zum Hauptinhalt
Der CSU-Bürgermeisterkandidat in Neufahrn Ozan Iyibas.

© Armin Lehmann

Update

Erster muslimischer Bürgermeisterkandidat: Ozan Iyibas kandidiert für die CSU in Neufahrn

Was in Wallerstein nicht möglich war, geht nun in einem anderen Ort. Die CSU nominiert ihren ersten muslimischen Bürgermeisterkandidaten. Ein Bericht aus Neufahrn.

Ozan Iyibas stand am Freitagabend vor rund 80 Mitgliedern der CSU in Neufahrn bei München gelegen und sagte: „Ich möchte nicht auf meine Herkunft reduziert werden, ich bin mehr als meine Herkunft. Es geht um meine Kompetenzen und das, was ich einbringen kann.“ Eine knappe Stunde später, um 20.07 Uhr, hatte dann die CSU tatsächlich ihren ersten muslimischen Kandidaten für ein Bürgermeister-Amt für die kommenden Kommunalwahlen in Bayern am 15. März. 32 waren stimmberechtigt, 32 stimmten für Ozan Iybas.

Ihm selbst war es eher unangenehm, überhaupt über Religion zu sprechen, er sei schließlich in Freising geboren, in Neufahrn aufgewachsen, er habe die Werte, Traditionen und das Brauchtum und die christlichen Werte verinnerlicht. Das heiße nicht, dass er die Herkunft seiner Familie aus der Türkei verleugne.

Dem Tagesspiegel sagte Iyibas, dass er nach den Schüssen in Halle auf das Büro des sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby nochmals mit seiner Familie gesprochen habe. Für ihn habe das aber nichts an seinem Entschluss geändert, er werde „sowieso von allen Seiten angefeindet“. Als er die Politik Erdogans kritisierte, habe er „Morddrohungen bekommen“, die AfD habe bereits auf Facebook angekündigt, dass er als Bürgermeister der „Feind“ wäre, auf den man zielen müsse. In der Türkei sei er der „Deutschländer und in Deutschland der Deutschtürke, ich möchte aber Heimatländer sein.“

Um Iyibas standen Kameraleute vom Fernsehen und von Printmedien, der kleine Raum im Gasthof Maisberger war voll von Journalisten zur Überraschung von dem einen oder anderen Mitglied. Überraschend zumindest für eine solche Nominierungsveranstaltung hatte sich sogar CSU-Generalsekretär Markus Blume angekündigt. Dem Tagesspiegel sagte er: „Es ist noch nicht normal, dass ein Muslim in der CSU Bürgermeister wird, aber wir wollen das und werden diesen Weg weitergehen. Es geht uns nicht um Religion, sondern um eine Überzeugungsrichtung, die stimmen muss.“

Der Medienrummel in Neufahrn hatte damit zu tun, dass vor wenigen Tagen woanders in Bayern, in Wallerstein, der dortige Kandidat der CSU mit muslimischen Hintergrund einen Rückzieher machen musste. Zu viele hatten an der Basis etwas dagegen.

Sener Sahin und die Wallersteiner Parteibasis hatte die CSU deutschlandweit in Erklärungsnot gebracht. Sahin ist erfolgreicher deutscher Unternehmer mit türkischen Wurzeln, war als Spieler und Trainer viele Jahre im heimatlichen Fußballklub engagiert und ist mit einer Katholikin verheiratet.

Die CSU-Parteispitze um Ministerpräsident Markus Söder hatte den Vorfall bedauert, Generalsekretär Markus Blume sollte Sahin überreden, doch noch zu kandidieren. Aber dieser blieb bei seiner Entscheidung. „Wenn sie mich nicht wollen, muss ich das auch nicht machen“, sagte er verschiedenen Medien.

„Unsere Partei steht allen Menschen offen“

Generalsekretär Blume sah nach Tagesspiegel-Anfrage bei der CSU „keine Geschichte“ und verwies auf das Grundsatzprogramm der Partei, in der es heißt: „Unsere Partei steht allen Menschen offen, die sich zu diesen Grundwerten und unseren Zielen bekennen – unabhängig von ihrem persönlichen Glauben.“

Zu der Nominierung von Ozan Iyibas sagte Blume im Bayerischen Rundfunk: „An seinem Beispiel zeigt sich: In der CSU ist heute alles möglich.“ Offenbar hatten einige Mitglieder das in Wallerstein noch anders gesehen. Der 44-jährige Sahin berichtete, dass von rund 50 Mitgliedern rund zehn mit ihrem Rückzug aus der Partei gedroht hätten.

Bei den Grünen, die in Neufahrn den Bürgermeister stellen, erwartet man von Ozan Iyibas, der Alevit ist, dass die CSU eine Art Muster-Muslimwahlkampf inszenieren werde. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sagte dem Tagesspiegel: „Ich kann an dem Normalen, dass ein Neufahrner Bürger gleich welcher Konfession für das Bürgermeisteramt kandidiert, nichts Außergewöhnliches entdecken. Irritierend und verstörend ist die Debatte innerhalb der CSU darüber.“

Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin im Landtag.
Katharina Schulze, Grünen-Fraktionschefin im Landtag.

© Sven Hoppe/dpa

Bisher hat die CSU so gut wie keinen muslimischen Mandatsträger, einer dieser ganz Wenigen ist der Erlanger Mehmet Sapmaz, ebenfalls Unternehmer und seit 2008 im Stadtrat. Eigentlich wollte er aus persönlichen Gründen nicht mehr antreten, mehr Zeit für andere Dinge haben. Aber dann bekam er jüngst einen persönlichen Anruf von CSU-Innenminister Joachim Herrmann, der ihm sagte, die Partei sei als Volkspartei in einem großen Umbruch und dafür „brauchen wir Dich“. Sapmaz steht jetzt wieder zur Wahl.

Er sagt, grundsätzlich sei seine Partei schon auf dem richtigen Weg. Das hätte ihm die Reaktion der Parteispitze nach Wallerstein gezeigt. Sapmaz sagt aber auch: „Die pauschalen Vorurteile gegen den Islam führen bei einigen unserer Leute an der Basis zu einer Sippenhaft derer, die längst gesellschaftlich etabliert und integriert sind. Das ist traurig.“

CDU und CSU sind unter Migranten heute beliebteste Parteien

Offenbar hat die CSU-Spitze auch die jüngste Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVP) genau gelesen, die sich alle zwei Jahre mit den Parteipräferenzen von Zuwanderinnen und Zuwanderern beschäftigt. Erstmals haben sich diese Präferenzen deutlich zugunsten der Union verschoben.

Vor allem bei der Gruppe der Türkischstämmigen verliert die SPD massiv – von 69,8 auf 37 Prozent. Die Unionsparteien sind erstmals mit 43,2 Prozent beliebteste Parteien unter den Personen mit Migrationshintergrund. Andererseits sind die einst starken Bindungen der Union an die Gruppe der Spät-Aussiedler von 45 auf 40 Prozent gesunken. Die Türkeistämmigen wiederum wenden sich von der SPD eher der Union zu.

Allerdings fühlen sich viele Muslime in Bayern diskriminiert

Zwar betont die CSU auch immer wieder, dass die Religionszugehörigkeit keine Rolle spiele, die Ergebnisse der SVP-Studie konterkarieren diese Aussage allerdings. So sagen 43 Prozent der Befragten mit Migrationszugehörigkeit, dass christlicher Glaube ein wichtiges Kriterium sei, um zur Gesellschaft in Deutschland zu gehören. Für Bayern hat die SVP 2018 herausgefunden, dass sich wiederum knapp 44 Prozent der Befragten muslimischen Glaubens wegen ihrer Religion diskriminiert fühlen, 22 Prozent davon „stark“.

Mehmet Sapmaz, CSU-Mitglied und Stadtrat in Erlangen
Mehmet Sapmaz, CSU-Mitglied und Stadtrat in Erlangen

© Patrick Guyton

Der langjährige bayrische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer von der CSU, selbst ein gläubiger Katholik vom Land und Landrat von Kelheim, sagte dem Tagesspiegel: „In Wallerstein ist eine kluge Chance vertan worden, weil es noch zu große Ressentiments gibt.“ Ein Bürgermeister sei für ihn eben eine Art „Meister der Bürger“, und diese Eigenschaften habe der Kandidat Sener Sahin mitgebracht.

Dennoch glaubt auch Neumeyer, dass seine Partei sich längst auf den Weg gemacht habe, um auch Migranten für sich zu gewinnen. „Es ist eine Entwicklung da, auch wenn sie sehr langsam voranschreitet.“ Neumeyer ist sich sicher, dass „Parteitagsbeschlüsse von oben nicht helfen, um Ängste abzubauen“. Ein Stockkonservativer, glaubt er, der trete eben einfach aus.

Die Beharrungskräfte an der Basis der CSU sind groß

Markus Söder weiß, dass er seine Partei den städtischen, grünen Milieus und auch den Migranten öffnen muss, denn allein mit der konservativen Klientel, sagt ein hoher CSU-Funktionär, werde man keine Mehrheiten mehr gewinnen. Doch der Versuch, auf dem vergangenen Parteitag eine Frauenquote einzuführen, hat gezeigt, wie groß die Beharrungskräfte an der Basis sind.

Hinter vorgehaltener Hand geben CSU-Leute auch zu, dass die populistische Rhetorik von 2015 bis 2018 an der Basis nicht plötzlich aus den Köpfen zu zaubern sei. Noch im April 2016 sagte beispielsweise der CSU-Landtagsabgeordnete Josef Zellmeier bei einer Aktuellen Stunde zum Thema Integration: „Vorgabe ist das, wie wir in Bayern leben wollen und nicht das, was andere zu uns bringen.“

Doch es gibt keine Alternative für die CSU, sie muss sich als Volkspartei neu finden. Der ewige Spagat sich konservativ, liberal und modern zu zeigen wird noch schwieriger, davon erzählen auch die letzten Wahlergebnisse. Zurzeit liegt die CSU bei mickrigen 36 Prozentpunkten in den Umfragen, nochmals einen Prozent weniger als bei der Landtagswahl 2018. Aber Söders Werte sind gestiegen, auf gute 67 Prozent Zustimmung. Das wird am Ende, für den Prozess in der Partei, vielleicht entscheidend sein. Denn die Wähler mit Migrationshintergrund, vor allem die Türkischstämmigen, haben nichts gegen starke Führung. 

Zur Startseite