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Deutschland ist zu klein, um seine Vorstellungen durchzusetzen.

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Epochenwechsel: Wir gehen mit der neuen Zeit

Chinas Aufstieg, Russlands Aggression und die bedrohte Freiheit in der digitalen Welt führen im Kern zu denselben Fragen: Wie behaupten wir unter den neuen Bedingungen Werte, Kultur, Sicherheit und Freiheit? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Manche Jahreswechsel fühlen sich wie eine Zeitenwende an. Angesichts der Wucht der Ereignisse ahnen die Menschen, dass eine neue Ära beginnt. 1989 war so ein Scharnierjahr zwischen zwei Epochen mit dem Sturz der kommunistischen Diktaturen und der Öffnung der Berliner Mauer. Ebenso 2001, wenngleich nicht der Terror neu war, sondern die Dimension des Angriffs. Sie trieb die USA zu einer neuen Dimension der Gegenwehr. 2008 erzwang die globale Finanzkrise ein Umdenken im Umgang mit Banken und Staatsschulden.

Mitunter leitet das Gefühl einer Epochenwende auch in die Irre. 2010/11 glaubten viele, der arabische Frühling sei eine Zeitenwende. Inzwischen regiert in Ägypten wieder das Militär; die Saudis und der Syrer Assad halten sich an der Macht. Libyen versinkt in Anarchie. 25 Jahre zuvor hatte man Gorbatschows Fähigkeit, die Sowjetunion zu reformieren, überschätzt. 1985, das Geburtsjahr von Glasnost und Perestrojka, wurde nicht zum Scharnier zwischen zwei Epochen. Erst der Geist von 1989 war stark genug.

Jetzt liegt wieder ein Epochenwechsel in der Luft. 2014 war ein Scharnierjahr. China hat die USA als größte Volkswirtschaft abgelöst – in Kaufkraftparität gerechnet. Russland stellt Europas Staatenordnung durch die erste gewaltsame Grenzänderung in diesem Jahrhundert infrage. Und die größte Veränderungskraft unserer Zeit, die digitale Revolution, wird neu bewertet. Ihre enormen Vorteile, der Zugewinn an Information, Unterhaltung, Kommunikation und Transparenz, bleiben willkommen. Immer mehr Menschen werden sich jedoch der Schattenseiten bewusst. Die neue Technik, die so viel Freiheit ermöglicht, kann zur größten Bedrohung unserer individuellen Freiheiten werden. Die Warnungen kursierten seit Jahren in der Netzgemeinde. Dank Edward Snowden eroberten sie dauerhaft die Medien. Erst 2014 erreichten sie aber die breite Gesellschaft. Die imperialen Vermarktungsstrategien von Facebook & Co verstärken diese Sorgen.

Deutschland ist zu klein, um seine Vorstellungen global durchzusetzen

Epochenwechsel stellen Politik und Gesellschaft vor die Herausforderung, nicht zu deren Spielball oder Opfer zu werden. Sie müssen reagieren, wollen den Gang der Ereignisse zumindest beeinflussen und im Idealfall die neue Ära gestalten. Nach 1989 ist das ziemlich gut gelungen, nach der Finanzkrise 2008 nur eingeschränkt. Für die Zeit nach 2001 bleibt der Eindruck verheerender Fehler.

Chinas Aufstieg, Russlands Aggression und die bedrohte Freiheit in der digitalen Welt führen im Kern zu denselben Fragen: Wie behaupten wir unter den neuen Bedingungen Werte, Kultur, Sicherheit und Freiheit? Eine Ablehnung der digitalen Wirtschaft, Abschottung und Rückzug in die Epoche der Warenhäuser ist nicht die Antwort. Und ebenso wenig, sich resignativ auf chinesische Standards für Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Arbeitsrecht einzustellen. Oder Russland durch achselzuckende Passivität zur nächsten Landnahme einzuladen.

Deutschland ist allein zu klein, um seine Vorstellungen global durchzusetzen. Wir können uns aber mit denen verbünden, die unseren Werten am nächsten sind: In der Regel sind das die EU-Partner und Amerikaner – auch wenn das oft mühsam ist, da sie ebenso wie wir mitunter gegen diese Werte verstoßen. Die USA und Europa bleiben das Zentrum der Innovation. Gemeinsam haben sie die Kraft, die nächste Epoche nicht als Rückzug zu erleiden, sondern zu gestalten.

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