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Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin reichen sich die Hände.

© imago images/ITAR-TASS

Ergebnisse des Treffens in Moskau: Die erzwungene Annäherung zwischen Merkel und Putin

Russlands internationaler Einfluss bewirkt eine stärkere Zusammenarbeit von Merkel und Putin. Was können beide bewirken? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Einst hatte Wladimir Putin 2007 in Sotschi die schwarze Labrador-Hündin Koni bei einem Treffen mit Angela Merkel um die Kanzlerin herumschleichen lassen. Wohl wissend, dass sie Angst vor Hunden hat. Diesmal aber war im Kreml von derartigen gezielten Provokationen nichts zu spüren, im Gegenteil. Wann hat man zuletzt so etwas vom russischen Präsidenten gehört? „Ich möchte der Frau Bundeskanzlerin von Herzen für die produktive Zusammenarbeit heute danken“, sagte er nach dem Treffen am Samstag.

Warum kommt es plötzlich zur politischen Annäherung zwischen Merkel und Putin?

Es war das freundlichste Treffen seit der Krim-Annexion 2014. Streitpunkte wie die mögliche russische Beteiligung bei dem Mord an einem Georgier im Berliner Kleinen Tiergarten und die Ausweisung von zwei russischen Diplomaten spielten in der Pressekonferenz Putins und Merkels am Samstag keine Rolle. Ein solcher Besuch habe den Vorteil, „dass man miteinander und nicht nur übereinander spricht“, betonte Merkel. Klar war: Putin hat Einfluss auf den Iran – und ohne ihn geht nichts bei der Lösung der Krisen in Syrien und Libyen. Putin ist ein Schlüsselakteur, um die Region nicht weiter zu destabilisieren und um neue Flüchtlingswellen zu verhindern. Wo die Kanzlerin mit ökonomischer Macht Einfluss ausüben kann, macht es Putin mit militärischer Macht.

Was ist das konkreteste Ergebnis des Treffens?

Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 kommt, wenn auch etwas später als geplant. Wegen der US-Sanktionen hat sich die an der Rohrverlegung beteiligte Schweizer Firma Allseas aus dem Projekt zurückgezogen. Russland erklärt, es habe eigene Schiffe, um den Bau zu beenden. Von der Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland fehlen noch 160 Kilometer. Putin betonte nach dem rund dreieinhalbstündigen Gespräch im Kreml, man werde „auf eigene Faust“ dieses Projekt zum Abschluss bringen. Dieser werde sich natürlich um einige Monate verzögern. „Ich hoffe aber, dass bis Ende des laufenden Jahres oder im ersten Quartal des nächsten Jahres die Arbeiten abgeschlossen sein werden und die Pipeline dann in Betrieb genommen werden kann“, sagt Putin.

Will heißen: Spätestens 2021 soll das Erdgas fließen. Für Merkel ganz wichtig: Es gebe nun auch eine Einigung für den parallelen Gastransit in den nächsten fünf Jahren durch die Ukraine – wodurch das Transitland weiter von den Einnahmen profitiere. Merkel unterstreicht, dass es keine einseitige Abhängigkeit gebe. „Ich glaube, dass dieses Projekt auch durch die neue europäische Rechtssetzung legitimiert ist und dass wir es deshalb zu Ende bringen sollten“, sagte die Kanzlerin. Anders als ursprünglich angenommen wurde die Änderung der Gasrichtlinie Anfang 2019 so gestaltet, dass das Projekt Nord Stream 2 dadurch nicht gefährdet ist.

Besonders Polen warnt allerdings, dass sich die EU mit der Möglichkeit eines Lieferstopps erpressbar mache. Und auch im Europaparlament gibt es Bedenken. „Mit Moskau darf nicht zu Lasten der Sicherheitsinteressen der osteuropäischen und baltischen Nachbarn gekuschelt werden“, sagt etwa der Grünen-Abgeordnete Sergey Lagodinsky.

Putin nahm zur Kenntnis, dass die Bundesregierung sich hier dem Druck aus Washington nicht beugt – zumal US-Präsident Donald Trump mit dem Kampf gegen das Projekt ja auch ökonomische Ziele verfolgt. Die USA buhlen um größere Absatzmärkte für ihr Flüssiggas. Er schätze die „verantwortungsbewusste Haltung“ der Bundesregierung bei Nord Stream 2, betonte Putin.

Was ist Merkels größer Erfolg?

Die Kanzlerin und der mit nach Moskau gereiste Außenminister Heiko Maas (SPD) kommen dem Ziel einer Libyen-Konferenz in Berlin, die zeitnah stattfinden soll, immer näher. Putin verspricht erstmals, die internationale Konferenz für eine Friedenslösung zu unterstützen. Libyen gilt als Schlüsselland, um noch stärkere Migrationsbewegungen über das Mittelmeer zu verhindern. Gibt es weiter politisches Chaos, profitieren am Ende nur kriminelle Schlepper. Putin steht wie Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabische Emirate auf der Seite des Generals Chalifa Haftar.

Die ebenfalls einflussreiche türkische Regierung steht derweil auf der Seite der international anerkannten Regierung von Fajis al-Sarradsch in Tripolis. Daher war es ein wichtiger erster Schritt, dass Putin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Waffenruhe erzwungen hat. „Einige Sachen bedürfen noch der Vorarbeit, aber es wäre ein guter Schritt in die richtige Richtung“, sagt Putin mit Blick auf die Konferenz. Für eine Friedenslösung ist es wichtig, gerade auch General Haftar für die Idee der Konferenz zu gewinnen. Merkel hat indes in Erinnerung, welches Chaos im Falle Syriens entstanden ist, als zu viele Akteure versuchten von außen Einfluss zu nehmen. Auch wie stark sich Russland darin eingemischt hat. Merkels CDU-Widersacher Friedrich Merz warnt vor zu viel Nachsicht und davor, Russland als Ordnungsmacht im Mittleren und Nahen Osten anzuerkennen. Mit Blick etwa auf Syrien betont Merz: „Russland ist nicht Ordnungsmacht, sondern Kriegspartei.“

Und was ist mit der Iran-Krise?

Merkel will „alle diplomatischen Mittel“ einsetzen, um das Atomabkommen am Leben zu erhalten, damit das Regime nicht an eine Atombombe kommt. Auch hierzu braucht es Putin. Neben Deutschland gehörten 2015 Frankreich und Großbritannien zu den EU-Staaten, die das Abkommen mit Teheran verhandelt hatten. Sowohl der britische Regierungschef Boris Johnson als auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hatten die Führung in Teheran jüngst davor gewarnt, komplett aus der Vereinbarung auszusteigen. Allerdings hat vor allem Johnson derzeit in der Innenpolitik so viel zu tun, dass die Diplomatie nicht ganz oben auf seiner Agenda steht: Bis Ende des Monats will der Premier die Trennung von der EU vollziehen. Auch Macron hat im eigenen Land angesichts des Streits um seine Rentenreform genug andere Probleme.

Ist die deutsche Außenpolitik wirklich so zahnlos?

Nein. Für Merkel ist es zum Beispiel ein Erfolg, dass zum Jahreswechsel der Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und prorussischen Separatisten geklappt hat, um die Vereinbarungen des Minsker Abkommens weiter umzusetzen. Das stärkt die Basis für die deutsch-russische Zusammenarbeit.

Noch steht es nicht zur Debatte, aber das Treffen im Kreml kann vielleicht auch zum Wendepunkt in der Frage der Sanktionen wegen der Krim-Annexion werden. Putin betont nicht ohne Grund die ökonomische Rolle Deutschlands. „Die Bundesrepublik gehört zu den wichtigsten Außenhandelspartnern Russlands und rangiert, gemessen am Handel, auf Platz zwei nach China“, betonte er.

Im Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, in der Endphase ihrer Kanzlerschaft könnte Merkel noch einmal wichtige Impulse setzen. Sie zieht spürbar die Themen stärker an sich, der von vielen in Union wie SPD kritisierte Außenminister Maas kann kaum nennenswerte Akzente setzen.

Zudem versucht Merkel, sich mit der veränderten Weltlage zu arrangieren, wo Staaten wie Russland und die Türkei asymmetrische Kriegsführungen in fragilen Staaten unterstützen. Zugleich sind es Partner, die auf anderen Ebenen gut mit Deutschland zusammenarbeiten. Interessant in Moskau: Merkel betont indirekt, dass sich die Welt zunehmend zu einer der Flexi-Partnerschaften wandelt. Die USA seien ein Verbündeter, mit denen Deutschland in vielen Fragen zusammenarbeite. Das hört sich kühl an. Aber nicht zuletzt die Eskalation mit dem Iran durch die Tötung von General Qassem Soleimani hat die Fronten verhärtet. Und so erzwingt die Macht des Faktischen eine Annäherung an Moskau – noch vor ein paar Wochen ist Macron für solche Überlegungen scharf kritisiert worden.

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