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In die Herzen eingeschlossen. Szene vom Breitscheidplatz, 17. Dezember 2021.

© Christoph Soeder/dpa

Es braucht einen globalen Opfer-Gedenktag: Je größer der Rahmen, desto tröstlicher - für alle

Es ist gut, dass Gedenken an Terroropfer als Thema erkannt und europäisch verankert ist. Das sollte auch für die Corona-Opfer möglich sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Sie tragen aus einer Situation, die sie nicht verursachen und nicht verantworten, einen mitunter katastrophalen Schaden davon und finden dennoch wenig institutionelle Unterstützung zur Verbesserung ihrer Lage. So lesen sich nahezu alle Berichte, die es von Opfern und über Opfer gibt. Das ist für sie selbst schlimm und verstörend und für die Gesellschaft, in der sie leben, beschämend.

Inzwischen hat Deutschland eine Reihe von Terrorgeschehen erlebt, und doch ließ jedes dieselben Geschichten von Opfern zurück. Sie berichten von dem Gezerre mit Behörden, Versicherungen, Renten- und Pflegekassen und bringen immer wieder auch den Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit zum Ausdruck, nach mehr Gesehenwerden.

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Die neue Bundesregierung hat das aufgenommen und wird den 11. März zu einem Nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt erklären. So steht es dürr auf Seite 107 ihres Koalitionsvertrags. Ohne nähere Erläuterung. Der 11. März ist seit 2004 der Europäische Gedenktag für Terroropfer, seit am 11. März 2004 Al-Qaida-Terroristen in Madrid Bomben in Zügen zündeten und 191 Menschen starben und fast 2000 verletzt wurden.

Gesehen werden ist ein elementares Bedürfnis

Diesen 11. März will die Ampel-Koalition nun auch in Deutschland etablieren. Sie widmet dem Vorhaben zwar nur einen einzigen Satz, er passt in Vertragszeile 3592, aber vielleicht kann er einen wenigstens kleinen Unterschied machen.

Gesehen werden ist ein elementares menschliches Bedürfnis. Eins, das in der Not wächst und nicht – was man aus der Art, wie es bisher behandelt wurde, schließen müsste – abnimmt.

Und so findet sich auch kein kleinster Seitenhieb, als sich etwa die Sprecherin der Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags vom Breitscheidplatz froh über den Koalitionsplan zeigt. Astrid Passin sieht allein den möglichen Gewinn, den so ein Tag bringt, egal, wann. Und das, obwohl am Sonntag der fünfte Jahrestag des Berliner Terrors war. Man hätte also auch ein anderes Datum für richtiger und angemessener halten können.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Astrid Passin im großen Interview zum fünften Jahrestag des Anschlags.]

Wäre es das denn gewesen? Vielleicht tatsächlich nicht. Terror ist eine Bedrohung, die größer ist als Deutschland. Es ist eine Bedrohung, die ja nicht nur Europa, sondern noch viel mehr die ganze Welt betrifft. Je übergreifender der Opfer gedacht wird, desto klarer und deutlicher wird der Gedanke, dass alle überall betroffen und gemeint sind.

Dass alle überall Opfer werden, Opfer kennen und eben auch Opfern helfen könnten. Die Opfer sind Opfer einer globalen Bedrohung, sie sind nicht allein. Was den Terror angeht, ist das dann ein Gedanke, der ab jetzt am 11. März auch ganz ausdrücklich die Menschen in Deutschland mit einschließt.

Die Menge der Betroffenen und Gemeinten enthält etwas Tröstliches

Je grenzübergreifender Gedenken stattfindet, desto größer wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das erwachsen kann. Und schon die schiere Menge der Betroffenen und Gemeinten enthält etwas Tröstliches. Ganz so wie das Weihnachtsfest allein seiner Weltumspannung wegen bereits Trost spenden kann. Wer Weihnachten feiert, ist dabei nicht allein.

Und darum sollte es auch weitergehen mit den Gedenktagen für Opfer. So gut es ist, dass nunmehr die Terroropfer als nationales Thema erkannt und europäisch verankert sind, so gut wäre es, wenn das auch für die Opfer der Coronakrise möglich werden kann.

Auch hier hat die erste Veranstaltung in die Richtung – die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April vergangenen Jahres in Berlin initiierte Feierstunde – das Bedürfnis der Geschädigten nach Aufmerksamkeit richtig erkannt und zugleich auch das der Davongekommenen, sich zu dem Unglück der anderen zu verhalten. Damit sollte nun nicht Schluss sein.

Die Coronakrise eignet sich wie kaum eine andere zuvor, um einen globalen Opfer-Gedenktag zu etablieren. Das würde zum einen dem grenzenlosen Wesen der Viruspandemie entsprechen, und zum anderen den Menschen die Augen dafür öffnen können, dass und wie sehr sie ihrer gegenseitigen Solidarität bedürfen.

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