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Deutschland wird in Neuseeland durch Botschafter Gerhard Thiedemann vertreten.

© Tim Brakemeier / dpa

Entwicklungspolitik als Lebensschwerpunkt: Botschafter am Ende der Welt

Gerhard Thiedemann vertritt die Bundesrepublik in Neuseeland, Tonga und auf den Fidschi-Inseln.

Man kann es schlechter treffen als Diplomat. Wellington, die Hauptstadt Neuseelands, als Dienstsitz. Wobei sich die Zuständigkeit des deutschen Botschafters nicht nur auf die Süd- und die Nordinsel erstreckt, sondern bis zu den Fidschi-Inseln reicht, vier Flugstunden entfernt, und nach Samoa und Tonga, weitere vier Stunden im Flieger. Welche Interessen Deutschland dort hat? Gerhard Thiedemann lächelt ein wenig ironisch und vermittelt eine kleine Lektion Grundregeln der Pflege globaler Beziehungen. Tonga ist klein, ja, aber in den Vereinten Nationen (UN) hat jedes Land eine Stimme in der Vollversammlung, da hat Tonga so viel Gewicht wie Indien, und alleine deshalb ist die Reise dorthin neben der Kür, an einem der paradiesischsten Flecken der Erde sein zu dürfen, eben auch Pflicht. Schließlich hat Deutschland Themen, für die es in den UN Unterstützer sucht. Noch Fragen? Ja - fliegt man als Diplomat Business? Der Blick ist schon fast verachtungsvoll: "Der deutsche Botschafter fliegt Holzklasse!"

Neuseeland selbst ist Ziel von jährlich 100.000 deutschen Touristen, denen der Flug um die halbe Welt zu den Antipoden nicht zu weit ist, und dass die Trilogie "Der Herr der Ringe" ausschließlich in Neuseeland gedreht wurde, hat dem fernen Reiseziel noch einmal einen besonderen Schub der Aufmerksamkeit verschafft. Hinzu kommen 16.000 junge Frauen und Männer, die jedes Jahr mit den Work-and-Travel-Programmen durch das Land reisen. Einen deutschen Pass haben 30.000 Landsleute behalten, die ihren ständigen Wohnsitz zwischen Invercargill im Süden und Auckland im Norden gefunden haben. Viele von ihnen kamen in den späten 70er und frühen 80er Jahren, als die Nachrüstungsdebatten und die Angst vor einer nuklearen Auseinandersetzung der Supermächte auf deutschem Boden gerade junge Paare dazu brachten, auszuwandern. All das macht Arbeit für eine Botschaft, die mit 16 Mitarbeitern alles andere als üppig ausgerüstet ist, aber, wie charakterisiert der 62-jährige Botschafter die Lage so schön: "Nur die knappen Ressourcen begrenzen unsere Aktivitäten." Da trifft es sich, dass der Chef der Vertretung Volljurist ist und damit auch deutsche Paare trauen darf oder als Notar Erbscheine und Vollmachten ausstellen. Und dann sind da noch Naturkatastrophen, die das Erdbeben-geplagte Land - es liegt auf dem pazifischen "ring of fire" - immer wieder heimsuchen. Beim großen Erdbeben am 14. November des vergangenen Jahres musste die Botschaft für die Evakuierung von 130 Deutschen sorgen.

"Nicht nur für junge Deutsche eine Traumdestination" sei Neuseeland - das sagte Gerhard Thiedemann, als er im vergangenen Jahr in Wellington dem Generalgouverneur seine Beglaubigung übergab, und er dachte wohl auch an sich selbst und an frühere Verwendungen etwa in Bangladesch, der Mongolei und Nordkorea. Wobei er später klarstellt, dass er überall, wo er hingeschickt wurde, auch hingewollt habe - Entwicklungspolitik ist einer seiner Lebensschwerpunkte, auch aus seiner humanistischen Grundeinstellung heraus. Wissen Sie, sagt er: "Ich bin bei den christlichen Pfadfindern großgeworden." Die Antwort des Generalgouverneurs (als Vertreter der englischen Königin) schlug, vor dem Hintergrund der Brexit-Entscheidung der Briten, einen großen Bogen, denn ähnlich wie Australien bangt Neuseeland als Commonwealth- Mitglied um die Privilegien, die das Land bislang im Handel mit der EU genießt: "Europa steht vor herausfordernden Zeiten. Gerade in Momenten wie diesem wird unsere seit Langem bestehende Freundschaft eher noch wichtiger."

Wirtschaftliches Leben in Neuseeland

Die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen sind in der Tat eng. 2014 war die Bundeskanzlerin in Neuseeland, im vergangenen Jahr der neuseeländische Premierminister in Berlin, und im Oktober hat Bundestagspräsident Norbert Lammert Singapur, Tonga und Neuseeland besucht. Das sind Situationen, die Gerhard Thiedemann mag. Neuseeland ist ein Wertepartner, eine offene, interessierte und informierte Gesellschaft. Botschaft ist eine politische Veranstaltung, sagt er. Eine "wunderschöne, große Residenz", in den 50er Jahren gebaut, bietet den idealen Rahmen für Gespräche, und seine Frau, promovierte Mikrobiologin, ist da voll eingebunden. Immerhin lehren und arbeiten 200 deutsche Wissenschaftler an neuseeländischen Hochschulen, außerdem zahlreiche Flugzeugingenieure. Oft ist die Vertretung der EU, sie wird von einem Schotten geleitet, mit dabei - "der ‚diplomatic dinner table‘ ist für weiterführende Gespräche über einem guten Essen mindestens so wichtig wie der Konferenztisch", gibt es als Devise dem Gast noch mit auf den Weg.

Neuseeland ist ein Exportweltmeister, aber ein etwas anderer als Deutschland. Handelsminister Todd McClay sagt das so: "Wir sind vier Millionen, aber produzieren Nahrungsmittel für 40 Millionen Menschen." Und es ist Top-Qualität, was die Neuseeländer ausführen: Lammfleisch, Obst, Äpfel und Kiwis ganz besonders, aber auch exzellente Weine. Zehn deutsche Winzer arbeiten fleißig daran mit, der deutsche Honorarkonsul in Christchurch ist ein Winzer aus der Pfalz. Und nicht zu vergessen: Chinesische Familien kaufen neuseeländisches Milchpulver, weil die eigenen Milchprodukte schadstoffbelastet sind. So ist die Volksrepublik neben Australien der wichtigste Handelspartner geworden. Und dann ist da noch die deutsche Industrie. Die neuseeländischen Fregatten kommen von Blohm und Voss, die Regierung hat einen Flottenvertrag mit BMW abgeschlossen, Elektromobilität, Medizintechnik, Bio-Engineering verbinden die Hochschulen von Auckland, Frankfurt am Main und Stuttgart.

Leben in Neuseeland ist schön, aber teuer. "Die Lebensfreude in Neuseeland ist offenbar, obwohl die Preise dort bei manchen Neuseeländern schon an die Existenz gehen." Eine Reihenhausscheibe in Auckland kostet leicht 650.000 Euro. Und weil frisches Obst ebenfalls unglaublich teuer ist, kommen in neuseeländischen Familien oft Obstkonserven auf den Tisch - Importware.

Station in Pjöngjang - "Die Nordkoreaner leiden unfassbar"

Gerhard Thiedemann, seit Juli 2016 Botschafter in Wellington, Neuseeland, war zuvor in der Mongolei Leiter der dortigen Vertretung und davor, von 2010 bis 2013, Botschafter in Nordkorea. Eine Zeit, die er als die spannendsten Jahre bezeichnet, die er je erlebt hat. Im Kreise von fünf EU-Botschaftern habe man sich regelmäßig in einer abhörsicheren Kabine der diplomatischen Vertretung getroffen und Erfahrungen und Informationen ausgetauscht. Es sei "hardcore diplomacy" gewesen in einem Land, in dem man als Diplomat nur geduldet war und sich nicht frei bewegen konnte, geschweige denn, sich mit einem Nordkoreaner verabreden. "Nordkorea ist eines der repressivsten Regime der Welt. Das Land kann seine Bevölkerung nicht ernähren. Die Nordkoreaner leiden unfassbar unter dem Regime. Die EU stellt den Menschen dort Nahrungshilfe zur Verfügung, da steckt also auch deutsches Geld drin." Die Verwendung der Nahrungsmittel können die westlichen Diplomaten kontrollieren, darauf bestehen die Geberländer. So wird darauf geachtet, dass Reissäcke oder andere Grundnahrungsmittel nicht etwa vor Kasernen, sondern vor Schulen verteilt werden, damit die Nahrungshilfe auch wirklich der Zivilbevölkerung zugutekommt. Außerdem unterstützt die EU den Bau von Gewächshäusern - in dem bitterarmen und sehr kalten Land eine Methode, die den ständig hungernden Landbewohnern erlaubt, selbst Gemüse ziehen zu können - mit beachtlichen Erfolgen, wie Gerhard Thiedemann den Effekt beurteilt.

Deutsche Diplomaten im Ausland. Tagesspiegel-Agenda stellt einige von ihnen in loser Folge vor.

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