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Das AKW im Emsland soll zum Jahreswechsel vom Netz. Oder doch nicht?

© Foto: dpa/Friso Gentsch

Entscheidung über Atomkraft steht bevor: Stimmung versus Sicherheit

Hat sich die Ampel bereits entscheiden? Eine Mehrheit in Deutschland ist für die Laufzeitverlängerung, doch Experten warnen weiter vor den Risken.

Für das Wall Street Journal ist die Sache entschieden. „Deutschland plant, die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke des Landes zu verschieben“, schreibt der Autor des New Yorker Blattes und beruft sich dabei auf „drei hochrangige Regierungsvertreter“. Zwar gebe es noch ein paar Details zu klären und einen formalen Kabinettsbeschluss abzuwarten, doch laut der Beamten sei das eine „foregone conclusion“ – eine ausgemachte Sache.

Der US-Bericht von der deutschen AKW-Laufzeitverlängerung schlägt am Dienstagmittag in Berlin voll ein. Nur ein paar Stunden später fühlt sich das Bundeswirtschaftsministerium dazu genötigt, die ausgemachte Sache hart zu dementieren: „Dieser Bericht trifft nicht zu und entbehrt jeder sachlichen Grundlage“, teilt eine Sprecherin via Pressemitteilung mit. Alles also eine Ente?

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Fest steht, dass die Ergebnisse des Stresstests zum Strommarkt kurz bevor stehen. Die Überprüfungen "sind komplex und es müssen eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden", teilt eine Sprecherin des Ministeriums am Mittwoch mit. Sollte die Prüfung ergeben, dass es im Winter zu regionalen Stromengpässen kommen könnte, wäre die eigentlich vernagelte Tür für eine Laufzeitverlängerung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke wieder offen. „Auf der Basis dieser Ergebnisse wird dann entschieden, was zu tun ist“, hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck angekündigt.

Doch der Druck steigt auf den Minister und seine Grünen-Partei. Einer jüngsten Forsa-Umfrage zufolge halten es nur noch 17 Prozent der Deutschen für richtig, die letzten drei Meiler – wie lange vereinbart – zum Jahresende vom Netz zu nehmen. Dagegen halten es 29 Prozent für richtig, die AKWs bis in den nächsten Sommer zu betreiben. Diese Postition ist offenbar besonders unter Mitglieder der Grünen (44 Prozent) beliebt. 30 Prozent der Deutschen, so die Forsa-Erhebung, wollen gar eine Abkehr vom Ausstieg und eine neue Energiepolitik, die auch auf Atomkraft setzt. Dabei handelt es sich wohl vor allem um Wähler von AfD und FDP.

Die Gas-Krise und die hohen Energiekosten scheinen die Stimmung in Deutschland verändert zu haben. Nachdem die Bundesregierung 2011 kurz nach dem Reaktorunglück in Fukushima zum zweiten Mal den Atomausstieg beschlossen hatte, war das Ende der Atomkraft eigentlich ausgemachte Sache gewesen. Doch seit Monaten drängen die Opposition, aber auch Teile der FDP, sowie die Regierungen aus Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Frankreich darauf, dass die deutschen Kraftwerke länger am Netz bleiben.

Robert Habeck will vor der Atom-Entscheidung den Strom-Stresstest abwarten.
Robert Habeck will vor der Atom-Entscheidung den Strom-Stresstest abwarten.

© REUTERS

Wolfgang Renneberg betrachtet die Debatte mit einem gewissen Unverständnis. „Jeder, der etwas Ahnung von der Thematik hat, weiß, dass das eine Geisterdebatte ist“, sagte Renneberg, der sich so gut wie kaum jemand mit der Sicherheit der deutschen Reaktoren auskennt. Von 1998 bis 2009 war der Physiker und Jurist als Ministerialdirektor der Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung im Umweltministerium. Der frühere Professor am Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Uni Wien gilt als einer der renommiertesten Experten für Reaktorsicherheit. Eben diese Sicherheitsaspekte kämen ihm in der Debatte zu kurz, sagt er am Telefon.

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„Jede der drei deutschen Anlagen hat einen großen Nachrüstungsstau.“ Zudem müsste für einen Weiterbetrieb der Meiler mit neuen Brennstäben eine umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen nachgeholt werden, die wegen der nahenden Abschaltung zuletzt vor 13 Jahren stattfand. Die Alterung der Anlagen, Ausfälle von elektronischen Bauelementen, Risse an Dampferzeugern oder Rissanzeigen im Reaktordruckbehälter seien typische Mängel nach so vielen Jahren. „Das kann man nicht mal so nebenbei im Betrieb überprüfen“, sagt Renneberg, der von Wartungszeiten von ein bis zwei Jahren ausgeht.

"Deutschland müsste gegen EU-Recht verstoßen"

Eine Laufzeitverlängerung mache in der aktuellen Krise nur Sinn, wenn man die Meiler in den kommenden zwei Jahren in Betrieb lasse. „Deutschland müsste gegen das eigene und gegen EU-Recht verstoßen, wenn man auf die Sicherheitsprüfung verzichten würde“, sagt Renneberg.

Etwas anders liege die Sache bei einem Streckbetrieb einzelner Kraftwerke, zum Beispiel Isar 2, das rund zwölf Prozent des bayerischen Stromverbrauchs deckt. „Wenn der Streckbetrieb wirklich einen Unterschied für die Stromversorgung macht, könnte man das für wenige Monate verantworten“, sagt Renneberg. Über die verschiedenen Optionen wird im Wirtschaftsministerium seit Monaten diskutiert. Das geht aus einem Gesprächsprotokoll zwischen Habeck, seinen Staatssekretären und den Kernkraftwerksbetreibern von Anfang März hervor, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Darin werden die Bedenken der Betreiber ersichtlich, was eine Laufzeitverlängerung angeht. Allein die Beschaffung neuer Brennelemente würde wohl 15 Monate dauern, zudem könne man nur rund fünf Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Doch vor allem die Sicherheitsfragen treiben laut Protokoll die Betreiber um: „Die Betreiber betonen abschließend, dass die Risikoabschätzung eine Frage der Politik sei, und sie lediglich im Auftrag der gewählten Entscheidungsträger handeln würden“, heißt es dort. Der Staat solle quasi „Eigner“ der Meiler werden und sei für Sicherheit und Investitionen zuständig. Die Verantwortung bei einem Weiterbetrieb müsse die Bundesregierung tragen – bei einem Ausstieg aus der Kernkraft aber auch.

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