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Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem "Dieselgipfel" am 28.11.17. in Berlin.

© AFP/John Macdougall

Entscheidung von Agrarminister Schmidt: Warum das Ja zu Glyphosat Gift für eine mögliche Koalitionsbildung ist

Der Alleingang von Christian Schmidt bei der Glyphosat-Entscheidung in Brüssel stößt auf großes Unverständnis in der Regierung. Was bedeutet er für die politische Zukunft Deutschlands?

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Bis Montag hatte Christian Schmidt gute Chancen auf den Titel des unbekanntesten Kabinettsmitglieds. Doch seit der Landwirtschaftsminister von der CSU an der SPD-Kollegin Barbara Hendricks vorbei die weitere Verwendung des Pflanzengifts Glyphosat in der EU ermöglicht hat, ist es mit dem Randdasein schlagartig vorbei. Hendricks ist sauer, die SPD warnt vor Belastungen für mögliche Koalitionsgespräche, Opposition und Öko-Verbände kritisieren das Husarenstück scharf, nicht mal die Glyphosat-Hersteller sind zufrieden – ihnen geht die Zulassung für weitere fünf Jahre nicht weit genug. Am Dienstag fängt sich Schmidt auch noch eine Rüge der Kanzlerin ein.

 Was ist genau passiert?

Der Streit über die Zukunft von Glyphosat zieht sich in Berlin wie in Brüssel seit Jahren hin. Schmidts Agrarressort war dafür, das für die konventionelle Landwirtschaft wichtige Pflanzengift unter Auflagen weiter zuzulassen. Hendricks Umweltressort hatte 2016 einen Kompromiss gebilligt, ihn aber später mit Verweis auf die – umstrittenen – Gesundheitsgefahren widerrufen.

Bei den Abstimmungen im zuständigen Ausschuss in Brüssel enthielt sich Deutschland deshalb – bis zum Montag. Hendricks und Schmidt telefonierten kurz vor dem Votum miteinander, ohne zu einer gemeinsamen Haltung zu finden, was der Agrarminister der Kollegin in einer SMS auch bestätigte: Es bleibe beim „Dissens“. Kurz darauf hob der deutsche Vertreter in Brüssel die Hand zum Ja. Damit war in der letzten geplanten Abstimmung in diesem Gremium auf einmal eine Mehrheit da.

Wie begründet Schmidt das Vorgehen?

Der Christsoziale betont, er habe in eigener Ressortverantwortung und rein fachlich begründet entschieden. Sein Hauptargument hängt mit dem Verfahren zusammen: Bei einem erneuten Patt der Mitgliedsstaaten hätte die EU-Kommission „heute oder morgen“ die Glyphosat-Lizenz selbst verlängert – allerdings ohne „wichtige Bedingungen“, die im jetzigen Beschluss enthalten seien.

Schmidt nennt eine Klausel zum Artenschutz, die Klärung der Gesundheitsgefahren für Menschen zu klären und einen Prüfauftrag für bessere Genehmigungsverfahren. Das sei mehr, als das Umweltministerium selbst gefordert habe. „Das sind Dinge, die man auf die eigene Kappe nehmen muss“, sagt der Minister.

War das also alles in Ordnung?

Nein. Die Kanzlerin stellte am Dienstag klar: Schmidts Alleingang verstieß gegen die Geschäftsordnung des Kabinetts, die bei Streit zwischen Ressorts Enthaltung vorschreibt. Auch in einer nur geschäftsführenden Regierung sei sonst ein „gedeihliches gemeinsames Arbeiten“ nicht möglich. „Es ist etwas, was sich nicht wiederholen darf“, forderte Merkel am Rand des Diesel-Gipfels, bei dem pikanterweise Hendricks wie Schmidt mit auf dem Podium saßen.

Nach der Pressekonferenz sprachen Merkel und Hendricks noch länger miteinander. Die SPD-Ministerin erklärte anschließend, sie nehme an, dass die Kanzlerin nicht eingeweiht war. Mit Schmidt hatte Merkel bereits am Morgen geredet.

Welche Folgen hat der Ungehorsam?

Für Schmidt selbst als Minister – keine. Theoretisch könnte nach Meinung von Verfassungsrechtlern auch eine geschäftsführende Kanzlerin einen Minister feuern. Aber die CSU steht fest hinter ihrem Mann, in der Sache Glyphosat ist Merkel inhaltlich auf seiner Seite – und selbst die SPD fordert den Rauswurf nicht.

Ohnehin ist bei den Sozialdemokraten die geäußerte Empörung so groß wie das Bemühen, sie konkret folgenlos bleiben zu lassen. Offenkundig ist das Interesse, nicht die Gespräche über eine mögliche Mitwirkung der SPD an der nächsten Regierung zu verbauen. Fraktionschefin Andrea Nahles hatte schon am Montag die Linie vorgegeben mit der Formel, so etwas dürfe sich nicht wiederholen. Parteivize Ralf Stegner nennt Schmidts Vorgehen eine „ziemliche Unverfrorenheit“ und einen „Schlag ins Kontor“ vor dem Drei-Parteien-Treffen bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag. Aber auch der Parteilinke leitet daraus keine Forderungen ab.

Hendricks selbst verlangt zwar auch nach Merkels Rüge noch „eine vertrauensbildende Maßnahme“ von der Union, legt sich aber ebenfalls auf nichts fest. Die Entschuldigung, die Schmidt bei ihr „versucht“ habe, will sie nicht dauerhaft verweigern. „Aber ich hab’ ihm gesagt, dass man so blöd eigentlich nicht sein könnte“, ärgert sich die SPD-Frau.

Warum ist Glyphosat so umstritten und politisch so aufgeladen?

Das Totalherbizid, unter dem Handelsnamen „Roundup“ auch bei Hobbygärtnern verbreitet, steht in den Augen seiner Kritiker für alle Fehlentwicklungen der Landwirtschaft: Monokulturen und Artensterben, Großflächenanbau und Massenproduktion. Es ist ein Streit um eine ideologische Frage: wollen wir eine konventionelle oder ökologische Landwirtschaft? Die Befürworter halten das Mittel zumindest derzeit noch für unverzichtbar und unter den Alternativen aus dem Chemielabor für das mildeste.

Konkret entzündet sich der Streit an den direkten Gefahren für Menschen. Die Krebsforscher der Weltgesundheitsorganisation haben Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Deutsche und europäische Fachbehörden kommen aber bisher zu dem Schluss, dass die Dosis beim heute üblichen Gebrauch viel zu klein für eine konkrete Gefahr für Landwirte und Verbraucher ist. Auch vermuten Umweltschützer, dass das Insektensterben und ein Rückgang der Biodiversität direkt mit dem Einsatz des Glyphosats zusammenhängen. Durch das Abtöten vieler Pflanzen auf den Feldern werden den Insekten Nahrungs- und Lebensgrundlagen entzogen.

Lässt sich Schmidts Entscheidung rückgängig machen?

Nein. Abstimmung ist Abstimmung, das gilt in Europa wie in jedem nationalen Parlament oder Ausschuss. Selbst wer nur versehentlich die Hand gehoben hat, kann keine Annullierung verlangen. 

Wie geht Frankreich mit dem Thema um?

Staatschef Emmanuel Macron hat trotz der Entscheidung in Brüssel angekündigt, dass der Einsatz von Glyphosat in Frankreich in spätestens drei Jahren verboten sein soll. Bereits am Montag teilte er per Twitter mit, dass er die Regierung angewiesen habe, „alle notwendigen Maßnahmen“ für ein Verbot zu ergreifen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Vorbehalt: Nach den Worten Macrons soll der nationale Glyphosat-Bann greifen, sobald „Alternativen“ zum Unkrautvernichter zur Verfügung stehen.

Mit seiner Ankündigung stellt sich Macron auf die Seite der zahlreichen Gegner des umstrittenen Herbizids in Frankreich. So hatte sich Macrons Umweltminister Nicolas Hulot auch vor der Abstimmung am Montag dafür stark gemacht, die Verlängerungs-Frist auf drei Jahre zu reduzieren. Auch in Frankreich gab es allerdings innerhalb der Regierung Meinungsverschiedenheiten. Landwirtschaftsminister Stéphane Travert ergriff die Partei der Bauern, die sich gegen ein Verbot ausgesprochen hatten.

Am Ende fügte sich der Agarminister dem Machtwort des Präsidenten. Jetzt müsse es darum gehen, innerhalb von drei Jahren eine Alternative zu Glyphosat zu finden, erklärte Travert.

Der französische Bauernverband FNSEA hielt indes Macron vor, dass der Präsident mit dem in spätestens drei Jahren geplanten Glyphosat-Aus eine „nationalistische“ Entscheidung getroffen habe. Die FNSEA-Vorsitzende Christiane Lambert erklärte am Dienstag bei der Eröffnung einer Ausstellung von Oliven- und Weinbauern in Montpellier, dass der Präsident einem „Spleen“ des Umweltministers Hulot nachgegeben habe. In den nächsten Tagen will der Bauernverband gegen Macrons Entscheidung demonstrieren.

Was bedeutet die deutsche Zustimmung für das Verhältnis zu Frankreich und zur EU?

Die mehrheitliche Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten für eine fünfjährige Verlängerung der Glyphosat-Zulassung wurde möglich durch den unerwarteten Schwenk beim deutschen Abstimmungsverhalten. Frankreich stimmte am Montag in Brüssel gegen den Vorschlag der EU-Kommission, die Zulassung des Mittels um fünf Jahre zu verlängern. Gemeinsam mit anderen EU-Mitgliedstaaten hatte Paris eine Allianz zu Gunsten einer kürzeren Verlängerungsfrist schmieden wollen. Damit hätte Paris einem möglichst raschen Ausstieg aus der Glyphosat-Nutzung den Weg ebnen wollen. Allerdings hatte sich vor der Abstimmung am Montag keine Mehrheit für diese Position abgezeichnet.

Die Zeitung „Le Monde“ geht in ihrem Kommentar auf die negativen Folgen ein, die das Umschwenken Deutschlands nach sich zieht. Frankreich und andere gleichgesinnte Länder hätten nach der Ansicht des Blattes die Landwirtschaft von einer Agrochemie befreien können, „die Landwirte und Ökosysteme vergiftet“. Die Debatte um alternative Wege bei der Unkrautbekämpfung drohe nun „brutal beendet zu werden“, urteilt die Zeitung.

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