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Polizeibeamte untersuchen im Januar 2014 den Tatort in Berlin-Reinickendorf. Möglicherweise hatte das LKA von dem Mord-Vorhaben gewusst. .

© Maurizio Gambarini/dpa

Ermittler wussten wohl von Drohung: Berliner LKA-Spitze wegen Rockermordes unter Druck

Landespolitiker fordern nach den neuen Erkenntnissen im Berliner Rockermord Aufklärung und personelle Konsequenzen an der Spitze des Landeskriminalamtes. Gegen drei Beamte wird ermittelt.

Im Mordprozess gegen mehrere Mitglieder der Rockergruppe „Hells Angels“ am Landgericht Berlin geraten die Spitzen von Polizei und Justiz in der Hauptstadt unter Druck. Nachdem das Gericht festgestellt hat, dass die Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) offenbar schon Wochen vor dem Mord von den Absichten der Täter Kenntnis hatten, aber nicht eingriffen, drängen Abgeordnete von Koalition und Opposition auf Aufklärung und personelle Konsequenzen an der Spitze des LKA mit seinem Chef Christian Steiof. Es geht um den Verdacht der Verschleierung einer Straftat durch das LKA, aber auch Innen- und Justizverwaltung.

Das Landgericht Berlin verhandelt seit Herbst 2014 gegen elf Angeklagte der Rockergruppe „Hells Angels“, denen zur Last gelegt wird, im Januar 2014 in einem Reinickendorfer Wettbüro den Rocker Tahir Ö. ermordet zu haben. Bereits in einer frühen Phase der Beweisaufnahme war der Verdacht aufgekommen, dass Ermittler des LKA lange vor dem Mord Hinweise darauf hatten, dass der Mord geplant und in Auftrag gegeben wurde. Diesen Verdacht bestätigt nun ein sogenannter rechtlicher Hinweis des Landgerichts. Darin ist nach Tagesspiegel-Informationen von möglicherweise bewusstem und billigendem Hinnehmen des Mordes durch Beamte des Landeskriminalamtes die Rede.

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Kriminalamtschef Steiof sei „maximal angezählt“, sagte der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber dem „Tagesspiegel“. Nun müsse es Aufklärung und gegebenenfalls Konsequenzen „ohne Ansehen der Person“ geben. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus, Peter Trapp (CDU), forderte eine „unabhängige Untersuchung“ der Rolle der gesamten LKA-Spitze und die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Marcel Luthe, drängte auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. „Nach der Schießstandsaffäre und dem 88-Skandal ist dies ein weiterer Grund, endlich den von uns geforderten Untersuchungsausschuss zum Personalwesen bei Polizei und Justiz einzusetzen", sagte er. „Sollten sich die Feststellungen des Gerichtes so bestätigen, wäre das gefühlt der zehnte Skandal in der Polizeiverwaltung Berlins in den letzten zwei Jahren“ und es müsse „nun dringend personelle Konsequenzen an der Spitze des Landeskriminalamtes geben“.

Auch Koppers fordert nun "rückhaltlose Aufklärung"

In der Aufklärung der Verantwortung von Polizei und Justiz in dem Fall dürfte es auch um Berlins Generalstaatsanwältin Margarete Koppers gehen, die bis Anfang dieses Jahres Vizepräsidentin der Berliner Polizei war. Auch Koppers fordert nun „rückhaltlose Aufklärung“ der Vorwürfe. Deshalb sei ein in Kapitalverbrechen erfahrener Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft als Sonderermittler eingesetzt worden. Ermittelt wird jetzt laut Koppers gegen drei Beamte.

Die frühere Polizei-Vizepräsidentin wies den indirekten Vorwurf zurück, die Polizei habe nicht rechtzeitig auf die im Raum stehenden Vorwürfe reagiert. Als Vizepräsidentin, die auch für Personal und Disziplinarverfahren zuständig war, habe sie bereits 2014 auf Hinweise reagiert. Es sei sowohl ein Sondersachbearbeiter eingesetzt worden als auch die Staatsanwaltschaft informiert worden. Die Staatsanwaltschaft habe damals in einem „Vorprüfungsverfahren“ den Sachverhalt geprüft, aber keinen Anfangsverdacht festgestellt, sagte Koppers.

Aus heutiger Sicht sei in dem Fall „sehr viel schief gelaufen", betonte sie. Die drei Beamten des Landeskriminalamts, gegen die jetzt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, hätten „geltende Qualitätsstandards nicht eingehalten“. Dazu hätte gehört, sofort nach Kenntnis der Morddrohung gegen den später erschossenen Rocker die für Tötungsdelikte zuständigen Kollegen der Abteilung eins des Landeskriminalamts einzuschalten. Dies hatten die jetzt Beschuldigten aber unterlassen. Deswegen habe es schon damals ein Disziplinarverfahren gegen die Beamten gegeben. Nach Tagesspiegel-Informationen waren Disziplinarverfahren gegen zwei Beamte eingestellt worden. Im laufenden Prozess hatten die drei Beamten als Zeugen die Aussage verweigert. Der "rechtliche Hinweis" des Richters, der die jetzigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs eines vorsätzlichen Tötungsdelikt durch Unterlassen auslöste, stützt sich auf die Aussage des von Koppers damals eingesetzten polizeilichen Sondersachbearbeiters.

LKA-Chef Steiof hatte zunächst behauptet, Polizeibeamte hätten keine Kenntnisse gehabt, die den Mord womöglich hätten verhindern können. Später musste sich Steiof korrigieren, gab Ermittlungs- und Informationspannen zu. Trotz des frühen Verdachts war jedoch zunächst jahrelang von niemandem ein Strafverfahren wegen Totschlags durch Unterlassen eingeleitet worden. Bei Tötungsdelikten müsste das von Amts wegen geschehen, weshalb sich nun die Frage stellt, ob und durch wen es eine sogenannte Strafvereitelung im Amt gab. Der Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) verwies am Sonntag darauf, dass die Innenverwaltung für die Polizei zuständig sei und die Einleitung eines Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft liege.

„Es gibt offensichtlich zwei Arten von Polizisten in Berlin, diejenigen, die ihre Arbeit tun und denen so etwas nicht unterlaufen wäre. Und es gibt die wenigen anderen, denen zum Erreichen von verschiedenen Zielen jedes Mittel recht ist“, sagte Markus Wessel, einer von vier Anwälten der Angehörigen des Opfers in der Nebenklage. Die billigende Inkaufnahme eines Mordes durch die Polizei sei „alles andere als rechtsstaatliches Vorgehen“.

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