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Protest gegen das Verbot von Memorial in Moskau

© dpa/AP/Uncredited

„Entzieht Opfern von Unterdrückung die Stimme“: Bundesregierung kritisiert Auflösung von Memorial in Russland

Das höchste russische Gericht verbietet die Menschenrechtsorganisation Memorial. Die deutsche Regierung nennt das „mehr als unverständlich“.

Die Bundesregierung hat die gerichtlich angeordnete Auflösung der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International als "mehr als unverständlich" kritisiert. Die Anordnung des Gerichts "widerspricht internationalen Verpflichtungen zum Schutz grundlegender Bürgerrechte, die auch Russland eingegangen ist", erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Dienstag. "Die Entscheidung bereitet uns nicht zuletzt große Sorge auch deshalb, weil sie den Opfern von Unterdrückung und Repression die Stimme entzieht."

Memorial leiste als Teil eines internationalen Netzwerks "einen unverzichtbaren Beitrag zur Erforschung, Dokumentation und Verhütung von schweren Menschenrechtsverletzungen und ist damit auch Ausdruck unseres gemeinsamen europäischen Selbstverständnisses, Verstöße gegen Menschenrechte klar zu benennen und aufzuarbeiten", erklärte die Sprecherin.

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Das Oberste Gericht Russlands hatte am Dienstag die Auflösung der prominentesten Menschenrechtsorganisation des Landes verfügt. Die zuständige Richterin Alla Nasarowa begründete das Verbot von Memorial mit angeblichen Verstößen der Organisation gegen das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz.

Memorial setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen in der Sowjetunion und für die Wahrung der Menschenrechte im heutigen Russland ein.

„Verheerende Nachricht“

Der US-Botschafter in Moskau, John Sullivan, bezeichnete das Verbot als einen "tragischen Versuch, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken und die Geschichte auszulöschen". Frankreich reagierte mit "Empörung" und "Besorgnis" auf das Urteil.

Vor dem Gericht in Moskau bezeichneten Unterstützer von Memorial das Urteil als "Schande". Mehrere Demonstranten wurden festgenommen. Leonid Bachnow, dessen Großvater 1937 den stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen war, bezeichnete die Schließung von Memorial als "Tragödie" für Russland.

Die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric, nannte das Verbot eine "verheerende Nachricht" für die Zivilgesellschaft. Russland scheine sich "immer weiter von unseren gemeinsamen europäischen Standards und Werten zu entfernen".

Memorial zeige UdSSR als „Terrorstaat“

Die von Memorial forcierte Aufarbeitung der Stalin-Regimes ist dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Dorn im Auge. Das Archiv der Organisation ist die wichtigste Sammlung historischer Dokumente zu den stalinistischen Verbrechen.

Memorial habe ein "falsches Bild der UdSSR als Terrorstaat geschaffen" und "die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg verungimpft", warf die Staatsanwaltschaft Memorial in den Schlussplädoyers vor. Zuvor hatte die Anklage Memorial auch beschuldigt, "Nazi-Verbrecher rehabilitiert" zu haben.

Im offiziellen Geschichtsbild des Kreml wird Stalin fast ausschließlich als Kriegsheld und Bezwinger des Nationalsozialismus gewürdigt. Die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen wird in dieser Lesart als Verharmlosung des Nationalsozialismus gedeutet. (AFP)

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