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Bundeskanzler Olaf Scholz während der Debatte zu seiner Regierungserklärung.

© IMAGO/Emmanuele Contini

Erklärung im Bundestag: Scholz schweigt zu Lambrecht – Merz fordert die Entlassung

Der Kanzler hat einige Zeitenwende-Neuigkeiten im Gepäck, die Verteidigungsministerin ignoriert er. Und die Union lockt schon mit Jamaika. Eine Analyse.

Es ist interessant, wen Olaf Scholz an diesem Tag im Deutschen Bundestag nicht erwähnt. Er dankt Robert Habeck für die Versuche, wegzukommen von russischem Öl und Gas, dass er an Land und auf See die Windenergie rasant ausbauen will. Er dankt sogar Friedrich Merz, dass er konstruktiv mitarbeite, um gemeinsam das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr im Grundgesetz zu verankern.

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Beim Passus zum Sondervermögen und zu Waffenlieferungen an die Ukraine hat er in vergangenen Reden auch seiner Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) für ihren Einsatz gedankt. Nun sagt Scholz kein Wort zu ihr. Kein Dank, nichts. Sind das schon Absetzbewegungen? 

Lambrecht liest auf der Regierungsbank Akten, aber dieser Tag bietet nach der Regierungserklärung des Kanzlers, abgegeben wegen des EU-Sondergipfels am 30./31. Mai, weitere unangenehme Nachrichten für sie. Vor allem mit dem Auftritt von Friedrich Merz: Es gebe hier inzwischen „eine Ministerin, die seit Wochen mehr mit Selbstverteidigung als mit Verteidigung zu tun hat“, sagt der CDU/CSU-Fraktionschef.

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Aus der Bundeswehr würden peinliche Details über eine uninformierte und desinteressierte Ministerin an Medien durchgestochen. Den Bundeskanzler fordert er auf, sich von Lambrecht zu trennen. Das werde der Kanzler sowieso tun müssen, also sollte er es lieber sofort tun.

Hat Lambrecht noch die Autorität?

Der hat gesagt, man werde in drei Jahren sagen, dass sie ihre Sache gut gemacht habe. Scholz ist bekannt für seine Loyalität, sie war seine Wahl. Doch ob das gut gehen kann? Hat sie noch die Autorität in der Truppe, um seine Zeitenwende politisch umzusetzen? Der Kanzler gibt sich – noch – unbeirrt. Und zeichnet lieber die großen Linien.

„Selten zuvor war unsere Zusammenarbeit mit den wirtschaftsstarken Demokratien, den G7, so effektiv und so intensiv wie in diesen Tagen und Wochen unter unserem Vorsitz“, betont er. US-Präsident Joe Biden habe großen Anteil daran – gerade mit Blick auch auf die Nato, doch im Herbst droht den Demokraten bei Kongresswahlen eine Schlappe, Donald Trump arbeitet am Comeback.

Friedrich Merz fordert ihre Entlassung: Christine Lambrecht (SPD), die Verteidigungsministerin, verlässt den Plenarsaal im Bundestag.
Friedrich Merz fordert ihre Entlassung: Christine Lambrecht (SPD), die Verteidigungsministerin, verlässt den Plenarsaal im Bundestag.

© Michael Kappeler/dpa

Ein CDU-Politiker lockt FDP und Grüne mit Jamaika

Daher ist die westliche Einigkeit nicht sicher, genauso wie die in Scholz‘ Berliner Koalition. Wenn er in die Augen der Kollegen der FDP blicke, dann „sehe ich eine tiefe Sehnsucht nach Jamaika. Und ich kann es verstehen“, twittert der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries während der Debatte.

Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist die Union obenauf und betont unentwegt, dass es ja auch rechnerisch diese Koalitionsmöglichkeit im Bundestag gebe. Es fällt auf, dass bei Grünen und FDP der Applaus zur Scholz-Rede fast schon pflichtschuldig wirkt.

Scholz macht harte Ansagen – an Putin

Scholz skizziert stoisch seinen Kurs, hat aber auch ein paar Neuigkeiten im Gepäck. Er berichtet von den vielen Zuschriften und Gesprächen mit besorgten Bürgern. Aber er wolle eins auch ganz deutlich sagen: „Einem brutal angegriffenen Land bei der Verteidigung zu helfen, darin liegt keine Eskalation. Sondern ein Beitrag dazu, den Angriff abzuwehren – und damit schnellstmöglich die Gewalt zu beenden.“

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Noch immer glaube Wladimir Putin, dass er einen Diktatfrieden herbeibomben könne. „Doch er irrt sich, so wie er sich schon mit Blick auf die Entschlossenheit der Ukrainerinnen und Ukrainer und die Geschlossenheit unserer Bündnisse und Allianzen geirrt hat. Einen Diktatfrieden wird es nicht geben. Weil die Ukrainerinnen und Ukrainer ihn nicht akzeptieren – und wir auch nicht.“

Erst wenn Putin das begreife, dass er die Verteidigung der Ukraine nicht brechen könne, dann werde er bereit sein, ernsthaft über Frieden zu verhandeln. „Deshalb stärken wir der Ukraine den Rücken, auch militärisch.“ Scholz macht hier härtere Ansagen als zuletzt der französische Präsident Emmanuel Macron. Von einer gesichtswahrenden Lösung redet er nicht, er will, dass die Russen alle Truppen auf die Grenzen vor dem 24. Februar zurückziehen. Da gibt es auch gar keine Unterschiede zur Union.

Oberstes Ziel; Kein Diktatfrieden, Nato wird nicht Kriegspartei

Der Grundsatz, der ihn leite, sei: überlegt, abgewogen und international eng abgestimmt. Das bedeute keine deutschen Alleingänge, „alles, was wir tun, muss Russland mehr schaden als uns selbst und unseren Partnern“. Es werde nicht getan, was die Nato zur Kriegspartei mache, etwa das Durchsetzen einer Flugverbotszone. „Und wir werden unsere eigene Verteidigungsfähigkeit sichern und stärken.“

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Dazu brauche es das Sondervermögen. Nachdem man sich bisher mit der Union (die man für die Grundgesetzänderung für die Zwei-Drittel-Mehrheit braucht) wegen der Details zu den Ausgaben noch nicht einigen konnte, soll die Abstimmung nun in der Haushaltswoche Anfang Juni erfolgen. „Wir sind dazu in guten Gesprächen, auch mit Ihrer Partei, lieber Herr Merz. Dafür bin ich dankbar“, sagt Scholz und schaut zu seinem Gegenspieler herüber.

Merz' Mimik spricht Bände

Merz ganze Mimik und Körpersprache macht deutlich, was er von diesem Kanzler hält. Er hat inzwischen auf SPD-Seite zumindest zu Fraktionschef Rolf Mützenich einen belastbaren Draht, der immer wieder den Kontakt sucht, um eine Einigung zu finden.

Mit den größten Applaus gibt es für Scholz‘ Begrüßung der Finnen und Schweden für ihren Nato-Beitrittswunsch. Das Motto „Einer für alle und alle für einen“ sei nun mal die Attraktivität des transatlantischen Bündnisses. „Liebe Freundinnen und Freunde in Schweden und Finnland, Ihr seid uns herzlich willkommen. Mit Euch an unserer Seite wird die Nato, wird Europa stärker und sicherer.“

Schwierige Zeiten: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht im Bundestag nach seiner Regierungserklärung zur Regierungsbank.
Schwierige Zeiten: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht im Bundestag nach seiner Regierungserklärung zur Regierungsbank.

© Kay Nietfeld/dpa

Solidaritätsfonds ja, schneller EU-Beitritt der Ukraine nein

Für die Ukraine kündigt er einen Solidaritätsfonds der EU an. „Der Wiederaufbau (….)  wird Milliarden kosten.“ Zugleich macht er deutlich, dass es einen schnellen EU-Beitritt nicht geben kann, Macron schwebt zunächst etwas wie eine privilegierte Partnerschaft vor.

„Dass es auf dem Weg in die EU keine Abkürzungen gibt, ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans“, betont Scholz. Und fast nebenher sagt er etwas, an das sich Kanzlerin Angela Merkel zuletzt nicht mehr herangetraut hat: Eine Änderung der EU-Verträge – um auch europäisch eine Zeitenwende einzuläuten.

„Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich zum Beispiel mehr Konsequenz beim Klimaschutz, Fortschritte bei der europäischen Verteidigung, ein gerechteres und inklusiveres Europa mit mehr sozialem Miteinander.“ Ihm ist auch das Einstimmigkeitsprinzip ein Dorn im Auge, so blockiert Ungarn bisher das Öl-Embargo.

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Scholz will auch EU-Zeitenwende – durch Änderung der Verträge?

„Wenn die Sache es erfordert, dann können wir über eine Änderung der Verträge reden, auch über einen Konvent. Das ist kein Tabu.“ Und nachdem dies das wichtigste Thema für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war, betont er, dass auch der Kampf gegen die Inflation höchste Priorität habe; dass die Abschaffung der EEG-Umlage, die Energiepauschale von 300 Euro (die aber Rentner nicht bekommen, wie die Union moniert), Steuerrabatte beim Tanken, Sozialzuschüsse und das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr nicht das letzte Wort sein müssen.

Mit großer Sorge wird im Kanzleramt auf den Herbst geblickt, wenn die Nebenkostenabrechnungen kommen. Und die Ampel, vor allem die FDP, aber zur Schuldenbremse für den Haushalt 2023 zurück will.

Friedrich Merz wirft dem Kanzler doppeltes Spiel bei den Waffenlieferungen vor.
Friedrich Merz wirft dem Kanzler doppeltes Spiel bei den Waffenlieferungen vor.

© IMAGO/Political-Moments

Merz seziert Scholz

Friedrich Merz bleibt sich treu, wie beim letzten Mal startet er seine Rede mit einem Scholz-Zitat. „Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen“, hatte der Kanzler bei RTL zum Dauer-Thema Kiew-Besuch gesagt. Wen er denn damit meine? Regierungschefs europäischer Staaten, seine Außenministerin oder die Bundestagspräsidentin?

Dies führt zu Zwischenrufen bei der SPD-Fraktion. Replik Merz: „Bei Ihnen liegen nach dem letzten Wahlsonntag die Nerven aber wirklich blank.“ Der Sauerländer seziert Scholz vor allem wieder beim Thema Waffenlieferungen, ist aber selbst nicht ganz auf der Höhe der Zeit. 

Kanzleramt: Merz ist nicht im Film

„Die Wahrheit ist doch, dass aus Deutschland in den vergangenen Wochen fast nichts geliefert worden ist.“ Für den Gepard-Flugabwehrpanzer gebe es keine Munition, auch beim Ringtausch gehe nichts voran. „Welches doppelte Spiel wird in der Bundesregierung eigentlich betrieben?" Anton Hofreiter habe Recht, das Probleme liege im Kanzleramt, meint Merz.

Im Kanzleramt sagen sie, beides sei falsch, Merz habe wohl veraltete Sprechzettel vorgetragen.

In Scholz' Umfeld heißt es, die Gepard-Panzer würden nach der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland geliefert – mit genug Munition. Aber die Frage, wo denn die Munition plötzlich herkomme - bisher wird die Weitergabe vom Produktionsland Schweiz blockiert - bleibt unbeantwortet. Ebenso kann die Ausbildung an dem komplexen System sehr lange dauern.

Was hingegen ein Fakt ist, ist die Ausweitung des Ringtausches, hier passiert also tatsächlich einiges. Vielleicht hat Merz es verpasst, aber am Vortag hat Lambrecht ankündigen dürfen, dass Deutschland Tschechien 15 Leopard-Panzer überlässt, damit Tschechien wiederum schweres Gerät, das den Ukrainern schon vertraut ist, in das Kriegsgebiet liefern darf. Auch die ukrainische Regierung lobt die deutschen Beiträge mittlerweile deutlich.

Doch die Frage in diesen Tagen bleibt, wie lange Lambrecht noch solche Nachrichten wie zu diesem Ringtausch verkünden darf - das hängt vor allem davon ab, wie lange Scholz seine Hand über sie hält.

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