themen zu begeistern und - fast noch wichtiger - geschlossen, Seit' an Seit', Arm in Arm hinter ihren politischen Zielen steht, werden sich auch wieder mehr Menschen in Deutschland für die Sozialdemokratie begeistern, begeistern lassen. Das Wählerpotenzial ist riesig. Da wären zum Beispiel die "kleinen Leute", von denen der gerade abgetretene AfD-Parteichef Alexander Gauland auf dem Bundesparteitag in Braunschweig behauptete, dass seine Partei sie vertrete. Das ist zwar schön erzählt - aber trotzdem gelogen. Sozialdemokratische Themen sind nicht aus der Zeit gefallen. Die SPD war es, die es nicht schaffte, diese Themen zu transportieren.

Es ist die letzte Chance für die SPD

Wenn es der neuen Parteiführung gelingt, den eigenen Laden zu einen, die Grabenkämpfe zu beenden und ein klares politisches Programm vorzulegen, kann sie die neue, die vermutlich letzte Chance nutzen. Ganz am Ende dieses Prozesses können sie dann auch mal übers Personal reden. Franziska Giffey soll ja recht beliebt sein.

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