zum Hauptinhalt
Wer weniger fordert, bekommt auch weniger! Was gibt es daran denn zu meckern?

© dpa-tmn

Equal Pay Day und die Frage, ob Frauen selbst schuld sind: Victim Blaming an der Gehälterfront

Wenn Frauen über schlechte Gehälter klagen, hören sie: "Ihr habt halt schlecht verhandelt!" Sorry, aber das springt ja nun wirklich reichlich kurz. Ein Zwischenruf.

Ein Zwischenruf von Ariane Bemmer

Die Tränen der Rührung über die viele wohlwollende Aufmerksamkeit zum Weltfrauentag sind noch nicht ganz getrocknet, da gibt es schon wieder einen Hammer voll auf die Zwölf. An diesem Mittwoch ist der so genannte Equal Pay Day, der irgendwie mit gleichem Geld für gleiche Arbeit zu tun hat.

Und da können Frauen, die darauf hinweisen, dass sie und ihre Geschlechtsgenossinnen auch im selben Job in der Regel schlechter bezahlt werden als die männlichen Kollegen, sich regelmäßig anhören, dass sie dann wohl schlecht verhandelt hätten. Ist das nicht toll?

In anderen Zusammenhängen nennt sich das Victim Blaming, auf Deutsch nicht halb so elegant: dem Opfer die Schuld geben. Frauen mit Minirock, die sich nicht beklagen sollen, wenn sie angetatscht werden oder ihnen oder Schlimmeres passiert, sind eine Art Urknall des Victim Blaming.

Dass dieses Prinzip trotz seiner argumentativen Schwäche weit verbreitet ist, hat natürlich damit zu tun, dass es die herrschenden Machtverhältnisse festigt. Das Opfer ist schuld, der Täter kann nichts dafür. Klar soweit?

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bei den Gehaltsdebatten kommt dieselbe Logik zum Tragen. Das System spielt keine Rolle, das Versagen ist individuell. Leider vergisst das, dass die Regeln, die für Gehalts- und Karrieregespräche gelten, einen engen Verhaltenskorridor bilden. Wer nicht durchpasst, bleibt unten. Meist sind das diejenigen, die sich nicht aufs Fordern verstehen, sozialisationsbedingt oft Frauen, die sich als Mädchen „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein“ ins Poesiealbum schreiben ließen, ohne umgehend auf die Barrikaden zu gehen.

Immer dieselben Qualitäten steigen auf

Die vielen Ratgeber fürs erfolgreiche Gehaltsgespräch lesen sich aber für alle, die jenseits von Geschlechtsfragen von der Grundkonstitution her eher defensiv sind, wie ein plumpes und in seiner Durchsichtigkeit geradezu einfältiges Rollenspiel. Was es ja – wenn man sich die Konsequenzen vergegenwärtigt – auch ist: Der enge Verhaltenskorridor auf dem Weg nach oben lässt immer dieselben Qualitäten durch und immer dieselben Qualitäten außen vor. So schreibt sich ein Immerweiterso fort und Veränderungen haben es schwer.

Nicht ohne Grund werden für Änderungen am Ende dann immer wieder Gesetze nötig, seien es Frauenquoten oder Lohntransparenzgesetze. Quasi der Hammer zurück. Schade allemal, weil doch alle schlauer sein könnten. Die etablierten Aufstiegsroutinen sind das strukturelle Gegenteil von Diversität. Diversität ist aber das, was jedem Unternehmen als Voraussetzung fürs Überleben in diversen Zeiten dringend empfohlen wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false