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Durch die Coronakrise waren Chinas Exporte eingebrochen. Jetzt geht es aufwärts.

© imago images/Winfried Rothermel

Erholung für die globale Wirtschaft: Hoffnung für die Welt aus dem Coronavirus-Epizentrum

Die Globalisierung kann auch ihre positive Seite zeigen: Ausgerechnet China wird die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abmildern. Ein Gastbeitrag.

Frank Sieren ist Journalist und Buchautor und lebt seit über 25 Jahren in Peking

Quarantäne, Schulschließungen, dichte Grenzen, Hilfsprogramme in unbegrenzter Höhe – in atemberaubender Geschwindigkeit versinken Europa und die USA derzeit im Krisenmodus. Dax und Dow Jones waren zwischenzeitlich im freien Fall, vergangenen Donnerstag war der größte Crash an der Wallstreet seit 1987. Das Novum: Anders als vorige Wirtschaftseinbrüche schlägt er unmittelbar in den Dienstleistungssektor durch. Und trifft viele Geschäfte, Hotels, Bars und Restaurants direkt. Über Nacht stehen sie vor dem Aus und können sich ausrechnen wie lange die finanziellen Rücklagen noch reichen.

Hoffnung kommt in diesen Tagen ausgerechnet aus China, dem Land, das bis vor drei Wochen noch Epizentrum der Corona-Krise und in Teilen auf Hilfslieferungen aus Deutschland und Europa angewiesen war. Seit einigen Tagen stehen dort nun alle Zeichen auf Erholung. Und wie entscheidend das für eine Erholung auch der westlichen Welt sein kann, zeigt ein Blick auf die globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse: China allein hat heute einen Anteil von 17 Prozent an der gesamten Weltwirtschaft.

China kann es mehr denn je gelingen, die Weltwirtschaft anzuschieben

Der Anteil der Volksrepublik am Wachstum der Weltwirtschaft liegt sogar bei 30 Prozent. Für Asien sind es insgesamt über 60 Prozent. Für die USA nur elf Prozent. Für die EU gerademal vier. China kann es also mehr denn je gelingen, die Weltwirtschaft wieder anzuschieben. Ein Muster, das bereits nach der Finanzkrise im Frühjahr 2009 zu beobachten war, ebenso wie nach der SARS-Epidemie 2003. Und da war Chinas Wirtschaftskraft noch deutlich geringer.

Die gute Nachricht: In China ist das Virus weitgehend unter Kontrolle, am Sonntag wurden noch zwanzig Neuinfektionen gemeldet in ganz China mit 1,4 Milliarden Menschen, auch in Südkorea und Japan bessert sich die Lage täglich. Das übrige Asien war ohnehin kaum betroffen.

[Die Covid-19-Deutschlandkarte: Sehen Sie hier alle Coronavirus-Infektionen nach Landkreisen und Bundesländern]

Die Notfallkrankenhäuser wurden in China bereits wieder geschlossen. Chinesische Virus-Ärzteteams sind nach Italien unterwegs – sie werden zu Hause nicht mehr gebraucht. Die Quarantänebestimmungen im chinesischen Alltag werden langsam gelockert. Nur die Einreisebestimmungen aus Europa mussten noch einmal verschärft werden. Das Virus soll keinesfalls zurückkehren. Zum Glück hat die chinesische Regierung drastisch durchgegriffen, sonst wäre alles noch viel schlimmer gekommen – auch für uns. Es mag wie überall eine Dunkelziffer geben. Es wird womöglich das eine oder andere vertuscht. Doch der Trend ist offensichtlich. Es geht bergauf.

Chinas Premier kann es sich nicht leisten, die Menschen nach dieser Krise zu enttäuschen

Das wichtigste politische Zeichen: Präsident Xi Jinping hat am vergangenen Dienstag die Krisenregion Wuhan besucht: „Die Epidemie wird die Grundlagen für Chinas stetige und langfristig solide, wirtschaftliche Entwicklung nicht beeinträchtigen“, hat er dort gesagt. Das mag in unseren Ohren nach Propaganda klingen. Für die Chinesen jedoch ist es ein Versprechen, an dem sie ihren Staats- und Parteichef messen werden. Und er kann es sich nach dieser Krise nicht leisten, die Menschen zu enttäuschen. Nicht zuletzt deshalb hat Xi mit seiner Wuhan-Visite abgewartet bis die komplett heruntergefahrene chinesische Wirtschaft wieder mit halber Kraft läuft.

Hintergrund über das Coronavirus:

Messen lässt sich die Erholung allen voran am Kohleverbrauch. Die sechs größten Kohleenergieversorger liegen wieder bei dreiviertel der Auslastung des vergangenen Jahres. Die internationalen Luftfrachtpreise, die auch in Hongkong erhoben werden, steigen seit vergangener Woche. Mehr Containerschiffe passieren wieder die Skyline von Hongkong.

Der wahrscheinlich positivste Indikator aus der Volksrepublik: Die traditionelle Kantonmesse wird Mitte April wie geplant stattfinden. So hat es Chinas Premierminister Li Keqiang jedenfalls persönlich verkündet. Vergangenes Jahr kamen knapp 200 000 Menschen aus über 200 Ländern zu der Messe. Wie das angesichts der Reiserestriktionen – nach jetzigem Stand müssen Europäer, die nach China einreisen zunächst zwei Wochen in Quarantäne - umgesetzt werden soll ist noch unklar.

Beim Neustart kleckert Peking nicht

„Chinas Wirtschaft anzuhalten war hart, sie wieder zu starten ist härter“, titelte die New York Times vergangene Woche. Peking greift denn auch mit aller Wucht, die der zentralisierten Wirtschaftspolitik zur Verfügung steht, durch. Die staatlichen Banken wurden angewiesen Kredite, in den Markt zu pumpen. Versicherer dürfen Policen nicht kündigen, wenn Prämien nicht rechtzeitig gezahlt werden. Die staatlichen Eisenbahnen haben ihre Frachtkosten gesenkt. Auch der niedrige Ölpreis hilft.

[Alles zur Coronavirus-Situation in Berlin erfahren Sie in unserem Tagesspiegel-Newsblog an dieser Stelle]

Am vergangenen Freitag hat Peking zudem entschieden, die Importtarife für Konsumgüter zu senken und die Limits für Autokäufe anzuheben, was bei der deutschen Autoindustrie für einen Hoffnungsschimmer sorgte. Es werden mehr neue Infrastrukturprojekte genehmigt. Das 5G-Netz wird noch schneller ausgebaut. Dass dafür mehr Schulden gemacht werden müssen, nimmt Peking in Kauf – so wie Europa und die USA derzeit auch. Bazooka Zeiten weltweit. Die Chinesen vorneweg.

Die japanische Investmentbank Nomura ging bereits Anfang vergangener Woche davon aus, dass über 70 Prozent der chinesischen Wirtschaft wieder läuft. Allerdings fehlt noch jeder dritte Arbeiter. Und die U-Bahnen sind noch immer nicht halb so voll wie sonst. Viele arbeiten weiterhin zu Hause. Doch auch das dürfte sich im Laufe des Monats entspannen. Die Menschen sind froh zur Normalität zurückzukehren. Der Konsum zieht langsam an. Das Nachholbedürfnis ist immens.

Chinas Erholung dürfte in Europa bald zu spüren sein

In China wartet man nun auf die nächsten beiden politischen Meilensteine der Erholung. Die Wiedereröffnung der Schulen und, wichtiger noch, die jährliche Tagung des Nationalen Volkskongresses, des chinesischen Parlaments mit seinen mehr als 3000 Abgeordneten. Einen neuen Termin für die Anfang März abgesagte Tagung des Volkskongresses gibt es noch nicht.Was die Schulen angeht, gilt die Regel, dass die Kinder erst dann wieder zum Unterricht dürfen, wenn es 28 Tage, also zwei Inkubationsperioden so gut wie keine Neuinfektionen gegeben hat. Das wird wohl Anfang Mai.

Chinas Erholung dürfte in Europa bald zu spüren sein. Und diesmal ist auch aus den USA mit Rückenwind statt des ständigen Gegenwindes zu rechnen: US-Präsident Donald Trump wird im Wahljahr alles tun, um die Börsen wieder in den grünen Bereich zu bringen und den Konsum ankurbeln. Nach wochenlanger Leugnung und Fake-News-Rhetorik hat er nun am Freitag den nationalen Notstand ausgerufen. Der dramatische Schritt ist ein Zeichen, dass auch Trump auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist.

In diesen Tagen wird oft die Frage gestellt, ob das Coronavirus die Globalisierung bremsen oder gar aushebeln wird. Das Gegenteil scheint gegenwärtig wahrscheinlicher: Die Globalisierung trägt dazu bei, die wirtschaftlichen Folgen des Virus abzumildern.
(Hinweis: Dieser Artikel wurde am 15.3. publiziert)

Frank Sieren

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