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Klägerin mit Kopftuch vor dem Verwaltungsgericht in Augsburg (Archivbild von 2016)

© dpa/Karl Josef Hildenbrand

Erscheinungsbild von Beamtinnen: Bundestag ermöglicht bundesweites Kopftuchverbot

Etliche Länder haben seit Jahren Kopftuchgesetze. Gilt das Verbot demnächst überall? Ein am Donnerstag beschlossenes Gesetz könnte das bewirken.

Es begann mit der großzügigen Körperdekoration eines Polizeibeamten aus Berlin. Weil der sich Nazisymbole und -texte bis zum Hals hatte auftätowieren lassen, gab das Bundesverwaltungsgericht im November 2017 dem Land Berlin recht. Das hatte den Beamten aus dem Dienst entfernen wollen, war damit aber zunächst vor Berliner Gerichten gescheitert. „Ein Beamter, der sich mit einer Auffassung, die der Werteordnung des Grundgesetzes widerspricht, derart identifiziert, dass er sie sich in die Haut eintätowieren lässt“ entschied das Leipziger Gericht, „ist nicht tragbar.“

Es machte zugleich klar, dass tätowierte Beamte nicht grundsätzlich ein Problem seien und die Frage, was erlaubt werde und was nicht, eine ordentliche Grundlage brauche, ein Gesetz. Immerhin greife Vater Staat mit derartigen Verboten in die Persönlichkeitsrechte und in die private Lebensführung seiner Dienerinnen und Diener ein.

 "Die Möglichkeit zum Verbot geschaffen"

In dieser Woche hat der Bundestag getan, was ihm aufgegeben wurde. Am Donnerstag passierte das “Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften den Bundestag. Das Plenum winkte ihn ohne Diskussion durch – und dies, obwohl er es in sich hat: Das federführende Bundesinnenministerium will es nämlich nicht bei Regelungen für Tattoos, Piercings, Schmucknarben, Bärten, Dreadlocks und Ohrtunneln belassen, sondern hat auch religiöse Zeichen in den Text aufgenommen: Auch „religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds“ können nun „eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen“.   

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Nach einem jahrzehntelangen Streit um das Kopftuch von Musliminnen, einer Vielzahl von Ländergesetzen, die sich gegen Ketten mit Kreuzanhängern, die jüdische Kippa, de facto aber meist gegen das Kopftuch richteten, nun eine bundesweite Lex Kopftuch? „Den jeweiligen obersten Dienstbehörden wird durch das vorliegende Gesetz die Möglichkeit geschaffen werden, auch das Tragen von religiös oder weltanschaulich konnotierten Formen des Erscheinungsbilds bei Ausübung des Dienstes oder bei Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug einzuschränken oder zu untersagen“, heißt es in der Begründung.

Zwar betonten die GroKo-Fraktionen noch in der letzten Sitzung des Innenausschusses, darum gehe es ihnen nicht. Doch nicht nur das Aktionsbündnis muslimischer Frauen“, das sich seit Jahren gegen die Kopftuchgesetze einsetzt, sieht das anders. Das Gesetz schaffe den freien Zugang zum öffentlichen Dienst ab, für den nur die Qualifikation zähle, heißt es in einer Stellungnahme des AmF. Das sei fatal, erst recht in Zeiten „der zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Polarisierung“. Das Gesetz „stigmatisiert vor allem Musliminnen und jüdische Männer als Menschen, denen, wenn sie hoheitlich tätig sind, von vornherein – sozusagen mit staatlichem Segen – mit Misstrauen begegnet werden kann“.

AfD stimmt mit GroKo - weil sie aufs Kopftuchverbot hofft

Auch Verfassungsjurist:innen sehen “eine camouflierte Kopftuch-Regelung” im Gesetz untergebracht. Der Gesetzestext verrate nicht nur „unterkomplexe Logik“, schrieben der Bonner Professor für Öffentliches Recht, Klaus Ferdinand Gärditz, und die Juristin Maryam Kamil Abdulsalam Anfang April im renommierten Verfassungsblog. Er verknüpfe nämlich das Verhalten einer Amtsperson „untrennbar“ mit deren Erscheinungsbild.

Das Gesetz widerspreche auch dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2015, demzufolge der Dienstherr aus dem schlichten Tragen des muslimischen Tuchs „keine Distanzierung von wesentlichen Verfassungsrechtlichen Grundsätzen“ folgern dürfe. Mehr noch, argumentieren Gärditz und Kamil: Das neue Bundesgesetz werde nun „unmittelbar in allen Ländern gelten – auch in solchen, deren Gesetzgeber hier bislang aus Respekt vor der Religionsfreiheit zurückhaltend waren“.

So genannte Neutralitätsgesetze, die es Lehrerinnen an Schulen und Hochschulen verbieten, Kopftuch zu tragen, gab es bis zu der Karlsruher Entscheidung in acht der 16 Bundesländer, danach wurden einige umformuliert. Das Bundesverfassungsgericht hatte seit 2003 mehrfach im Sinne ihrer Religionsfreiheit entschieden. Im vergangenen Jahr gab das Bundesarbeitsgericht einer Lehrerin gegen den Berliner Senat recht.

Noch in der abschließenden Beratung am Mittwoch betonten die GroKo-Fraktionen, an ein neues Kopftuchgesetz, nun bundesweit, sei nicht gedacht. Alle Regelungen, die sich daraus ergäben, "müssten sich auch künftig an die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten“.

Das Abstimmungsverhalten allerdings spricht eine andere Sprache: Genau weil sie ein Kopftuchverbot fürchteten, stimmte die Linke gegen das Gesetz, Grüne und FDP enthielten sich. Die AfD stimmte mit den GroKo-Fraktionen Union und SPD: „Der Gesetzentwurf“, so heißt es im Protokoll des Bundestags, eröffne aus AfD-Sicht „die Möglichkeit, Erscheinungsmerkmale, die religiösen oder weltanschaulichen Bezug hätten, einzuschränken oder ganz zu untersagen“.

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