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Eiskalt bis zuletzt. Beate Zschäpe schwieg lange im NSU-Prozess und sagte dann wenig. Das Oberlandesgericht München verurteilte sie zu lebenslanger Haft

© picture alliance/Andreas Gebert/dpa

Update

Entscheidung zu Revisionen: BGH bestätigt Urteile gegen NSU-Terroristin Zschäpe und zwei Helfer

Vor mehr als drei Jahren endete der NSU-Prozess. Beate Zschäpe und drei Mitangeklagte akzeptierten ihre Strafen nicht. Nun hat der BGH entschieden.

Von Frank Jansen

Beate Zschäpe muss mit einer lebenslangen Strafe für ihre Taten bei der Terrorzelle NSU büßen. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Frau gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München verworfen, der Schuldspruch wurde nur geringfügig geändert. Das teilte der BGH am Donnerstag in einer Presseerklärung mit. Auch die Revisionen der Angeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. haben keinen Erfolg. Das OLG hatte Wohlleben zu zehn Jahren wegen Beihilfe zu neun Morden und Holger G. zu drei Jahren Haft wegen Unterstützung des NSU verurteilt.

Die Beweiswürdigung des OLG zu Zschäpe "weist keinen Rechtsfehler auf", sagte der BGH. Die Angeklagte sei "insbesondere an der Planung jedes einzelnen Mordanschlags und Raubüberfalls beteiligt" gewesen. Die Schlussfolgerungen des OLG seien "rational nachvollziehbar und in hohem Maße plausibel". Der NSU hatte zehn Menschen ermordet sowie zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt. Die Taten begingen Zschäpes Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos fast immer gemeinsam.

Zschäpe erzählte den Nachbarn Märchen über die Abwesenheit der Mörder

Nach Ansicht des BGH wie auch der Münchener Richter hat Zschäpe gemeinsam mit den beiden Neonazis die Erkenntnisse der Ausspähung von Opfern ausgewertet und den Entschluss zur Tatbegehung gefasst. Ein gewichtiges Indiz für die Mittäterschaft sind Zschäpes Märchen, mit denen sie Nachbarn die Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos während deren Attentaten und Überfällen erklärte.

Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel kritisierte den Beschluss des BGH. "Leider ist der Bundesgerichtshof meinen Argumenten, die gegen die Annahme einer strafbaren Mittäterschaft sprechen, im Ergebnis nicht gefolgt", teilte der Anwalt mit. Der BGH habe "die Linie seiner bisherigen Rechtsprechung zur Frage, wann eine strafrechtlich relevante Mittäterschaft vorliegt, verlassen und hat mit seiner jetzigen Entscheidung die Strafbarkeit der Mittäterschaft massiv ausgedehnt". Zschäpe hatte im Münchener Prozess bestritten, an den Morden beteiligt gewesen zu sein. Es gibt auch keine Hinweise, dass sie an den Tatorten war. Dennoch reichten dem OLG die Indizien aus, um eine Mitgliedschaft beim NSU und damit eine Mittäterschaft an allen Verbrechen der Terrorzelle festzustellen. Zschäpe sitzt ihre Strafe in der JVA Chemnitz ab. Anwalt Grasel sagte dem Tagesspiegel, er schließe eine Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des BGH nicht aus.

Im Fall des Angeklagten André E. wird in Karlsruhe verhandelt

Bei Wohlleben und Holger G. nannten die Richter keine Gründe für die Verwerfung der Revision. Im Fall des Angeklagten André E. hat der BGH für den 2. Dezember eine Verhandlung in Karlsruhe angesetzt. Den Unterstützer des NSU hatte das OLG zu nur zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dagegen hatten E. und auch die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt.

Das Oberlandesgericht München hatte Zschäpe am 11. Juli 2018 nach mehr als fünf Jahren Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl bescheinigte Zschäpe zudem eine besondere Schwere der Schuld. Demnach kann sie nicht nach 15 Jahren das Gefängnis verlassen. Das hatte auch die Bundesanwaltschaft gefordert. Sie plädierte zudem bei Ralf Wohlleben auf zwölf Jahre Haft. Wohlleben hatte gemeinsam mit dem Angeklagte Carsten S. die Pistole Ceska 83 beschafft, mit der die Terrorzelle neun Migranten erschoss. Für Carsten S., der als einziger Angeklagter Reue zeigte und umfassend aussagte, wurden drei Jahre gefordert. Bei Holger G., der die Terrorzelle unter anderem mit einem manipulierten Pass unterstützt hatte und im im Prozess ein Geständnis verlas, hielt die Bundesanwaltschaft fünf Jahre Haft für notwendig. Im Fall von André E., mutmaßlich viele Jahre ein treuer Freund der Terrorzelle, hatte die Bundesanwaltschaft auf zwölf Jahre plädiert. Das OLG hielt E. jedoch nur für schuldig, zwei Bahncards für den NSU besorgt zu haben. Die Bundesanwaltschaft hingegen wirft dem Neonazi vor, er habe auch Wohnmobile für Taten der Terrorzelle gemietet. Die Verteidiger der Angeklagten hatten geringere Strafen oder auch Freispruch verlangt. Carsten S., der drei Jahre Jugendstrafe erhielt, ist der einzige Angeklagte, der seine Revision zurücknahm und seine Reststrafe absaß.

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Zschäpe war im Januar 1998 gemeinsam mit den Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos untergetaucht. Die drei hielten sich zunächst in Chemnitz versteckt, dann in Zwickau. Im Untergrund bildeten sie die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)". Böhnhardt und Mundlos erschossen von 2000 bis 2007 in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund, Kassel und Heilbronn neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Die Neonazis zündeten zudem 2004 in der türkisch dominierten Kölner Keupstraße eine Nagelbombe. Mehr als 20 Anwohner und Passanten wurden verletzt, mehrere von ihn schwer. Ein weiterer Sprengstoffanschlag, verübt 1999 in Nürnberg, wurde erst während des Prozesses am OLG München bekannt.

Bargeld in Höhe von mehr als 600.000 Euro erbeutet

Um das Leben im Untergrund und die Vorbereitung der Anschläge zu finanzieren, überfielen Böhnhardt und Mundlos in Chemnitz, Zwickau, Stralsund, Arnstadt (Thüringen) und Eisenach insgesamt 14 Filialen von Post und Sparkasse sowie einen Supermarkt. Die Terrorzelle erbeutete Bargeld in Höhe von mehr als 600.000 Euro. Nach dem letzten Bankraub, am 4. November 2011 in Eisenach, kam die Polizei Böhnhardt und Mundlos auf die Spur. Die beiden Männer hatten sich, wie bei früheren Verbrechen, in einem Wohnmobil versteckt. Als ein Streifenwagen erschien, setzten die Neonazis das Wohnmobil in Brand. Dann erschoss Mundlos erst Böhnhardt und sich selbst.

Zschäpe zündete in Zwickau die gemeinsame Wohnung an, in der mehrere Waffen lagen und Teile der Beute aus den Überfällen. Da Zschäpe zehn Liter Benzin verschüttet hatte, kam es zu einer Verpuffung, bei der ein Teil der Hauswand wegflog. Danach wütete das Feuer. Eine alte, gebrechliche Nachbarin geriet in Lebensgefahr, konnte aber von Verwandten gerettet werden. Zschäpe verließ das Haus und verschickte per Post an Zeitungen, eine Moschee und weitere Adressen die Bekenner-DVD des NSU mit dem perfiden Paulchen-Panther-Video. Die Frau irrte vier Tage in Zügen durch Deutschland, am 8. November stellte sie sich in Jena der Polizei.

Kanzlerin Merkel bat die Hinterbliebenen um Verzeihung

Der Fall versetzte der Bundesrepublik einen Schock. Fast 14 Jahre hatten sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe versteckt halten können. Die Sicherheitsbehörden hatten die drei Untergetauchten nicht aufspüren können. Außerdem wurden die Verbrechen, vor allem die Morde an den Migranten, von Polizei und Staatsanwaltschaften als mutmaßliche Taten in kriminellen Milieus eingestuft. Die Angehörigen der Getöteten sahen sich jahrelang schikanösen Ermittlungen ausgesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bat die Hinterbliebenen im Februar 2012 bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer um Verzeihung.

Tochter von Mordopfer fordert weitere Ermittlungen

Für Gamze Kubasik, die Tochter des 2006 in Dortmund erschossenen Kiosk-Betreibers Mehmet Kubasik, ist der Fall NSU nicht vorbei. „Es wurde Zeit, dass das Verfahren gegen Zschäpe, Wohlleben und Gerlach zu Ende geht", teilte sie am Donnerstag mit. "Diese Entscheidungen sind aber, wie schon das Urteil in München, kein Schlussstrich unter das Thema NSU. Sie dürfen es nicht sein! Meine Familie und ich werden erst dann wieder zur Ruhe kommen, wenn alle Helfer und Täter des NSU ermittelt sind! Wir wollen, dass unsere Anwälte endlich alle Akten dazu einsehen können! Wir fordern weitere - echte - Ermittlungen dazu!" Allerdings ermittelt die Bundesanwaltschaft noch gegen neun weitere Beschuldigte. Dass es noch zu Anklagen kommt, ist allerdings unwahrscheinlich.

Erleichtert, aber auch weiter unzufrieden ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Irene Mihalic. „Es ist gut, dass der Bundesgerichtshof nun entschieden hat und Beate Zschäpe somit rechtskräftig verurteilt ist", sagte Mihalic am Donnerstag. Es bleibe jedoch dabei, "dass die Zusammenhänge und Hintergründe der NSU-Morde nur zu einem kleinen Teil ausgeleuchtet sind. Bis heute wissen wir nicht, wie genau die unterstützende Struktur aussah, die hinter dem Terror-Trio des NSU stand. Es muss davon ausgegangen werden, dass wesentliche Strategen dieses Netzwerkes noch weiterhin die Fäden ziehen und auch deswegen die rechtsterroristische Gefahr in höchstem Maße virulent bleibt. Der Blick unserer Sicherheitsbehörden ist immer noch zu sehr verengt auf die offensichtlich handelnden Akteure. Das spielt denen in die Hände, die genau diese Verengung strategisch miteinkalkulieren. Wir müssen endlich die Weichen für eine umfassendere und effektivere Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stellen. Hier ist bisher vieles nur Stückwerk.“

SPD-Chef Walter-Borjans erleichtert über BGH-Entscheidung zu Zschäpe

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat sich erleichtert über die Zurückweisung der Revision der NSU-Terroristin Beate Zschäpe gezeigt. „Den Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU hilft die Bestätigung des Urteils gegen eine der Hauptverantwortlichen sicher, ihren inneren Frieden zu finden“, sagte Walter-Borjans am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Ihn habe die Nachricht vom Spruch des Bundesgerichtshofs (BGH) in Zwickau bei einem Besuch der zehn Erinnerungsbäume für die NSU-Mordopfer erreicht. Der von der ehemaligen Oberbürgermeisterin Pia Findeiß initiierte Park in Nachbarschaft zum Mahnmal gegen den Faschismus unterstreiche die Bedeutung des Eintretens für Offenheit und Toleranz, so Walter-Borjans. (mit dpa)

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