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Ajatollah Ali Chamenei neben einem Bild des getöteten Generals Soleimani

© Office of the Iranian Supreme Leader/dpa

Eskalation zwischen Iran und USA: Das Mullah-Regime profitiert, doch das kann sich schnell wieder ändern

Vor kurzem richteten sich Massendemonstrationen im Mittleren Osten gegen die Mullahs. Nun gegen die USA. Das kann sich auch wieder drehen. Eine Analyse.

Im Nahen und Mittleren Osten verhalten sich die Dinge selten so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Und die Konstellationen verändern sich viel schneller als in stabilen westlichen Systemen. Da ist es klug, sich nicht rasch auf eine Deutung festzulegen. Auch in der aktuellen Eskalation zwischen dem Iran und den USA ziehen Fachleute und Regierungschefs in entscheidenden Fragen unterschiedliche Schlüsse über die Zusammenhänge, die Motive und die Kräfteverhältnisse.

Wer hat die Eskalation ausgelöst?

In der deutschen Öffentlichkeit dominieren Stimmen, die US-Präsident Donald Trump und die gezielte Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani als Auslöser betrachten. Auf europäischer Ebene klingt das anders.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson nennen in einer gemeinsamen Erklärung den Iran und Soleimani: „Wir sind tief besorgt über die negative Rolle, die Iran in der Region gespielt hat, insbesondere durch die iranischen Revolutionsgarden und die Al-Quds-Einheit unter dem Kommando von General Soleimani.“

Trump nennen sie nicht. Sie verurteilen auch nicht die gezielte Tötung Soleimanis. Sie fordern alle Akteure auf, die Spirale der Gewalt zu beenden, betonen jedoch: „Wir rufen insbesondere Iran auf, von weiteren gewalttätigen Aktionen oder deren Unterstützung abzusehen.“

Der Hintergrund: Aus Sicht der drei Regierungen waren Tötungen von Amerikanern und der vom Iran und Soleimani orchestrierte Angriff pro-iranischer Kräfte auf die US-Botschaft in Bagdad der entscheidende Eskalationsschritt und ein nicht hinnehmbarer Bruch des Völkerrechts.

Diplomatische Vertretungen stehen unter besonderem Schutz. Die gezielte Tötung Soleimanis durch die USA ist völkerrechtlich ebenfalls hochproblematisch, aber kein ganz so klarer Fall. Der iranische General war nach Bagdad gekommen, um weitere Angriffe auf US-Einrichtungen zu organisieren. Man kann ihn als Kombattanten betrachten.

Stärkt die Entwicklung das Mullah-Regime?

Sie führt derzeit zu einem Schulterschluss der iranischen Bevölkerung mit dem Regime. Hunderttausende kamen am Montag zu den Trauerzeremonien für Soleimani in Teheran. Doch wie tief reicht diese aktuelle Solidarisierung mit dem Staat und wie lange hält sie?

Iraner demonstrieren gegen den Militärangriff der USA in Bagdad, bei dem auch der iranische General Soleimani getötet worden war.
Iraner demonstrieren gegen den Militärangriff der USA in Bagdad, bei dem auch der iranische General Soleimani getötet worden war.

© Ebrahim Noroozi/AP/dpa

Noch vor kurzem gab es im Iran Massenproteste gegen die Regierung wegen einer Benzinpreiserhöhung. Die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage ist groß. Es gab auch Proteste dagegen, dass die Mullahs so viel Geld für den iranische Interventionen im Ausland ausgeben, das dann im Inland fehlt. Manche Beobachter vergleichen die Lage mit der in der Sowjetunionkurz vor deren Kollaps. Andere warnen, man dürfe die Durchhaltekraft der Mullahs nicht unterschätzen.

Eine ähnliche volatile Stimmung ist im Irak zu beobachten. Vor kurzem gab es dort Massenproteste gegen einen zu großen Einfluss Irans auf den Irak und gegen die Präsenz iranischer Milizen im Irak. In diesen Tagen richtet sich der Ärger gegen die USA. Auch das kann sich bald wieder umkehren. Die Iraker wollen weder von der einen noch der anderen Seite fremdbestimmt werden.

Welche Rolle spielen die Wahlen im Iran und in den USA?

Im Iran hält am 21. Februar Wahlen ab, die USA am 3. November. Das beeinflusst die Kalkulationen beider Lager, kann aber auch zu Fehlkalkulationen führen. Die Eskalation nütze dem Iran, weil sie das Volk von der Unzufriedenheit über die Wirtschaft ablenke, sagen die Einen. Sie nütze Trump, der damit vom Impeachment ablenke, argwöhnen Andere.

Die Zuspitzung sei Folge einer Fehlspekulation des Iran, meinen Dritte. Soleimani sei davon ausgegangen, dass Trump im Wahljahr einen offenen Konflikt um jeden Preis vermeiden wolle. Er habe testen wollen, wie weit er gehen könne, um den raschen Abzug des US-Militärs aus der Region zu erreichen, damit der Iran freie Hand habe.

Was folgt aus Iraks Forderung nach Abzug fremder Truppen?

Auf die Schnelle wohl keine. Die Resolution hat nicht bindende Wirkung. Der bereits zurückgetretene Regierungschef Abdul-Mahdi, der als Interimspremier agiert, hatte das Parlament einerseits aufgefordert, den Beschluss zu fassen, andererseits hinzugefügt, die Regierung müsse die rechtlichen und politischen Möglichkeiten prüfen und einen Zeitplan für den angestrebten Truppenabzug aufstellen. Politisch richtet sich der Beschluss derzeit gegen die US-Präsenz. Was er für iranische Milizen bedeutet, ist unklar.

Praktische Konsequenzen für die Bundeswehr sind ebenfalls nicht absehbar. Der Bundestag hatte die Mission mit bis zu 700 Soldaten zur Ausbildung irakischer Streitkräfte im Oktober verlängert. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer möchte den Einsatz auch jetzt fortsetzen, um bei der Stabilisierung zu helfen, freilich nur, wenn der Irak das wünscht. Allerdings sollen einige Bundeswehr-Soldaten aus Sicherheitsgründen in Nachbarländer verlegt werden.

Eines scheint sicher: Ohne die logistische Unterstützung der USA kann die Bundeswehr ihre Mission nicht fortführen. Zunächst kursierte ein Schreiben von US-Generälen, das auf einen Truppenabzug aus dem Irak hindeutete – doch dann stellte US-Verteidigungsminister Mark Esper klar, dass die US-Soldaten bleiben würden.

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