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Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eröffnet das Deutsche Zentrum Mobilität der Zukunft in München.

© dpa/Matthias Balk

„Er hat einfach viel Mist gebaut“: Die Bilanz des Verkehrsministers Andreas Scheuer

Dass Andreas Scheuer nach der Wahl weitermachen will, ist für seine Kritiker eine Drohung. Es gibt aber auch Lob für den „interessierten“ Verkehrsminister.

„Mir macht es viel Freude“, sagt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) über sein Amt. Das ist nicht ungewöhnlich für einen Politiker. Doch wenn er hinzufügt „Ich habe noch viel vor“, zucken viele Menschen zusammen – im Bundestag, in Verbänden, in Unternehmen. Andere fragen ungläubig: Meint er das ernst? Kann jemand nach so gravierenden Fehlschlägen noch die Chuzpe haben, nach der Bundestagswahl – eine Regierungsbeteiligung der Union vorausgesetzt – noch einmal nach dem Ministeramt zu greifen?

Scheuer hat damit kein Problem. „Es steht 88 zu 1“, sagt er wie fast immer gut gelaunt. Sein Ministerium habe 88 Verordnungen und Gesetze durch Bundestag und Bundesrat gebracht. Die 1 steht für die Pkw-Maut – alles andere ist aus seiner Sicht tadellos.

Doch wie sieht Scheuers Bilanz wirklich aus? Was ist gut gelaufen und was weniger? Was sind seine Stärken und Schwächen?

Als Scheuer im März 2018 Bundesverkehrsminister wird, könnte der Kontrast zu seinem Amtsvorgänger Alexander Dobrindt kaum größer sein. Obwohl sich beide zuvor als CSU-Generalsekretär das Ministeramt erdient haben, sind sie ganz unterschiedliche Typen: hier der intellektuelle, introvertierte, manchmal schwierige Dobrindt, dort der fröhliche Haudrauf Scheuer.

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Während Dobrindt wichtige Gesetzesvorhaben monatelang herumliegen lässt und manchmal zu gar keinem Ergebnis kommt, entscheidet Scheuer schnell und spontan. Die Kehrseite: Dobrindt diskutiert ausführlich mit den Verkehrspolitiker:innen der schwarz-roten Koalition, Scheuer übergeht die Bundestagsabgeordneten und oft auch die Länder – was ihm häufig auf die Füße fällt.

Eine seiner positiven Eigenschaften benennt Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag: „Für die meisten seiner Themen interessiert er sich tatsächlich – was man nicht über alle seiner Vorgänger sagen kann.“ In der Tat: Dobrindt ist viel mehr Partei- als Fachpolitiker, bei Peter Ramsauer war das nicht ganz so ausgeprägt, doch tiefe Spuren hat auch er nicht hinterlassen.

[Lesen sie auch diesen T-Plus-Text: Milliardenteures Verkehrsprojekt – Aber bei Scheuers Autobahn GmbH fehlt es an Streusalz und Hosen (T+)]

Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, attestiert Scheuer „viel Elan“. Doch dann schränkt sie ein: „Mangelnde Kommunikation, ungenügende fachliche Genauigkeit und geringe Verlässlichkeit haben dazu geführt, dass die Ergebnisse oft auch zu wünschen übrig ließen.“

Die schnellen, oft auch einsamen Entscheidungen, die Unfähigkeit, Netzwerke zu bilden – beides wird Scheuer auch von seinen eigenen Koalitionären im Bundestag übelgenommen. Mit den meisten Parlamentariern hat er es sich spätestens durch sein Verhalten in der Pkw-Maut-Affäre verscherzt. Sein Verhältnis zu den Ländern ist nicht nur durch den Formfehler seines Hauses bei der Novelle der Straßenverkehrsordnung und den Versuch, diesen auch noch auszunutzen, schwer belastet. Und Verhandlungen auf EU-Ebene sind ebenfalls nicht seine Stärke, wie sich beispielsweise bei der Eurovignettenrichtlinie und beim Abbiegeassistenten für Lkw zeigte.

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Bei der Eurovignette weigerte Scheuer sich beharrlich, auch Lieferwagen bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht einer Maut zu unterwerfen. Damit wollte er die Handwerker schützen. Nach langen Verzögerungen forderte die EU-Kommission Scheuer auf, einen eigenen Vorschlag zu machen. Daraufhin übernahm er dann doch Brüssels letzte Version, die es den Mitgliedstaaten selbst überlässt, ob sie Kleintransporter bemauten oder nicht.

Beim Abbiegeassistenten kam Scheuer aus Brüssel zurück und teilte mit, dass die osteuropäischen Länder nicht mitmachen. „Wenn es etwas gibt, das er überhaupt nicht kann, dann ist es Bündnisse schmieden, Gegengeschäfte machen“, heißt es im Bundestag. Beim Abbiegeassistenten legte Scheuer immerhin ein nationales Förderprogramm auf, mit dem bisher mehr als 10.000 Lkw nachgerüstet wurden.

Überhaupt kann man dem CSU-Mann keine Untätigkeit vorwerfen. 54 Gesetze hat er durchgebracht, dazu 34 Verordnungen und weitere 13 wichtige Programme und Berichte. Im Juni 2020 schloss der Minister mit der Bahnbranche den Schienenpakt, mit dem die Regierung die Zahl der Fahrgäste bis 2030 verdoppeln und den Anteil des Schienengüterverkehrs auf mindestens 25 Prozent erhöhen will.

Deutsche Bahn bekommt immer neue Milliarden

Im Dezember 2020 startete der Deutschlandtakt mit dem 30-Minuten-Rhythmus für die Verbindung Berlin-Hamburg. Mehr als fünf Milliarden Euro werden in mehr als 3000 Bahnhöfe investiert. Die Mittel für den Ausbau des Schienennahverkehrs (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) hat die Regierung 2020 auf 665 Millionen Euro verdoppelt. 2021 ist es eine Milliarde Euro, für 2025 sind zwei Milliarden geplant. Auch die bundeseigene Deutsche Bahn – ohnehin mit fast 30 Milliarden Euro verschuldet – bekommt von Scheuer immer neue Milliarden.

Seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber dem Fahrrad – aus Angst, die Autofahrer zu vergrätzen – hat der Minister mittlerweile aufgegeben. Er lässt sich gerne auf dem Faltrad filmen, seine Kampagne für das Helmtragen war zumindest ein Aufreger, wenn auch ohne messbaren Effekt.

Wichtiger war, dass der Bund erstmals die Planung und den Bau von Radschnellwegen in den Ländern und Gemeinden mit insgesamt fast 400 Millionen Euro von 2017 bis 2030 fördert. 20 Radschnellwege sind bis Ende 2020 finanziert worden, viele weitere sollen folgen. Insgesamt gibt die Bundesregierung von 2020 bis 2023 rund 1,5 Milliarden Euro für den Radverkehr aus.

Seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber dem Fahrrad hat Scheuer mittlerweile aufgegeben.
Seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber dem Fahrrad hat Scheuer mittlerweile aufgegeben.

© Imago/Chris Emil Janßen

Schaut man sich Scheuers mit schönen Grafiken illustrierte Erfolgsliste an, stößt man jedoch schnell auf Punkte, die Menschen außerhalb seines Ministeriums gar nicht so glorreich finden. So brüstet er sich mit dem „Trans-Europ-Express (TEE) 2.0“. „Wir bringen ab Dezember 2021 die Nachtzugverbindungen zurück. Es geht los mit den Strecken Wien-München-Paris sowie Zürich-Köln-Amsterdam.“ Das Problem: Die bundeseigene DB hat die Nachtzüge vor Jahren aus Renditegründen gestrichen und verlässt sich stattdessen auf die Bahnen der Österreicher und Schweizer.

Umstritten ist auch Scheuers neues Zentrum Mobilität der Zukunft. Nicht nur Sven-Christian Kindler, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, kritisiert, dass der Verkehrsminister allein 2021 bis 2024 insgesamt 323 Millionen Euro ohne Ausschreibung und Standortwettbewerb für ein Zentrum in der bayerischen Landeshauptstadt ausgibt. Scheuer könnte dem entgegenhalten, dass das Zentrum für Schienenverkehrsforschung 2019 nach Dresden ging.

Erfolgsbilanzen oder „88 zu 1“-Sprüche können Scheuers Kritiker ohnehin nicht beeindrucken. „Es kommt nicht auf die Quantität an“, sagt der Liberale Luksic. „Er hat einfach viel Mist gebaut.“ Mit der gescheiterten Pkw-Maut habe er hunderte Millionen Euro Steuergeld verbrannt, Haushalts- und Vergaberecht gebrochen und den Bundestag belogen. „Allein das hätte für drei Rücktritte gereicht.“

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Für die hoch verschuldete Deutsche Bahn habe Scheuer keine Strategie, die Investitionsmittel für Bahn, Straße und Wasserstraße flössen nicht richtig ab. „Dabei hat der Minister gesagt, man möge ihn daran messen“, sagt Luksic.

Der Start der bundeseigenen Autobahn GmbH sei „mehr als holprig“ gewesen. Auch die enormen Kostensteigerungen findet der Abgeordnete inakzeptabel: „Entweder die Kosten wurden von Anfang an falsch berechnet oder das Ministerium wusste es besser und hat das Parlament falsch informiert.“

Sowohl bei der Novelle der Straßenverkehrsordnung als auch beim Gesetz zum autonomen Fahren habe Scheuers Haus Rechtsfehler gemacht, die den Prozess aufgehalten hätten, so Luksic. Davon abgesehen sei der neue Rahmen für das autonome Fahren aber sehr gelungen.

Kaufprämien für angeblich saubere Verbrenner gefordert

Bei Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik beim Umweltverband Nabu, ist das Verhältnis von Lob zu Kritik ähnlich wie bei Luksic, obwohl er Scheuer aus einer ganz anderen Richtung betrachtet als der FDP-Mann. Rieger gefällt, dass der Minister viele, stark nachgefragte Programme zum Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos aufgelegt hat. „Gerade bei den Wallboxen für Privatleute hat er mal was richtig gemacht.“ Auch die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur mache ihren Job gut.

Ansonsten aber habe Scheuer „den substanziellen Wandel in Richtung Klimaschutz eindeutig nicht eingeleitet“. In der Coronakrise habe er sogar Kaufprämien für angeblich saubere Verbrenner gefordert. Bei der Eurovignette habe er durch sein Zeitspiel verhindert, dass es früher Anreize für E-Lkw gebe. Die Mautbefreiung für LNG-Lkw sei ein völlig falsches Signal und hätte eigentlich von Brüssel gestoppt werden müssen, wenn die EU-Kommission nicht mit der Vignette beschäftigt gewesen wäre.

Scheuer bei der aktuellen Stunde zum Scheitern der PKW-Maut im Deutschen Bundestag
Scheuer bei der aktuellen Stunde zum Scheitern der PKW-Maut im Deutschen Bundestag

© Lisa Ducret/dpa

Den Fluggesellschaften Lufthansa, Condor und Tui Milliarden Euro Staatshilfe ohne jegliche Umweltauflagen zu geben, ist aus Riegers Sicht ein Fehler, den man aber der gesamten Regierung vorwerfen müsse. Scheuer in Person kreidet er jedoch an, dass ihm bei der Schifffahrt nur Förderprogramme für LNG-Antriebe und Landstrom einfielen. „Das Thema Landstrom wird ohnehin schon von den Bundesländern vorangetrieben, die Häfen haben.“

Durch Scheuers Personenbeförderungsgesetz sieht der Nabu-Mann „die Gefahr, dass der ÖPNV kannibalisiert wird“. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 werde „stumpf abgearbeitet“. Die Themen Klimaschutz und Flächenverbrauch würden für Scheuer keine Rolle spielen. Der Nabu sei für ein Straßenbaumoratorium, viele Neubauprojekte müssten aus der Planung fliegen. „Aber Scheuer ist ja gerne mit dem Spaten zur Stelle, gerade wenn es um Straßenbauprojekte in Bayern geht.“

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Richtig übel nimmt Rieger dem Minister, dass er die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) überwiegend mit Industrievertretern besetzt und sofort nach dem Start „Denkverbote ausgesprochen“ habe. Die von der NPM gleichwohl errechnete Klimaschutzlücke im Verkehrsbereich habe das Ministerium einfach „wegdefiniert“. Scheuers Maßnahmenliste reiche hinten und vorne nicht. Verhaltensänderungen lehne der Minister grundsätzlich ab, tiefhängende Früchte wie ein Tempolimit auf Autobahnen verschmähe er.

Söder fürchtet den Dominoeffekt

Angesichts dieser Bilanz fragen sich nicht nur Scheuers Kritiker spätestens seit dem Maut-Debakel: Warum ist der Mann noch im Amt? Die Antwort verrät viel darüber, wie Realpolitik funktioniert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mischt sich nicht in die Frage ein, wie die CSU ihr Ministerjobs besetzt. Und deren Parteichef Markus Söder fürchtet einen Dominoeffekt. Würde er Scheuer feuern, würden andere in der CSU sagen: Dann muss Horst Seehofer aber auch weg. Würde der Innenminister fallen, würden wieder andere in der Partei fordern: Dann muss Entwicklungsminister Gerd Müller gehen, der macht eh SPD-Politik.

So ist die Idee, Dorothee Bär zur Verkehrsministerin zu machen, nie realisiert worden. Dabei hätte sich die 43-jährige Digitalbeauftragte im Kanzleramt im Wahlkampf gut gemacht. Über ihren Vorschlag mit den Flugtaxis lacht heute zumindest niemand mehr – anders als über Scheuers Wasserfahrräder zur Rettung des Klimas.

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